Supernatural Beings
Pixi-Bücher? Das sind doch diese niedlichen Kleinformate mit zumeist harmlosen Geschichten für Kinder, Kindeskinder und Kind gebliebene Großeltern. Schon richtig, aber der Name kam gerade falsch rüber. Tatsächlich geht es um pXXy. Noch offener gesagt um pXXy PORN. Ja, schluck und lmaA. Hat man denn nirgendwo seine Ruhe vor Kröver Nacktarsch und seinen notgeilen Anverwandten? Mal sachte, denn das Thema ist nicht immer nur strunzdumm von der Palme gewedelt, sondern hat seinen Platz in der Gesellschaft, zumindest versteckt in den Köpfen der Gesellschaft. Dass wir nicht unverblümt darüber reden, bedeutet ja nicht, dass es uns nicht tangiert. Da können sich die ach so offenen Sozialen Medien noch so verkrampft hinter Pixeln einbunkern – die Triebe verschwinden weder mit kaltem Wasser noch mit Kernseife und Scheuerpulver. Und da nun hakt das Künstlerduo Gott&Gilz ein, im Vorfeld mit pXXy PORN und nun mit Buch und Ausstellung Supernatural Beings.
Seitdem die Kunstflugpilotin Beate Uhse 1962 den Steuerknüppel auf den erotischen Zubehörhandel umlegte, hat sich einiges getan in Bratkartoffel Country. Auch wenn sich vieles noch längst nicht getan oder schon wieder umgekehrt hat. Im Rückblick betrachtet, sind die Sexfilme der 60er- und 70er-Jahre (Klassiker: Schulmädchen-Report) nicht peinlich wegen der Nacktheit, sondern vor allem wegen der ungelenken Versuche, um den heißen Brei herum zu reden und zu filmen. Einen weiten Schritt nach vorn – oder wohin auch immer – tut Lars von Trier in seinem Film Nymphomaniac, wenn er dort den Streit zweier dunkelhäutiger Männer verfolgt, die nicht auf die Kette kriegen, wie das nackte Mädel (Charlotte Gainsbourg) vor ihnen im Sandwich zu pimpern sei.
Gott macht Kunst
Gott (Gordan) und (Roman) Gilz befassen sich mit einer vermeintlich überstrapazierten Facette des unerschöpflichen Themas, mit weiblicher Nacktheit. Magenta, Blau und Gelb hüpfen putzmunter von den 202 Seiten ihres opulenten Hardcovers Supernatural Beings, sie umrahmen eine bildnerische Auslese aus mehreren Jahrgängen pXXy. Die Klammer liefert ein aufschlussreiches Essay der Kunsthistorikerin Karina Chernenko in deutscher und englischer Sprache. Zur Beruhigung: Gott heißt und ist nicht wirklich Gott, vielmehr handelt es sich um den Künstlernamen des Kommunikationsdesigners Gordan Nikolić. Der hatte sich 2015 an den Fotografen Roman Gilz mit dem gewagten Wunsch gewandt: „Ich bewundere deine Fotos und möchte sie zerstören.“ Die „Zerstörung“ hatte etwas Warholieskes, sie bestand darin, die hochwertigen Prints des Fotografen mit Farbaufträgen, Kratzern, Knitterfalten und anderen Handgreiflichkeiten zu verändern. 2018 führte das zu einer ersten Ausstellung und zum Beginn von pXXy PORN.
Spannend? Oder längst ausgelutscht? Wie gern wird deklamiert, dass wir im 21. Jahrhundert leben, frei und offen sind, alte Muster glücklich überwunden haben. Mehr als ein Wunschbild ist das nicht. Chernenko führt in ihrem Essay aus, dass spätestens seit der Antike eine Diskrepanz zwischen der Darstellung des nackten männlichen und des nackten weiblichen Körpers besteht. Er darf sein Gemächt stolz und offen präsentieren und geht damit als kraftstrotzender Recke durch, sie hat auch dann das vermeintlich Schmutzige zu verbergen, wenn sie nackt ist. Francisco José de Goyas „nackte Maja“ kneift immer noch schamhaft ein, was erst Egon Schiele vor den Augen Kunstbeflissener auspackte – nur um Schimpf, Schande und Gefängnisstrafe zu ernten. Stünde nicht seine Signatur auf den Zeichnungen und Gemälden, könnte man sich gut auch heute noch den Ausschluss solcher Bilder aus Museen vorstellen. Und befragt man Frauen, sogar gestandene Aktmodelle, dann ziehen sie immer noch die Grenze zwischen Erotik und Pornographie genau dort, wo sich Schenkel zu weit öffnen. Die Kirche ist nicht ganz unschuldig an dieser reflexartigen Abwehr, womit sich die Selbstanalyse befreiten Denkens und befreiter Moral noch ein Quäntchen trübt.
Supernatural Beings and where to find them
Supernatural Beings blickt zurück auf seine pXXy PORN-Hefte seit dem ersten Jahrgang 2018. Die grelle Farbigkeit macht ebenso Freude wie der Variantenreichtum der Fotos und ihrer Verfremdung. Das Buch (202 Seiten, 54 Euro, ISBN: 978-3-96912-185-6) erscheint parallel zur Eröffnung der gleichnamigen Ausstellung am 24. Mai 2024 im Berliner CSR.ART Contemporary Show Room.