Triebwerk 9
Zur Kunst getrieben
„Comic kommt mir manchmal vor wie ein altes Medium aus einer alten Welt.“
S. 5, Triebwerk 9
Die Comic-Anthologie Triebwerk erscheint regelmäßig mit Werken von Studierenden der Kunsthochschule Kassel und Triebwerk 9 ist die aktuelle Ausgabe aus dem Juli 2020. Wie das Zitat zeigt, besteht eine gewisse Distanz zwischen den Künstler*innen und Opas Medium klassische Comics aka Ligne claire und Funnys. Was kann diese Distanz überbrücken?
Liebe
Vielen der kurzen Comics ist die Liebe zum Detail anzumerken. Etwa wenn der Rockstar Shawn in Inga-Lisa Burmesters Geschichte Intergalaktisches Dating TikTok und Insta bedient oder die Pizza-Lieferantin in Karen Hertfelders Lieferung durch immer höhere Fluten radelt. Die Liebe zum Geschichtenerzählen zeichnet sich ab, wenn Der Sprachschütze von Jiaqi Hou auf Sprechblasen anlegt. Oder Träume von Teenagerliebe in Samira Franks Es gibt da diesen Jungen … zerplatzen.
Schmerz
Die Binsenweisheit „Großer Schmerz erzeugt große Kunst“ finden wir in jedem zweiten Glückskeks. Aber falsch ist sie ja nicht, und deswegen finden wir in Triebwerk 9 auch Geschichten vom großen und kleinen Unglück. Vom mittelalterlich illustrierten Leben ist Leiden von Jonas Töpfer über das in reduziertem Strich gezeigte Das Weh von Maryam Soleimanirad über die Anpack-Parabel Innendrinne Schimmelig von Marlene Ochs.
Zweifel
Und ein Zitat zu Kunst und Zweifel findet sich gewiss beim Googlen, bitte selbst suchen. Selbstzweifel und Verzweifeln an der Welt im Allgemeinen gehören seit ehedem zur Kunst. In Iván McGills My School bricht sich der Zweifel an der Institution Kunsthochschule seine Bahn, in Abserviert von Melanie Lüdtke zweifelt die Protagonistin an der Absicht des Lächelns einer Kellnerin, in Ich bin raus. von Georgina Mae Mowwe zweifelt die Erzählerin an der Ehrlichkeit ihres Vaters.
Und Triebwerk 9?
Erweckt das aktuelle Triebwerk Liebe, Schmerz oder Zweifel? Die Anthologie stupst das alte Medium Comic mit einem Stock an, und siehe, es rührt sich. Allein das schon ist unzweifelhaft liebenswert. Und wie es sich für eine Anthologie gehört, ist auch Triebwerk 9 eine bunte Tüte Allerlei. Was nicht gefällt, kann man ja überblättern oder einen zweiten Blick drauf werfen. Ein erster Blick ins Buch lohnt sich aber auf jeden Fall.
„Triebwerk 9“. Rotopol und Kunsthochschule Kassel, Kassel, 17 €