Weathering With You – Das Mädchen, das die Sonne berührte
Makoto Shinkais neuer Film Weathering With You – Das Mädchen, das die Sonne berührte (Originaltitel: Tenki no ko) bricht alle Rekorde an der Kinokasse, die Shinkais letztes Werk Your Name aufgestellt hatte. Doch kann die Story rund um die wundersamen Begebenheiten eines verregneten Sommers in Tokyo mit der von Shinkais letztem Werk mithalten? Oder ist der Vergleich vergleichbar mit dem von Äpfeln und Birnen und daher vergleichsweise nutzlos? Eins steht schon in den ersten Minuten fest: Optisch hat der Film alle Preise und Blumen verdient! Bevor wir aber in Lobhudelei der visuellen Schlagkraft des Werks abdriften, fangen wir doch mit einer spoilerfreien Synopsis an.
Streuner im Regen
Der 17jährige Hodaka Morishima hat das Dorfleben auf der Insel satt und haut von zuhause ab. Ziel: Selbstverständlich Tokyo. Und wo wird er im wahrsten Sinne des Wortes angeschwemmt? Kabukicho, das Erwachsenen-Amusement- und Rotlichtviertel der Millionenmetropole. Dort wird er nach einigen teils gefährlichen Zusammentreffen mit ortsansässigen Halunken von Keisuke Suga aufgelesen. Keisuke veröffentlicht ein lokales Stadtmythen- und Yakuzatratsch-Heftchen und führt seinen eigenen kleinen Verlag vom schmuddeligen Wohnbüro aus. Hodaka, der lediglich für Kost und Logis von Keisuke unter die Fittiche genommen wird, kommt mithilfe seiner offenherzigen Mitarbeiterin Natsumi schnell in die Arbeitsroutine.
Die Suche nach ‚little Miss Sunshine‘
Aus Mangel an anderen reißerischen Stories werden Hodaka und Natsumi darauf angesetzt, ein sogenanntes Sonnenscheinmädchen zu finden. Der viele Regen geht den Lesern ans Gemüt. Da ist doch eine junge Frau, die die Sonne scheinen lässt, genau das Richtige für die Jahreszeit– das denkt sich zumindest Redakteur Keisuke. Nach längerer Suche und allerhand praktischer Zufälle trifft Hodaka schließlich sein Sunshinegirl. Die junge Hina Amano scheint tatsächlich mit einem Gebet die Wolken vertreiben zu können. Die beiden beschließen, nicht nur eine Story, sondern ein Geschäft daraus zu machen: Hochzeit? Gartenparty? Preisverleihungen? Ein Anruf beim Sonnenscheinmädchen und für eine kleine Gebühr ist gutes Wetter garantiert. Natürlich ziehen dunkle Wolken auf am Horizont des perfekten Plans des jungen Paars und Hodaka wird sich für Hina schon bald vom Regen in die Traufe stürzen müssen.
Hare onna
Der Film setzt voraus, dass man die Konzepte hare onna/otoko und ame onna/otoko (übersetzt in etwa Sonnenscheinfrau/-mann, Regenfrau/-mann) kennt, oder zumindest schnell versteht. Das ist im Prinzip auch ohne jegliches Vorwissen problemlos möglich. Auch außerhalb Japans ist das Bild, dass einer bestimmten Person Regenwolken oder Sonnenstrahlen folgen, geläufig. Und das ist es auch schon, worauf der Film aufbaut, bloß das hier die Funktion der Sonnenscheinlady mythologisch aufgepolstert ist: Die örtliche Miko ist verantwortlich für gutes Wetter im Ort.
Auch das traditionelle japanische Wetterpüppchen teru bozu spielt bei der Verwebung von Mythos und moderner Großstadt in Weathering With You eine Rolle. Es schadet nicht, das Gutwettermaskottchen schon einmal gesehen zu haben, um Aspekte des Films besser zu verstehen. Die Filmhandlung orientiert sich zudem an einer ganz bestimmten Interpretation des Wetterpüppchens. Doch Vorsicht, der angegebene Link ist in Bezug auf die Filmhandlung nicht ganz spoilerfrei!
Vor himmelgrauem Hintergund
Absolut glänzend ist die Präsentation Tokyos. Das subtil verruchte Kabukicho erstrahlt in aller Glorie und die düstere Seite des Entertainmentviertels wird auch angeschnitten. Die Stadt und das Wetter über der Stadt ist, was Weathering With You (im Folgenden WWY) zu einer Tour de Force der Animationskunst macht. Regen zu animieren ist schwer. Das fällt uns spätestens dann auf, wenn wir bemerken, dass jeder Animationsfilm, der was auf sich hält, unauffällig eine Regenszene zum Angeben in die Handlung mogelt.
Und Regen ist, worum es vorrangig in WWY geht. Die Gradwanderung zwischen Mystik und Realismus ist ähnlich interessant präsentiert wie in Your name, doch rutscht die Handlung beinahe ein wenig in den Hintergrund des regennassen Tokyo-Tableaus. Die Charakterisierung der zwei Protagonisten ist gelungen und es gibt auch darüber hinaus liebenswerte Nebenfiguren. Dennoch werden vielleicht so manche nicht so richtig warm werden mit der etwas zu zuckrigen, und etwas zu dramatisch inszenierten Teenage-Lovestory.
Your name: auffällige Ähnlichkeiten
Eigentlich ist ein direkter Vergleich nicht fair. Dennoch fällt es schwer, die Ähnlichkeiten mit und Unterschiede zu Your Name außer Acht zu lassen. Die beiden Filme sind grundsätzlich nicht vergleichbar, oder sollten es zumindest nicht sein, da die Werke nicht aufeinander aufbauen. Aber es finden sich viele Elemente in ähnlicher Komposition mit vergleichbaren Handlungspunkten wieder, so dass sich ein Vergleich nahezu aufdrängt. Die strukturellen Ähnlichkeiten sind nicht störend, aber fallen auch nicht gerade positiv auf.
Das grobe Gerüst des Films ist vom Vorgänger bekannt: zwei noch nicht ganz erwachsene Menschen und deren zerbrechliche Verbindung scheint bedroht von fantastischen Begebenheiten und unkontrollierbaren Naturkatastrophen. Der Alltag wird zum Abenteuer und einfache Leute zu Helden. Am Ende gibt’s die Versöhnung von Individuum und Universum, inklusive psychedelischer Episode. Auch Charaktermodelle lassen sich grob wiederfinden.
Ganz besonders die immer stärker werdende Verbindung zwischen den Hauptfiguren ruft Erinnerungen zum Vorgänger wach. Selbstverständlich gibt es genügend Unterschiede, so dass die Ähnlichkeiten nur subtil auffallen. Die Verbindung der beiden Hauptcharakter ist in Your Name stärker, aber gleichzeitig mit mehr Distanz präsentiert. Das bringt selbstverständlich die Prämisse des Films ganz natürlich mit sich, werden diejenigen sagen, die den Film gesehen haben.
Es stellt sich die Frage, ob sich hier wiederkehrendes ein Thema durch die neueren Werke Shinkais zieht, oder ob identisch erscheinende Elemente auf ein wiederverwendetes ‚Rezept‘ für den Erfolg des Vorgängerwerks verweisen. Der Gedanke, dass hier versucht wurde, den Erfolg von Your Name zu reproduzieren ist zwar nicht ganz abwegig, aber längst kein Grund, den bezaubernden Film zu meiden. Der surreale Blick auf die verregnete Metropole alleine ist es wert, sich WWY anzuschauen.
Makoto Shinkai als Klima-Botschafter: ja, nein oder egal?
Zuletzt noch ein kurzer Blick darauf, ob sich eine vermeintliche Absicht des Autors in die Thematik des Film hineinlesen lässt: In Pressestimmen zu WWY liest man gerne, dass der Film eine moderne Fabel auf den Klimawandel sei. Doch steht hier wirklich das Thema menschengemachter Klimawandel im Vordergrund? Objektiv betrachtet handelt es sich um einen modernisierten Mythos, in dem Politik und aktuelles Weltgeschehen fast keine direkte Erwähnung finden.
Würde man nun mit ungetrübtem Blick eine Stellungnahme zum Klimawandel in Shinkais Werk suchen, müsste man eigentlich feststellen, dass der Film letztlich menschliche Beziehungen als wichtiger einstuft als klimatisches Gleichgewicht. Zudem wird mehrfach laut ausgesprochen, dass die Welt (und das Wetter) schon immer verrückt gespielt haben. Unter anderem wird diese Aussage kanalisiert durch die autoritäre Stimme eines weisen Schrein-Opas. Die menschliche Existenz sei nur ein Staubkorn im Fluss der Zeit. Und nein, der Opi wird danach nicht ‚Boomer‘ geschimpft. Das klingt doch beinahe klimawandelleugnerisch, wenn wir ehrlich sind.
Vor dem Hintergrund, dass die Handlung und deren Aussage stark zurechtgebogen werden müsste, um einer klimabewussten Agenda zu entsprechen, macht es mehr Sinn, die offensichtlichen Qualitäten des Films zu betrachten, losgelöst von aktuellen Debatten. Das Gemisch aus Naturgewalt und Mystik erschafft eine poetische und spirituelle Darstellung der Natur inmitten unserer Kultur. Die Schlussfolgerung, dass Natur und Klima geschützt werden müssen, kommt dann ganz von selbst.
Also: Es spricht nichts dagegen, dass Shinkai-Fans, die die Umwelt lieben und sich gerne ausmalen, dass der Lieblingsautor symbolisch die Kultur mit der Stadt im Regen untergehen lässt, den Film als ironischen Kommentar zum menschlichen Versagen betrachten. Aber streng genommen könnten hier genauso gut Shinkai-Hasser ein Fässchen aufmachen und Herrn Shinkai als Klimawandel-Leugner mit Obst bewerfen. Wir sparen uns den Spagat und essen das Obst lieber, bevor es verkommt.
Fazit
Wir betrachten den Film jedenfalls vordergründig als das, was er ist: eine Dystopie, die sich mehr an Mythos als an Klimapolitik bedient mit ganz viel wunderschönem Regen. Außerdem mit viel Pathos. Sehr viel Pathos. Wer ein bisschen Sehnsucht und Tragik gebrauchen kann, wird die Gefühlsbetontheit des Films zu schätzen wissen. Auch weniger der Romantik Zugeneigte sollten sich nicht gleich abschrecken lassen. Wer merkt, dass die Lovestory die alte Karies wieder aufblühen lässt, kann ja zum ‚Mundausspülen‘ einen Miyazaki gucken (Ponyo scheint wegen der Ähnlichkeiten ungeeignet: Flut, Fische, junge Liebe). Da wird nicht viel geschmachtet, sondern zum Schluss bloß einer Erfahrung reicher Hände geschüttelt.
Weathering With You ist am 25. September hierzulande erschienen als DVD, Bluray, als Limited Collector‘s White Edition, 4K UHD Bluray Limited Steelbook Edition sowie digital. Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von S&L Medianetworx GmbH.
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