Whiplash
Als wolle sich 2014 für das wirklich mehr als mäßig ausfallende vergangene Filmjahr entschuldigen, wurden auf den letzten Metern nochmal einige Perlen herausgehauen. Titel wie Birdman, Foxcatcher oder Inherent Vice geben nochmal ordentlich Stoff, um den Schaden von Transformers 4 und Konsorten wieder zu kitten und nicht zuletzt sich für die allseits begehrten, näher rückenden Oscars ins Gespräch zu bringen. Darunter auch ein eher unscheinbar anmutender Film mit Namen Whiplash.
Für den 19-jährigen Andrew (Miles Teller) gibt es nur einen Traum: Ein professioneller Jazzdrummer zu werden. An dem renommierten Schaffer Conservatory of Music scheint dieser Traum für ihn endlich in greifbare Nähe zu rücken. Der Student darf in dem Jazzorchester der Schule vorspielen. Doch Lehrer Fletcher (J. K. Simmons) hat seine ganz eigenen Vorstellungen von Talent und bereitet Andrew die Hölle auf Erden. Dieser leidet unter den extremen Launen und dem Psychoterror seines Mentors, will aber nicht aufgeben. Der unmenschliche Druck staut sich immer weiter auf, bis es schließlich zur unvermeidlichen Eskalation kommt.
Full Metal Jacket mit Schlagzeugen
Es gibt sie doch noch, die kleinen Überraschungen in der Filmindustrie. Regelmäßig wird ja der Apparat Hollywood und die Ideenlosigkeit der großen Studios, die bereits ein Raster der zukünftigen Superheldenfilme für die nächsten 200 Jahre veröffentlicht haben, bemängelt. Ebenso erwartbar gerät die alljährliche Oscar-Saison, in der ein emotionales Biopic das nächste jagt. Und dann ist da plötzlich Whiplash, der wie aus dem Nichts erscheint und einfach mal das komplette Kritikerfeld aus den Socken boxt. Auch in den Online-Foren überschlagen sich die Begeisterungsposts; aus dem Stehgreif schaffte es der Film in die imdb-Top 250. Und das durchaus mit Recht.
Die vorliegende Story strotzt jetzt nicht unbedingt vor Originalität. Erbarmungslose, grausame Mentorenfiguren mit Hang zum Sadismus haben wir schon oft genug gesehen – man denke nur an Full Metal Jacket. In der Tat hat sich Whiplash einiges von Kubricks Meisterwerk und vor allem der ikonischen Figur des gnadenlosen Drill instructors abgeguckt. Immerhin stehen die Konflikte zwischen Andrew und Fletcher im Mittelpunkt des Geschehens und erinnern dabei nicht selten an die grausamen Szenen zwischen Sergeant Hartmann und Private Paula. Glücklicherweise schafft es Regisseur Damien Chazelle, diesem übergroßen Vergleich standzuhalten – ja, er kreiert sogar etwas gleichwertiges.
Die Szenen zwischen Andrew und seinem Lehrer sind von fast schon unerträglicher Intensität. Fletcher ist ein zu jedem Zeitpunkt unberechenbarer Charakter, an einigen Stellen beruhigend und fast schon sympathisch, bis ein plötzlicher Tobsuchtsanfall sowohl Andrew als auch den Zuschauer aus der falschen Sicherheit reißt. Sein Wahnsinn hat jedoch Methode und so wird man nach und nach Zeuge, wie Fletcher den Jungen mit grausamen wie intelligenten Schikanen bricht. JK Simmons, dem Otto-Normal-Filmgänger auch bekannt als der ikonische Zeitungsmogul J. Jonah Jameson aus Raimis Spider Man-Filmen, zieht hier sämtliche Register und sorgt dafür, dass die exzellent gespielte Unberechenbarkeit seiner Figur einen Großteil der Spannung in diesem Film ausmacht.
Blut, Schweiß und Jazz
Es wäre einfach, zu sagen, dass JK Simmons, der hier völlig zurecht für einen Oscar nominiert wurde, diese Szenen und überhaupt den gesamten Film dominiert. Aber damit würde man Miles Teller absolut unrecht tun. Sein Leid ist auf der Leinwand förmlich spürbar („Fun“ Fact: Das Blut auf dem Drumkit ist Tellers echtes Blut – ein Großteil der Schlagzeugszenen hat der Nachwuchsschauspieler ohne Double eingespielt), genau wie seine zunehmende Verzweiflung und Frustration. Gleichzeitig sieht man aber auch seine krankhafte Entschlossenheit und sein Wille, alles um ihn herum für seinen Traum aufzugeben. Regisseur Damien Chazelle legt die Figur des Andrew dankenswerterweise nicht als generischen „netten Jungen von nebenan“ an, sondern schreibt ihm durchaus einige Ecken und Kanten auf den Leib. So gerät Andrew beim Abendessen in heftige Streits mit seiner Familie und auch seinen Flirt mit einer sympathischen Kinomitarbeiterin beendet er auf ziemlich unsympathische Weise, als er für sich beschließt, dass sie ihn nur aufhalten würde.
Die letzten zwanzig Minuten von Whiplash sind dann schließlich von beinahe unerträglicher Spannung und gipfeln in einem Finale, das einfach nur sprachlos macht. Ja, es mag etwas vorhersehbar sein, ja, es ist vielleicht sogar ein wenig konstruiert, aber gleichzeitig ist es auch ein sinnvoller Abschluss für die Story und die Charaktere. Und hier werden nochmal alle filmischen Register gezogen; der Sound, die Einstellungen, der Schnitt, das alles ist von einer atemberaubenden Perfektion, die man heutzutage nur noch selten zu sehen bekommt. Wessen Ruhepuls am Ende des Films nicht signifikant in ungesunde Höhen getrieben wurde, sollte dringend einmal checken, ob er nicht schon längst klinisch tot ist.
Trotz diverser Oscarnominierungen für Whiplash lässt sich ohne Probleme sagen: Es reicht noch noch nicht. Dieser Film hätte noch deutlich mehr Aufmerksamkeit verdient. Selbst Menschen, die in der Regel nichts mit Musik anzufangen wissen, werden sich dem Sog dieses Films nicht zu entziehen wissen. Klar, an manchen Stellen mag die Handlung ein wenig vorhersehbar ausfallen. Aber das vermag den gewaltigen Eindruck, den Chazelles Werk hinterlässt nicht zu schwächen. Eindeutig der Full Metal Jacket unter den Musikfilmen. Kann es ein größeres Kompliment geben?
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