To Kill the President – Der Präsident von Sam Bourne
Skurril: Während zwischen Nordkorea und den USA die Wortbomben hin- und herfliegen, fällt mir To Kill the President – Der Präsident von Sam Bourne in die Hände. Das Buch zum realen Horror, das von einem drohenden nuklearen Erstschlag der USA gegen Nordkorea erzählt. Was ein Timing – wer kann dazu schon nein sagen!
So viel vorweg: Der Präsident von Sam Bourne trägt keinen Namen. Zufälligerweise ist er allerdings jemand, der seine Nächte gerne auf Twitter verbringt. Einer, der selten mehr als 140 Zeichen am Stück liest. Der es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, dabei seine Opponenten der Fake News bezichtigt. Ein aufbrausender Geschäftsmann, ohne politische Erfahrung, der das Land spaltet. Weil er ein Rassist und Sexist ist. Der dummerweise als Commander in Chief aber auch die Nuklearcodes des Landes in Händen hält.
Am Rande der Vernichtung der Welt
Als ihn eines Nachts die Nachricht erreicht, Pjöngjang habe ihn als Papiertiger, Feigling und kleinen Mann bezeichnet, stürmt der Präsident ohne Namen in den Situation Room des Weißen Hauses und befiehlt den nuklearen Erstschlag. Und das nicht nur gegen Nordkorea. In seinen Augen sind Details wie die Grenzen anderer völlig überbewertet. Also wählt er als Ziel gleich die gesamte Region, China inklusive.
Nun haben seine Mitarbeiter von seiner Tochter gelernt. Ein Nein akzeptiere ihr Vater nicht, hat sie ihnen erklärt. Besser, ihn zu bestärken: Wunderbare Entscheidung! – und ihm zu verkaufen, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt noch wunderbarer wäre. Auf dass er das Ganze bis dahin wieder vergessen hat. Akut weiß ein junger Analyst Rat: Auf den letzten Drücker verkündet er, Pjöngjang habe kapituliert und demütigst um Entschuldigung gebeten. Der Präsident lässt sich davon beeindrucken und befiehlt den Abbruch. Doch was tun, wenn es einen von beiden nächste Woche wieder juckt? Immerhin weiß Nordkorea noch gar nichts von der Kapitulation.
Das Peter Prinzip im Weißen Haus
Stabschef Kassian und Verteidigungsminister Bruton haben sich schon daran gewöhnt, immer wieder hinter dem einen aufzuräumen, der nach dem Peter Prinzip in die Stufe der Inkompetenz aufgestiegen ist. Allerdings war ihre Not noch nie so groß. Nur Sekunden trennten sie von der Vernichtung der Welt. Und das wegen einer dümmlichen Provokation. Als erstes gilt es also, Nordkorea tatsächlich davon zu überzeugen, den verbalen Rückzug anzutreten. Dafür trifft Kassian einen chinesischen Diplomaten und legt die Karten auf den Tisch. Erkauft sich auf diese Weise wenigstens fünf Tage, in denen die Chinesen Pjöngjang bändigen wollen. Und er Zeit hat, das Potus-Problem zu lösen.
Die offensichtliche Option ist da natürlich die Anwendung des 25. Verfassungszusatzes. In dem geht es bekanntlich nicht nur um die physische, sondern auch um die psychische Gesundheit des Amtsinhabers. Doch der verantwortliche Arzt nimmt es mit dem hippokratischen Eid verdammt ernst. Sicher, der Präsident erscheint alles andere als stabil. Aber ist das eine Diagnose? Wie der Arzt sich letztlich entscheidet, bleibt offen. Denn nur wenige Stunden später begeht er gänzlich unfreiwillig Selbstmord. Und die beiden Verschwörer gelangen zu der Erkenntnis, dass nun nur noch das ultimative Ende dieser Präsidentschaft die Welt retten kann.
Maggie zwischen Pest und Cholera
Während Kassian und Bruton die Ermordung des Präsidenten planen, untersucht Hauptfigur Maggie Costello den vermeintlichen Selbstmord des Arztes. Den Auftrag hierzu hat sie von ihrem Vorgesetzten McNamara erhalten, dem Chefstrategen des Präsidenten. Allein für diesen Chauvinisten zu arbeiten ist für Maggie nahezu unerträglich, vom großen Boss ganz zu schweigen. Dennoch ist sie, die bereits für den vorherigen Präsidenten tätig war, im Gegensatz zu so vielen Kollegen im Weißen Haus geblieben. Und repräsentiert das gute Gewissen, von dem hier nun keiner mehr etwas wissen will.
Als ihre Recherchen sie zu der Erkenntnis führen, dass zwei ranghohe Mitglieder der Administration ein Attentat planen, findet sie sich inmitten von Pest und Cholera wieder. Ein Attentat kann nicht die Antwort der Demokratie sein. Aber selbst wenn ihr Gewissen geschmeidig genug wäre, dies in Erwägung zu ziehen – mindestens fünfzig Prozent der Bevölkerung würden auf die Barrikaden gehen und die andere Hälfte verantwortlich machen. Bürgerkrieg wäre die Folge. Eine andere Lösung muss also her. Doch wie soll die aussehen? Und wie soll sie diese finden, zumal sie zunehmend selbst unter Beschuss gerät?
Zu absurd, um spannend zu sein?
Es ist noch nicht allzu lange her, da wäre ein solcher Roman einfach nur absurd und entsprechend mäßig spannend gewesen. Nun hat aber zwischenzeitlich das Leben seinen eigenen absurden Roman geschrieben. Stellt sich also die Frage, was die Intention des britischen Journalisten Jonathan Freedland alias Sam Bourne war, als ihm die Idee zu der Geschichte kam, die kaum ein halbes Jahr nach der US-Wahl erschien. Ich kann nur vermuten, dass der Grundstein bereits vor der Wahl gelegt wurde. Alles andere wäre arg sportlich, denn normalerweise fließt von der Idee zum fertigen Buch einiges an Wasser den Rhein (und sicherlich auch den Potomac River) herunter. Ahnte der Washington-Korrespondent damals, wie real seine Fiktion werden könnte? Drückte er gar dem Amtsinhaber bei der Wahl die Daumen? Mit einer demokratischen Präsidentin wäre die Geschichte jedenfalls nicht mehr halb so interessant.
Zu real, um noch amüsant zu sein?
So aber verwirrt sich schnell so einiges. Was ist hier real, was Fiktion? Sicher, an mancher Stelle wirkt die Handlung arg konstruiert und die Figuren eher eindimensional. Aber gerade das macht die Lektüre amüsant. Dankenswerterweise amüsant, weil damit auch erträglich. Denn spätestens, wenn der Chefstratege über den Boss spricht und sein Bild der vorrangig männlichen Wählerschaft zeichnet, gefriert einem das Grinsen im Gesicht:
»He’s a dream come true. He’s like America, when it started, when white dudes could ride around this country on horseback, shooting Indians and screwing the squawes, taking whatever land they liked and dragging along some negro on the end of a rope to do the dirty work. I mean, who wouldn’t want that, if they could get away with it? (…) And now, after all these years, along comes this guy and he says: „Damn right. That’s how it should be. And that’s how it will be again.(…)“«
The Most Explosive Thriller of the Year
Das englische Zitat macht deutlich: Mir fiel das Original in die Hände. Nicht ahnend, dass zu dem Zeitpunkt bereits die deutsche Übersetzung veröffentlicht war. Doch die hätte ich wahrscheinlich gar nicht in Augenschein genommen. Und zwar wegen des schlichten Titels. Der Präsident von Sam Bourne, das klingt wie ein Buch von John Grisham mit Pseudonym. To Kill the President hingegen, das dann auch noch mit dem völlig größenwahnsinnigen The Most Explosive Thriller of the Year auf dem Titel. Zu einer Zeit, da sich zwei gegenseitig ständig bekunden, sie würden einander aber mal so richtig ausradieren wollen. Selten ist mir eine Kaufentscheidung so leichtgefallen. Und bereut habe ich sie auch nicht. Sicherlich war das nicht meine beste Lektüre des Jahres. Aber explosiv ist Der Präsident von Sam Bourne allemal.