Turbo Kid
Die postapokalyptische Welt scheint immer einen von zwei Quantenzuständen anzunehmen: deprimierend düster oder manisch mit Vollgas, The Road oder Fury Road. Wenn ein Film Turbo Kid heißt und als „Mad Max auf BMX-Rädern“ angepriesen wird, dann ist Düsternis weit entfernt.
Es ist 1997, die Zivilisation ist weg und brutzelt in der Nachhitze der atomaren Apokalypse. The Kid (Munro Chambers) lebt in einem Bunker, nicht weit von einer kleinen Siedlung unter dem Schutz von Frederic dem Arm-Wrestler (Aaron Jeffery). Kids großer Held ist Turbo Rider, dessen Abenteuer er in alten Superheldencomics nachliest. Aber wie das nun einmal so ist im Ödland, gibt es immer einen ganz Bösen, der eine Horde gewaltgeiler Schergen in Rockeroutfits um sich schart und die Region tyrannisiert. Der ganz Böse ist Zeus (Michael Ironside). Seine rechte Hand ist ein stummer Kämpfer mit eiserner Schädelmaske und Kreissägen-Arm namens Skeletron (Edwin Wright, zuletzt als Kopfgeldjäger im Priestergewand im hervorragenden Neo-Western Slow West zu sehen). In seinem Hauptquartier veranstaltet Zeus gerne Pool Partys, Gladiatorenkämpfe in einem trockengelegten Schwimmbecken.
In Love with Apple
Das ist an und für sich kein Problem für Kid, wenn er nicht gerade Apple (Laurence Leboef) kennengelernt hätte. Das Mädchen mit dem manischen Grinsen hat sich den bunkerbewohnenden Teenager als neuen Freund ausgesucht. Prompt, nachdem auch Kid seine Zuneigung zu Apple entdeckt hat, wird sie von einem von Zeus’ Schergen entführt. Der Junge hätte schlechte Karten gegen die gewaltgeilen Rocker, findet aber einen Powerhandschuh (ein alter NES Power Glove), ähnlich der Superwaffe seines Helden Turbo Rider. Damit lassen sich Gegner recht eindrucksvoll in blutigen Matsch verwandeln. Mutig bricht er als Turbo Kid auf, um Zeus die Stirn zu bieten.
So viele Eingeweide …
Turbo Kid ist ein Liebesbrief an das postapokalyptische Genre. Ein Liebesbrief, geschrieben mit bunten Wachsmalstiften, ungefähr ein Drittel davon blutrot. Diverse Techniken der Menschenentsaftung spielen eine große Rolle und werden frohgemut zelebriert, von der Ausweidung durch Fahrradrad bis zum wandelnden Torso-Totem. Munter feiert das Regie- und Drehbuchtrio François Simard, Anouk Whissell und Yoann-Karl Whissell auch die Tropen und Klischees der nachzivilisatorischen Ödlanderzählung ab. Säureregen, Mutantenratten (kommen viel zu kurz, aber vor), Roboterfriedhöfe, Schrottcyborgs, Kannibalismus, Rockergangs, DIY-Waffen, eine Todeszone, Relikte aus der guten alten Zeit … kaum etwas wird ausgelassen.
Rider heißt jetzt Kid
Bei diesem ganzen augenzwinkernden Abfeiern kommen die Charaktere deutlich zu kurz. Sie sind Abziehbilder, die weder eine echte Entwicklung durchmachen noch den Zuschauenden besonders ans Herz wachsen. Kid ist zu unbedarft, Apple zu manisch, Frederic zu cool und Zeus zu böse, um sie interessant zu finden. Vielleicht liegt das daran, dass Turbo Kid das auf Spielfilmlänge gebrachte Remake eines handgemachten Kurzfilms ist. Auf Vimeo kann man sich T Is For Turbo ansehen. Die Vidüre ist wahrscheinlich ein guter Lackmustest: Wer den Kurzfilm mag, könnte Turbo Kid lieben. Für alle anderen bleibt unterm Strich ein netter kleiner splatteriger Endzeitfilm (mit einem tollen Synthie-Soundtrack von Le Matos übrigens), auf den das Label Kult allerdings nicht zutrifft.
Disclaimer: Fischpott hat eine DVD als Rezensionsexemplar erhalten.