Wer ist Borgman?
Borgman (Belgien, Niederlande, Dänemark 2013)
Mögt ihr dänische Filme? Belgische Filmkunst? Niederländisches Kino? Oder anders gesagt: Könnt ihr mehr als 10 Filme aus diesen Ländern aufzählen, gern auch ohne dabei einen Belgierwitz zu machen? Beim in meinem Kopf aufploppenden „typischen Fischpott-Leser“ sehe ich in dieser Frage weder eine Hürde noch eine große Herausforderung: Natürlich könnt ihr!
Mit Borgman legt der Niederländer Alex van Warmerdam einen äußerst bemerkenswerten Film hin. Zum einen, weil sich das Werk schwer in eine bestimmte Schublade, ja, nicht einmal in ein bestimmtes Genre einsortieren lässt. Zum anderen, weil der Film sicher nicht jedem gefallen wird, dazu ist er zu sperrig, unentschlossen und zu offen und erklärungslos. Und zu guter (?) Letzt ist der Film auch nicht wirklich durchgehend spannend oder gruselig oder actionreich, er ist einfach die ganze Zeit sehr atmosphärisch und vor allem: Interessant.
Aber ich schweife jetzt dennoch ein wenig ab. Ich kenne eigentlich kaum belgische Filme, habe den doch ganz guten Ex-Drummer von Koen Mortier gesehen, JCVD (mit einem genial sich selbst spielenden Jean-Claude Van Damme) kenne ich auch und das wars. Die Niederländer machen es mir da schon einfacher, Paul Verhoeven kennt man natürlich, aber Moment, der dreht doch eher in Hollywood, zählt also nicht. Die Flodders vielleicht noch, ja, wo Neuwagen nicht mit Visakarte sondern mit Polaroid bezahlt werden – großartig. Und deren geistigen Nachfolger, die New Kids natürlich. Wer wie ich auf dem Land aufgewachsen ist kann schon über das Intro der New Kids-Serie lachen, wo sie besoffen dem Trecker hinterhergrölen. Gut, hake ich noch schnell Dänemark ab, Adams Äpfel mit Mads Mikkelsen, super Film, natürlich In China essen sie Hunde und den nicht so guten Nachfolger Old Men In New Cars (Unvergessen die geilen, politisch völlig unkorrekten Sprüche von Harald) und vielleicht auch noch die Werke der Dogma-Bewegung. Ach so, ich habe jetzt ausdrücklich NICHT Lars von Trier gesagt.
Borgman fängt schon sehr denkwürdig an, drei Männer (einer davon Priester) begeben sich in ein Waldstück und stochern im Boden rum. Sie tragen Pistolen und Gewehre und scheinen gezielt auf der Jagd zu sein. Warum der Priester? Tja, das wird man sich am Ende des Films vielleicht zusammenreimen können. Ziel ihrer Jagd sind offenbar drei obdachlose Männer. 1 Einer von ihnen ist Camiel Borgman und allen dreien gelingt offenbar die Flucht vor den Häschern. Auf der Suche nach einem warmen Bad und menschlicher Gesellschaft landet Borgman recht schnell bei dem Ehepaar Richard und Marina von Schendel. Während Richard erst mit Worten und dann mit Fäusten klar macht, was er von so Subjekten wie dem gemeinen Sandler hält, regt sich in Marina Mitleid. So darf Borgman in der Gartenhütte wohnen und auch ein Bad nehmen. Heimlich natürlich. Wobei, so heimlich dann auch nicht, immerhin haben Marina und Richard drei Kinder und das dänische Hausmädchen Stine (mit der konsequent die ganze Zeit englisch geredet wird) lebt auch in der Familie.
Richard von Schendel hat dabei einen offenbar ganz gut bezahlten Job und Dauerstress mit einem Vorgesetzten während Frau Marina freischaffende Hausfrau Malerin ist. Die Kinder bringt Stine zur Schule, den Garten macht der Gärtner, das Geld schafft der Mann ran und die Frau macht ein wenig Essen und malt Bilder. Leben tut man in einem echt mal schicken Betonhaus, welches zwar ein wenig fremd in der Landschaft wirkt und auch eher reduziert eingerichtet ist (halt so wie es Leute machen, die sich nicht mit Einrichtung beschäftigen wollen und dafür einen Innenarchitekten engagieren). Da kommt es vielleicht ganz recht, dass mit Borgman ein wenig Leben in die Bude kommt.
Und was für Leben. Borgman schafft es, hinter Richards Rücken unauffällig durchs Haus zu gehen, erzählt den Kindern unheimliche Geschichten, in denen Jesus als egoistischer Heuchler beschrieben wird und schmuggelt bald schon seinen ganzen Clan auf das Anwesen der Familie. Mehr zur eigentlichen Geschichte verrate ich jetzt aber nicht, keine Sorge. Was auch im Film nicht verraten wird: Wer ist Borgman und was für Leute kennt er so? Irgendwie scheinen hier diverse Märchen- und Sagenmythen verarbeitet zu werden. Borgman hockt in zwei Szenen nackt auf der schlafenden Marina – wie ein Alb, der für die daher kommenden Albträume verantwortlich ist – und drückt ihr den Brustkorb herunter und beeinflusst damit ihren Schlaf und ihre Träume. Auch seltsam anmutende Windhunde schleichen durch das Haus (oder nicht? Wer weiß!). Ein klein wenig wird auch mit der Legende von kinderentführenden Kobolden gespielt und irgendwie stecken da auch noch ein wenig die Urängste der wohlbehütet aufgewachsenen Leute vor „Zigeunern“ mit drin (Richard sagt passend in einer Szene: „Wir hier im Westen (Hollands?) sind halt wohlhabend, was können wir denn dafür?“).
Ich habe letztens den sehr empfehlenswerten schwedischen Thriller Troll von Stefan Spjut gelesen, dort geht es um das Alte Volk, Trolle, Gestaltwandler, wahr gewordene schwedische Sagenwesen und entführte Kinder sowie einer Frau, die diesen Dingen mehr durch Zufall auf den Grund geht. Das Buch hat dabei die ganze Zeit eine sehr verschrobene, alte, ja, vielleicht auch böse Atmosphäre. Borgman kann man in Ansätzen durchaus damit vergleichen.
Womit kann man Borgman sonst vergleichen? Man liest immer, dass er stilistisch in die Nähe von den Filmen Michael Haneke und vor allem seinem Werk Funny Games einsortiert werden kann. Ehrlich gesagt, so ganz sehe ich das nicht, sicher, auch in Funny Games wird eine Familie Opfer übler Machenschaften, holt sich die Täter auch selbst ins Haus. Allerdings war es das auch schon mit den Parallelen. Borgman und seine Motive sind nicht erklärlich, es passieren teilweise sehr böse Dinge in dem Film und dennoch kann ich in Borgman selbst nicht ein Handeln aus Hass oder reiner Boshaftigkeit erkennen. Borgman ist wahrscheinlich einfach wie er ist und tut was er tut schon sehr lange. Wobei der Film einen das selbst interpretieren lässt, erklärt wird nicht viel. Auch hat Borgman offenbar eine hypnotische Wirkung auf andere und kann Menschen manipulieren und das allein durch seine Art und innerhalb kurzer Zeit. Dies gilt auch für seine Freunde, die im Film auftauchen. Es scheint eine angeborene Fähgkeit zu sein, quasi Jedi-Mind-Tricks ohne die typische Handbewegung.
Aber gut, wenn wir Vergleiche ziehen, von mir aus auch mit Funny Games. Der schwedische Film So Finster Die Nacht (Original: Låt den rätte komma in ) von Tomas Alfredson würde mir als Vergleich auch einfallen, auch dieser Film ist sehr verschroben und ungewöhnlich. Auch der hier schon vorgestellte Blue Ruin kann rein stilistisch als Vergleich herangezogen werden, beide Filme sind eher ruhig und langsam erzählt. Wobei Borgman dabei ein doch publikumstauglicheres Erzähltempo vorlegt und sicher viel gefälliger wirkt.
Technisch ist Borgman sauber inszeniert, die Drehorte sind toll ausgesucht, es gibt sehr wenig Musik und die Stimmung wird auf sehr subtile Art immer unangenehmer. Die Schauspieler machen ihren Job allesamt gut und es ist eine Schande, dass ich in diesem Text keinen davon namentlich erwähnt habe. Auf Jump-Scares oder ähnliches wird fast komplett verzichtet. Bei dunklen Aufnahmen ist der Kontrast sehr steil und mir fiel wieder auf wie lustig holländisch oft klingen kann. So heißt ein einfaches „Gute Nacht“ auf holländich „welterusten“. Großartig. Borgman war übrigens der niederländische Beitrag für den Oscar 2014, wurde aber nicht nominiert.
Ich komme jetzt zum Schluss und der kommt abrupt: Schaut euch Borgman an. Es lohnt sich.
Borgman ist ein Film von Alex van Warmerdam. Die Blu-Ray hat eine Laufzeit von 113 Minuten, der Ton liegt jeweils als deutscher und niederländischer DTS-HD-Master Audio 5.1 vor und das Bildformat ist 2,401 (1080p24). Erhältlich ab 17.Februar 2015 auf Blu-Ray und natürlich DVD.
- Wobei, obdachlos? Die hausen in einer illegal errichteten unterirdischen Behausung, ist doch eigentlich voll geil, hätte ich mir als Kind auch gern gebaut. Hat aber leider nur zu einem großen Loch auf einem Baugrundstück gereicht, welches gerade mal halb so tief wie ich hoch war ↩
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