The Musketeers – BBC
Mit Luke Pasqualino, Tom Burke, Howard Charles, Santiago Cabrera, dem 12. Doctor und der Frau, die beim Red Wedding noch rechtzeitig zur Hochzeitsnacht geschleppt wurde.
Es gibt eine Sache, die Nerd-Sein mit Autist-Sein verbindet. Ich musste beim Kinderarzt mal stellvertretend für eins meiner Kinder einen Autismusfragebogen ausfüllen, bei dem ich glücklicherweise alle Fragen mit Nein beantworten konnte, außer einer. Sie lautete so ungefähr: „Begeistert Ihr Kind sich manchmal übermäßig für ein bestimmtes Thema?“ Oh ja. Aber das ist ja auch erblich bedingt, und ich finde Leute, die ohne Obsessionen auskommen, irgendwie bedenklich.
Ein Gastbeitrag von Judith C. Vogt, Fantasy- und Steampunk-Autorin aus Aachen.
Ich jedenfalls ziehe mich im Alltag von einer Obsession in die nächste, das Leben wäre ohne so viel langweiliger. Ich habe oft noch Obsessionen, die aus meiner Kindheit oder Jugend plötzlich noch mal aufploppen und einfach immer noch toll sind! Beispiel: Monkey Island. Gott. Ich liebe Monkey Island, seit ich zwölf bin. Okay, das vierte Spiel ist eine Ausnahme, aber ich kann mir stundenlang das LeChuck-Theme auf Klavier bei YouTube anhören.
Oder zum Beispiel Robin Hood. Als Kind habe ich immer, wenn ich sturmfreie Bude hatte, eine total ausgelabberte Videokassette eingelegt, auf der die aus dem Fernsehen aufgenommene Fassung von Robin Hood – König der Diebe drauf war. Ich kann den immer noch mitsprechen, ich sehe das Intro mit dem Teppich von Bayeux vor mir … Seitdem habe ich mir so ziemlich jede Version von Robin Hood reingezogen, die ich finden konnte – in Buchform, in Filmform. Aber eine habe ich übersehen. Die alte BBC-Serie. Ich habe sie demzufolge erst recht spät auf DVD entdeckt, als mein Mann meinte: „Was, die kennst du nicht?? Die müssen wir gucken, die ist großartig!“ Manche werden sich jetzt erinnern. Ach ja. “Robin of Sherwood”. Clannad singen: „Roooobin – the hooded maaan!” Eigentlich präsentiert die Serie ein Graue-Lumpen-Mittelalter, aber Selbiges war nie schöner. Einziger Wermutstropfen sind vielleicht die 80er Jahre-Frisuren.
Aber die Überschrift, werdet ihr jetzt sagen – in der Überschrift steht The Musketeers! Moment, ich schlage gleich den Bogen. Jedenfalls gibt es ja von wenigen Dingen ähnlich viele Interpretationen wie von Robin Hood (Ja, singt es ruhig: „Roooobin – the hooded maaan!“). Eines dieser wenigen Dinge sind Die drei Musketiere von Alexandre Dumas.
Ich habe meine Mutter mehrere Karnevalsjahre hintereinander in die Verzweiflung getrieben, weil ich mich als Grundschülerin weigerte, während der „tollen Tage“ etwas anderes als das Blau des französischen Königs anzulegen – und einen großen Hut. Mit Feder. „Aber ich habe doch so ein schönes Blumenfeenkostüm für dich!“ „En garde, Mama!“
Jedenfalls war meine Musketier-Obsession nicht ganz so ausführlich wie meine Robin-Hood-Obsession, aber groß genug, um Anfang des Jahres (2014) mal in diese BBC-Serie reinzulinsen. BBC-Serien sind ja schon ab und an ganz gut, nicht wahr, und dieser Typ, den sie als 12. Doctor gecastet haben, spielt da auch mit.
Wir haben am gleichen Abend übrigens zuerst Black Sails geguckt. Aber das fanden wir einstimmig doof. Zu wenig Monkey Island drin. Jedenfalls, nun endlich zu dieser BBC-Serie (die Romanvorlage habe ich während der 10 Wochen, in denen die 10 Folgen liefen, übrigens auch noch mal gelesen.):
Die beste Nachricht ist: Es gibt keine 80er-Jahre-Frisuren, dafür aber alle möglichen Variationen von Bärrrten. Ich persönlich finde Bärrrte ja super. Das graue-Lumpen-Mittelalter von Robin of Sherwood hat sich in eine abgewetztes-Leder-und-Nieten-Neuzeit verwandelt, die dem authentischen Blick sicherlich nicht standhält, das ist aber egal, weil alles so schweinecool aussieht. Ich meine, diese knallblauen Typen mit den Federhüten – mal ehrlich, das war an Karneval kleidsam, aber so dauerhaft gewinnt man den Kerlen mit dem abgewetzten Lederzeug irgendwie mehr ab.
Paris liegt neuerdings in Tschechien, weswegen wir in der Serie großartige alte Kulissen aus Prag und dem Prager Umland zu sehen kriegen, und alles wirkt irgendwie ein bisschen greifbarer und schmutziger und ein bisschen weniger Hollywood als Hollywood.
In der ersten Folge werden eigentlich alle Prota- und Antagonisten durchaus treffend charakterisiert – das ist, wie ich finde, wichtig, denn der Vorspann (dessen Musik übrigens noch viel großartiger ist als Roooobin – the hooded maaan) weist schon darauf hin: „Based on characters of Alexandre Dumas“. Nicht „based on the novel“ oder so etwas – die Serie weicht an vielen Stellen maßgeblich vom Roman Die drei Musketiere ab. Ich empfand das auch während der nachgeholten Lektüre des Romans nicht tragisch, denn die Serie fängt die Charaktere sehr gut ein, hat den gleichen Witz wie die wirklich aberwitzige Romanvorlage und hangelt sich in einem größeren Story- und Spannungsbogen von Folge zu Folge mit dem „Conflict of the week“. Es sind also eigentlich verhältnismäßig abgeschlossene Episoden, außer, dass der Konflikt zwischen dem Kardinal inklusive Mylady de Winter und den Musketieren sich bis zur zehnten Folgte zuspitzt.
Damit entspricht The Musketeers eigentlich eher dem Strickmuster älterer Serien: Sex und Gewalt befinden sich in moderatem Rahmen, es gibt eigentlich keine Füllfolgen, in denen „nur“ die Figuren für den großen folgenübergreifenden Plot in Position gebracht werden. Ich mag beide Arten von Serien, habe aber bei The Musketeers festgestellt, dass ich die „altmodische“ Variante in den letzten Jahren ein wenig vermisst habe.
Nun aber zu den Charakteren. Der Kardinal ist dabei vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte der Musketier-Verfilmungen nicht einfach der böse Bösewicht, der König anstelle des Königs werden will, sondern wie im Roman ein Mensch, der das Wohl des Staates auf sehr verdrehte Art und Weise im Sinn hat. Also, klar, manchmal will er die Königin töten und all so was, aber dabei geht es ihm eigentlich immer nur um Frankreich. Peter Capaldi, der nur in der ersten Staffel mitspielt, da er während des Drehs der im Januar in Großbritannien startenden zweiten Staffel dringende Verabredungen als Timelord einhalten musste (schluchz), spielt Kardinal Richelieu dabei mit einer so einschüchternd-manischen Präsenz, dass man ihn einfach lieben muss. Ich mag ihn als Kardinal sogar lieber als als Doctor.
Aber auch die anderen Charaktere werden prägnant ein- und dann über die Folgen verteilt weitergeführt, wobei die Folgen meist einen Schwerpunkt auf einen der drei Musketiere und / oder „Baby-Musketeer“ D’Artagnan legen. Dabei kriegt selbst Porthos, der im Roman eher plump ist und ein wenig auf das „Comic Relief“ reduziert bleibt, eine Vorgeschichte, die ich sehr gelungen fand. Da gab’s anfangs dann wohl auch mal wieder ein „Aaaah, warum ist der denn schwarz??“ in Internetkommentaren, aber ich finde diese Idee ziemlich passend, da auch Alexandre Dumas‘ Mutter Nordafrikanerin war, weshalb der von Howard Charles gespielte Porthos nicht nur in sich Sinn ergibt, sondern auch als Hommage an den Schriftsteller.
Aramis, der olle Herzensbrecher, dessen Darsteller Santiago Cabrera vorher wohl schon als Lancelot einschlägige Erfahrungen mit Königinnen sammeln konnte (ich habe Bilder der Serie „Merlin“ gesehen, aber mich nicht überwinden können), erhält gleich in seiner ersten Szene die Charakterisierung, die man von Aramis erwartet – und dennoch verleihen ihm seine Vorgeschichte und seine Schwäche für Königin Anne ein paar Facetten mehr. Dabei übernimmt er zumindest in der ersten Staffel (wer weiß, was noch kommt?) ein wenig den Part des Herzogs von Buckingham, der im Buch die Affäre mit der Königin hat.
Am gelungensten ist ohne Frage Athos, gespielt von Tom Burke, und, eng mit diesem Charakter verknüpft, Mylady de Winter. Die beiden sind ein wahres Dreamteam, was ihre so eklatant gescheiterte Vergangenheit und deren Nicht-Bewältigung angeht. Und hat der Athos im Buch noch relativ spontan seine gebrandmarkte Gattin aufgeknüpft, was für heutige Leser etwas … eigenwillig … anmutet, hat er in der Serie immerhin die Ausrede, dass sie seinen Bruder tötete, um ihr Geheimnis zu bewahren.
Tom Burke gibt dem Charakter dabei genau die richtige Mischung aus Melancholie, Selbstzweifel, Wut und Unberechenbarkeit, die Athos ausmacht.
Geheimnisse hingegen sind die Spezialität von Mylady de Winter (Maimie McCoy), und so hat sie dann auch eins mit D’Artagnan, der in der ersten Folge in einem Gasthaus einkehrt, um den gewaltsamen Tod seines Vaters zu verdauen. Es geht schon rasch zur Sache zwischen Mylady und D’Artagnan, was mit einem Mord, einem Sprung aus dem Fenster, einer Verfolgungsjagd und einem Alibikuss mit dem dritten interessanten Frauencharakter im Bunde endet: Mit Constance Bonacieux (Tamla Kari). Constance, unglücklich verheiratet, nimmt den verletzten Jungspross aus der Gascogne als Untermieter auf, während dieser eigentlich nur nach einer durch den Kardinal eingefädelten Rache an den Musketieren sinnt, bevor er sich auf deren Seite schlägt und seine Laufbahn als Musketeer-Apprentice einschlägt. Daraufhin wird gefochten, geschlagen, geschossen – und es explodiert auch ziemlich viel, gerade in der zweiten Folge. Wer also findet, dass Musketiere nicht mit Musketen schießen sollten, ist in dieser Serie falsch. Wer Freude an alt und speckig aussehenden Waffen hat und Pirouetten bei Fechtkämpfen nicht übel nimmt (ich nehme das eigentlich übel, aber den Musketieren verzeihe ich alles), ist hingegen bei The Musketeers richtig. Wer auf scharfzüngige Dialoge, Molotow-Cocktails bauende Nonnen und Gaius Baltar aus Galactica als schmierigen Sklavenhändler steht, kommt ebenfalls auf seine Kosten.
In The Musketeers, so vermutet man, geht es größtenteils um Männer (der König! Ich hab den König noch nicht erwähnt! Ryan Gage spielt ihn ein wenig so, als säße Sheldon Cooper auf Frankreichs Thron, und für seine herzerweichende Naivität hat er eigentlich ein Sondersternchen verdient). Aber sowohl die Serie als auch das Buch lebt ebenfalls von den anwesenden Damen, die sich alle auf ihre Art und Weise nicht damit zufrieden geben, hübsch auszusehen und das Love Interest (oder die düstere Vergangenheit) der Männer darzustellen, sondern die durchweg interessante Frauencharaktere sind, ohne dabei, wie im 3D-Film Die drei Musketiere als Karate-Uschis durchs Bild zu springen.
Wozu ich in dieser Rezension leider nichts sagen kann, ist die deutsche Synchronisation, beziehungsweise die Aufmachung und den Umfang der deutschen DVD oder Blu-ray. Ich besitze die englische Blu-ray und rechne es der BBC hoch an, dass diese einen Tag nach dem Staffelfinale erhältlich war – nicht, wie das bei anderen Serien häufig der Fall ist, ein Jahr später (*schiel Richtung HBO*). Die englische Blu-ray hat hübsche Extras und Making-ofs – und ja, ich habe sie ALLE gesehen (hiermit möchte ich entschuldigend auf den Anfang verweisen, wo ich über Obsessionen geschrieben habe …). Außerdem ist die englische Fassung – na ja, auf Englisch. Und zwar in lupenreinem britischem Englisch, und das höre ich einfach immer sehr gern. Und ja, natürlich ist die Sprache des Originals Französisch, weswegen es eigentlich egal sein sollte, ob die jetzt britisches, amerikanisches oder pusemuckeliges Englisch sprechen, und natürlich spricht man das Greenhorn aus der Gascogne nicht D‘Artänjen aus, und Athos und Porthos sprechen sich auch eigentlich ohne –th. Aber bei der BBC ist all dieses Britische so unsäglich charmant, dass ich mich darauf freue, Anfang 2015 die zweite Staffel obsessiv konsumieren zu können – nur echt mit britischem Dialekt!
Der als Timelord abgeworbene Kardinal wird ersetzt durch den neuen Antagonisten Rochefort, D’Artagnans Erzfeind aus Meung, gespielt von Marc Warren – mal sehen, wie das so ist. Athos fasst es im Trailer jedenfalls schon mal zusammen: „With the cardinal gone, I thought our world would be safer. Now I’m not so sure.”
Ich weiß, dass diese Rezension schon 4 Jahre alt ist, aber ich habe sie heute erst zufällig entdeckt und muss dir unbedingt mitteilen, dass ich sie großartig finde!
Lieben Gruß
Aaaawww, danke! Ich muss die Serie dringend rewatchen, sie ist immer noch eine meiner Lieblingsserien ever. 😀
Und auf einmal wurde mir da die BBC Serie „The Musketeers“ empfohlen… Passend dazu lese ich diese wunderbare Rezension.
Diese Rezension hat ebenso viel Humor, Witz und Charme wie die Serie.
Die ein- oder andere Obsession macht das Leben doch erst richtig lebenswert.
Liebe Grüße