Wong Kar-Wai: Chungking Express & Fallen Angels
Huiuiui, liegt mein letzter Artikel tatsächlich schon über ein Jahr zurück??? Wir haben uns gehen lassen, Gerhold! Zeit, sich der Masse wieder ins Gedächtnis zu rufen, am besten mit einem massentauglichen Clickbait-Garanten. Oh, vielleicht ein Marvel-Blockbuster? Oder ein aktueller Spiegel-Bestseller? Auf was fahren die Kidz (mit z, denn ich bin immer noch jung und nah am Zeitgeist) von heute denn so ab, was wird die Klickzahlen von Fischpott.com endgültig in die lang verdiente Stratosphäre der Popkultur treiben? Na klar, eine Kritik über zwei chinesische Kunstfilme aus den 90ern! Nailed it!
Wenn man sich Filmnerd schimpft, dürfen eigentlich keine fünf Minuten Diskussion vergehen, bevor der Name Wong Kar-Wai fällt. Der einflussreiche Autorenfilmemacher aus Hongkong ist einer dieser Kritikerlieblinge, der häufig genannt wird, wenn man mit seinem angeblich ach so umfangreichen Filmwissen protzen möchte. Sonderlich obskur ist er dabei nicht, unter den zurzeit 10 Werken in seiner Filmographie befinden sich einige recht bekannte Titel, die auch hierzulande gelegentlich mal nachts auf Arte & Co. laufen. Nicht zuletzt dank eines gewissen Quentin Tarantino, ein bekennender Fan seiner Filme, der den Namen im Westen bekannt machte. Aber seit 2013 und The Grandmaster ist es relativ ruhig um den Regisseur geworden – immer mal wieder gibt es Gerüchte, dass ein neuer Wong Kar-Wai-Film oder eine Serie in der Mache seien, aber Genaueres materialisiert sich zumindest aktuell nicht.
Also, warum jetzt über ihn schreiben? Nun, zum einen sind zwei seiner bekanntesten Filme, die im Titel bereits angekündigten Chungking Express und Fallen Angels, kürzlich in sehr schicken Mediabooks im deutschen Handel neu aufgelegt worden, zum anderen habe ich Wong Kar-Wai nicht ohne Grund als „einflussreich“ beschrieben: Der in diesem Jahr erschienene, fantastische Multiversums-Spaß Everything Everywhere All At Once (den jeder augenblicklich sehen sollte, ein Meisterwerk!) zitiert beziehungsweise parodiert Wong Kar-Wai sehr direkt in gleich mehreren Szenen. Grund und Rechtfertigung genug, mal ein bisschen tiefer zu graben und zu schauen, ob Wong Kar-Wais Filme auch heute noch relevant und sehenswert sind.
…letzteres war übrigens rhetorisch, die Antwort lautet ja.
Die Handlungen von Chungking Express und Fallen Angels (ja, ich werde in diesem Artikel über beide Filme gleichzeitig reden) ist relativ witzlos, da sie eher zweitrangig sind. Klar, es gibt Plots, aber sie sind nicht der Hauptaugenmerk von Wong Kar-Wai, der an seinen Sets viel auf Spontaneität und Improvisation setzt. Vielmehr spielen Symbolik und vor allem Stimmung die zentralen Rollen. In Chungking Express werden zwei Geschichten erzählt, beide handeln von Polizisten und ihren verflossenen Beziehungen: Der eine tut das, was wir wohl schon alle einmal gemacht haben, als wir verlassen wurden: Er kauft sich einen Monat lang jeden Tag eine Dose Ananas mit dem Verfallsdatum 1. Mai mit dem Ziel, diese an selbigem Ablauftag, sollte seine Verflossene bis dahin nicht wieder vor der Tür stehen, allesamt zu essen und sich anschließend in die nächste Frau zu verlieben, die ihm begegnet. Die restlichen zwei Drittel des Films handeln von einem weiteren Polizisten, großartig gespielt von Schauspiellegende und Wong Kar-Wai-Stammbesetzung Tony Leung, der an seinem Lieblingsimbiss einer gescheiterten Beziehung nachtrauert und dabei nicht bemerkt, dass die Imbissmitarbeiterin direkt neben ihm nicht nur Hals über Kopf in ihn verliebt ist, sondern sich bereits stärker in seinem Leben breitgemacht hat, als er ahnt.
Fallen Angels hingegen ist deutlich simpler: Er handelt von einem Auftragskiller, dessen Komplizin in ihn vernarrt ist, gleichzeitig aber auch von einem stummen Autisten, der nachts in anderer Leute Geschäfte einbricht, um arglosen Passanten gegen ihren Willen Eis oder eine Rasur aufzudrängen und … lassen wir das! Wie gesagt, Handlung ist mehr als genug vorhanden, sie ist aber nicht wirklich wichtig.
Müsste man Chungking Express oder Fallen Angels einem Genre zuordnen, würde schnell ein nichtssagender Wortsalat dabei herauskommen: Krimiliebesdramaactionkomödie? Stattdessen kann man Wong Kar-Wai Filme am besten mit einem Wort zusammenfassen: Style. Oh ja, Chungking Express und Fallen Angels sind extrem stylisch. Der Regisseur lässt seine Kamera sprechen, die wahlweise in dynamischen Kamerafahrten um seine Figuren kreist oder diese stillstehend wie Gemälde einfängt. Kräftige Farben und flackerndes Neonlicht sind die Hauptcharaktere in seinen Filmen, dazu kommen treibende, rhythmische Soundtracks, die plötzlich mit harten Schnitten abgehackt werden. Perspektiven wechseln, manchmal sprechen Figuren als Erzählerstimmen aus dem Off, manchmal wird minutenlang nicht ein Wort gesprochen. Und dann ist da noch die charakteristische „Wong Kar-Wai-Zeitlupe“, die der diesjährige Filmhit Everything Everywhere All At Once direkt übernommen hat. Es ist keine coole John Woo-mäßige Zeitlupe, es wirkt abgehackt, als würde die Figur im Fokus stillstehen, während sich die Welt um sie herum wie im Zeitraffer umso schneller weiterbewegt – was Kar-Wai schafft, indem er die Szenen unter den üblichen 24 Frames pro Sekunde dreht und seine Schauspieler Zeitlupenbewegungen vollführen lässt. Allein für diese Bilder lohnt es sich, die BluRays anzuschaffen und diese in bester Qualität auf dem größtmöglichen Bildschirm zu genießen.
Aber was soll das Ganze? Nun, die Handlung mag eher Nebensache sein, aber Stimmung ist der Dreh- und Angelpunkt seiner Filme. Durch Wong Kar-Wais Filme zieht sich eine stetige Melancholie, selbst in den skurrilsten Slapstick-Momenten. Die Figuren sind auf der Suche nach Verbindung, nach menschlichem Kontakt, nach echten Gefühlen. Der Auftragskiller in Fallen Angels mag sich noch so cool mit zwei Handfeuerwaffen durch einen Hinterraum ballern, aber später sitzt er alleine, ketterauchend in einem verlassenen McDonalds und kaut lustlos auf seinem Burger herum. Dass seine Komplizin sich insgeheim frustriert in sexuellen Fantasien über ihn entlädt, weiß er nicht. Wong Kar-Wais Filme sind geprägt von Sehnsucht. Charaktere treffen zufällig aufeinander, gehen wieder getrennte Wege, ohne zu wissen, dass sie schlussendlich alle dasselbe suchen.
Chungking Express und Fallen Angels haben, anders als andere Wong Kar-Wais Meisterwerke wie der fantastische In The Mood For Love, keine durchgängige Handlung; sie sind mehr Vignetten, Geschichten aus einer Nacht oder mehrerer verregneter Tage. Das mag dröge klingen, ist aber immer mitreißend, mitunter verdammt lustig, regelmäßig skurril, manchmal frustrierend und immer wunderschön anzusehen. Und gerade jetzt im Winter, ist so ein bisschen gepflegte Melancholie an grauen Tagen nicht auch mal ganz schön? In schwierigen Zeiten wie diesen können wir uns offenbar auf nichts einigen, aber eines bringt uns am Ende dann doch alle zusammen: Das Verlangen nach Verbindung.
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