The Last Waltz
Wie hell funkelt das Jahr 1978 in der Filmmusikgeschichte? Gut, es latschten Millionen in die Kinos, um Saturday Night Fever zu inhalieren. Einige Titel aus dem Soundtrack hielten sich beharrlich in den Charts und blieben bis heute im Radio präsent. Unterdessen kamen auf die Plattenteller „Kreuzberger Nächte“ und „Das Lied der Schlümpfe“, während hochkarätige Regisseure wie in einer Parallelwelt mit Deutschland im Herbst die brisante Lage der germanischen Nation dokumentierten.
Nun behauptet ein Mediabook mit Blu-ray und DVD, aus diesem verwaschenen Jahr Rock’n Roll für die Ewigkeit gekramt zu haben: The Last Waltz. Es handelt sich insofern um eine filmische Eskapade, als sein Regisseur Martin Scorsese doch eher für schwere Erzählkaliber wie Taxi Driver oder Goodfellas bekannt ist. Aber es gehen auf Scorsese auch mehrere Musik-Dokus zurück, gleich drei davon aus dem Dunstkreis von Bob Dylan. Dazu zählt The Last Waltz, in dem Dylan beim letzten Konzert seiner langjährigen Begleiter The Band auf der Bühne stand. Das „Lebensgefühl einer gesamten Musik-Ära“ sei in dem Dokument eingefangen, behauptet das Begleitbuch. Das Abschiedskonzert selbst hatte bereits Ende 1976 stattgefunden, der Film darüber brauchte dann 16 Monate bis in die Kinos. Das abgenutzte und irgendwie bescheuerte Prädikat „bester Konzertfilm aller Zeiten“ hängt ihm an – bescheuert deshalb, weil „alle Zeiten“ wortwörtlich alle Zeiten meint. Machen wir also halblang und sprechen von einem herausragenden Film der Rockgeschichte.
Vielleicht muss man die Ikone Dylan ein wenig mehr kennen und mögen, um der gewagten These folgen zu können. Seit Mitte der 60er tourte er mit der fünfköpfigen Formation The Band, deren Mitglieder trotz ihres Könnens nie als Solostars brillierten. Dylan, oft als Frontmann der Gruppe gesehen, war und ist ein schwieriger Charakter, der immer auch seine Eskapaden auslebte. Die Teilnahme am Film hätte er beinahe verweigert und ließ sich am Ende nur dazu überreden, mit zwei Stücken vertreten zu sein. Dafür gesellten sich zum legendären Abschiedskonzert andere Größen, unter ihnen Eric Clapton, Neil Young, Ringo Starr und Van Morrison. Muddy Waters wird auf dem Booklet fälschlich „Mudday“ geschrieben – leider nur eine von mehreren formalen Schlampereien in dem an sich informativen Büchlein. Es berichtet über Scorseses minutiöse Planung. Der Regisseur habe ein richtiges Drehbuch für ein Ereignis geschrieben, das man heute vielleicht aus dem Bauch und der Situation heraus filmen würde. Von den Texten der dargebotenen Songs habe es eine Verbindung zu Kameraeinstellungen und Beleuchtungen gegeben. Das allein verdeutlicht, dass man sich dieses Werk nicht im Eilschritt einverleiben sollte.
Wer aufmerksam schaut, bemerkt Brüche. Der Auftritt von Emmylou Harris etwa fand gar nicht bei jenem Konzert statt, sondern wurde separat gefilmt. Band-Drummer Levon Helm ist bei kaum einem Interview anwesend. Dafür dominiert Gitarrist Robbie Robertson in fast jedem Dialog – die Person, die überhaupt den Auftritt als Abschiedskonzert eingefädelt hatte. Robertson erzählt Dinge, die sich schwer in einen Zusammenhang bringen lassen. In einer Szene erinnert er sich, wie The Band für einen riesigen texanischen Nachtclub gebucht war und dort Zeuge eines Streits wurde. Erst lange danach hätten sie erfahren, dass der Club Jack Ruby gehört hatte. Punkt. Die Bedeutung kann nur ermessen, wer den Namen Ruby kennt. Er war der Mörder des mutmaßlichen Kennedy-Attentäters Lee Harvey Oswald.
Es lohnt sich also, The Last Waltz zwei- und mehrfach anzuschauen. Das kostet jeweils knapp zwei Stunden und ist mit Englischkenntnissen ergiebiger. Man kann den Film aber auch einfach nur der Kameraführung und der Musik wegen anschauen. Auch das erweist sich als prächtiges Vergnügen.
Fischpott-Disclaimer: Wir haben das Mediabook mit die DVD und Blu-ray sowie Booklet mit Hintergrundinformationen zur Ansicht erhalten.