Swastika Night
Swastika Night, erschienen 1937, beschreibt Europa mehrere Hundert Jahre in der Zukunft. Der Kontinent und die halbe Welt wird von Deutschland beherrscht. Es ist ein religiöser, autoritärer Staat, der Hitler anbetet, den Sohn des Donnergottes. Und in dem Frauen keine Rechte haben.
„Natürlich können Soldaten keine Männer mit eigenständiger Persönlichkeit sein“ sagte Alfred. „Sie können keine Männer sein. Sie müssen immer Jungen sein.“
Das bemerkenswerte an Swastika Night ist das Erscheinungsjahr. Denn im Gegensatz zu vielen Alternativweltromanen, in denen die Nazis die Welt beherrschen erschien dieser noch während ihrer Herrschaft, zwei Jahre vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs. Die Autorin Katharine Burdekin hat die Ziele und Methoden des Nationalsozialismus erkannt und in eine mögliche Zukunft projiziert. Damit ist Swastika Night genau genommen keine Alternativweltgeschichte sondern eine Dystopie.
Keine Ahnung von nichts
Die Welt von Swastika Night – in der Bundesrepublik erst 1995 unter dem Titel Nacht der braunen Schatten erschienen – ist eine Welt ohne die geringste Ahnung von der Geschichte. Als einzige Bücher existieren das heilige Buch Hitlers und technologische Handbücher. Das einzige Wissen dieser Gesellschaft über die Vergangenheit ist, dass Hitler – ein blonder, übermenschlicher Hüne – die ‚niederen Rassen‘ der Welt unterworfen hat und seitdem das große Deutsche Reich über eine Hälfte der Welt gebietet. Die andere Hälfte ist einem Japanischen Reich unterworfen. Obwohl seit Hitlers Krieg Jahrhunderte vergangen sind, hat es kaum technologischen Fortschritt gegeben. Die Organisation des Reiches ist eher feudal, die herrschende Klasse der Deutschen sind Ritter, die kleinere Rittergüter kontrollieren.
Von Juden hat in dieser Welt kaum jemand gehört – nur die wenigen Christen erzählten sich Geschichten über sie. Die Christen selbst sind eine verfolgte Minderheit, müssen ein rotes Kreuz auf ihrer Kleidung tragen, leben in eigenen Siedlungen und werden als unrein und widerwärtig verachtet. In der Rangordnung dieser Gesellschaft stehen sie ganz unten, über ihnen die Bevölkerung der unterworfenen Länder und darüber die Deutschen – zumindest die Männer. Denn Frauen haben in dieser Dystopie keinen gesellschaftlichen Rang. Ihre einzige Aufgabe ist die Geburt von Kindern. Sobald männlich gelesene Kinder – natürlich ist das Geschlechtsbild dieser Gesellschaft komplett binär und cis-normativ – 18 Monate alt sind werden sie den Frauen weggenommen und wachsen im Haushalt ihres Vaters auf. Denn Frauen und Männer leben hier komplett getrennt. Der einzige Grund zum Frauenviertel einer Siedlung zu gehen ist Sex – Einvernehmlichkeit ist in dieser Gesellschaft nicht möglich – oder das Abholen eines Jungen. Da Frauen hier kaum mehr sind als Nutzvieh, gibt es natürlich auch keine romantischen heterosexuellen Beziehungen. Liebe zwischen Männern gilt dagegen als normal.
When Alfred meets Hermann …
Ob diese Art von Beziehung auch zwischen den beiden Protagonisten Alfred und Hermann besteht, ist nicht ganz klar. Alfred ist ein junger Brite, der sich auf Pilgerreise zum Hitlers heiligen Flugzeug in München befindet und auf dem Weg seinen Freund, den Knecht Hermann besucht. Beide fallen dem Ritter Friedrich von Hess auf, dessen Famile seit Jahrhunderten ein Geheimnis bewahrt. Von Hess hat keine Erben mehr und steht vor der Wahl, das Geheimnis mit ins Grab zu nehmen oder eine Alternative zu finden. Im weiteren Verlauf des Buchs geht es viel um die Gedanken und Folgen, wenn Weltbilder kollidieren.
Swastika Night ist ein bemerkenswertes Buch. Zum einen, weil Burdekin, die das Buch unter dem männlichen Pseudonym Murray Constantine veröffentlicht hat, Ziele des Faschismus wie die Shoa und den Eroberungskrieg klar und deutlich ausformuliert. Denn natürlich hatten Hitler und die Faschisten durch ihre Reden, ihre Taten und ihre Politik klargemacht, was ihre Ziele waren. Auch Wege und Methoden zeichneten sich ab. Was Burdekin in ihrem Buch noch einmal herausstellt ist die ungeheure Frauenfeindlichkeit der faschistischen Ideologie. Das Bild dieser kurzgeschorenen, in sackartige Kleidung gesteckten und von jeglicher gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossenen Frauen treibt die Ideologie von Mutterschaftskult und Unterwerfung auf die Spitze.
Gedanken über Männer und Frauen
Umso erhellender sind die Gedanken von Alfred, dem im Verlauf des Romans langsam dämmert, dass Frauen nicht immer so waren und dass es vielleicht wichtig sein könnte, über sie nachzudenken. Zugleich entdeckt er den Gedanken, dass auch die Männer in dieser Welt nicht frei sind. Sie müssen immer gehorchen, haben keine Wahl und sind somit eigentlich nur kräftige Kinder. Damit formuliert Burdekin, was sich in den letzten Jahren bei der Diskussion um toxische Männlichkeit immer mehr herausgestellt hat – nämlich dass dieses Männerbild auch Männern schadet. Wobei Alfreds Erkenntnisse in dieser dystopifizierten Welt natürlich keine großen Umstürze produzieren. Eher sind es kleine Schritte auf dem Weg in eine weniger schlechte Welt, Funken von Menschlichkeit in einer von Gewalt geprägten Welt.
Natürlich schildert Burdekin in Swastika Night auch Gewalt, die vor allem an die Straßengewalt der frühen Nazi-Jahre erinnert. Stiefel, die auf am Boden liegende eintreten. Die zielgerichtete Brutalität von Vernichtungslagern kommt dagegen nicht vor, nur banale Alltagsbrutalität. Ihre Schilderung einer komplett verrohten Gesellschaft ist nicht immer einfach zu lesen. Aber Swastika Night ist eine faszinierende Lektüre. Sie zeigt, das Geschichtsvergessenheit ein politisches Werkzeug sein kann. Die Erzählung von der ‚guten alten Zeit‘ mutet natürlich harmlos gegen eine komplette Auslöschung der Geschichtsschreibung an, ist aber letztendlich ein erster Schritt in diese Richtung. Je mehr wir über die Vergangenheit wissen, umso weniger kann die Geschichte einseitig von einer politischen Gruppe interpretiert werden. Und Swastika Night ist ein weniger ein Blick auf die Zukunft sondern mehr ein Eintauchen in eine vergangene Zeit, in der der Faschismus vielleicht einfacher zu erkennen war als heute.
Swastika Night ist derzeit in der Originalversion für 3,99 € als E-Book erhältlich.