Years and Years
Years and Years macht Angst und das ist in diesem Fall absolut positiv gemeint! In nur sechs Folgen sehen wir, wie schnell aktuelle geopolitische Tendenzen an die eigene Haustür klopfen können. Damit reiht sich die Serie der BBC in eine lange Tradition von Dystopien wie Brave New World, 1984 oder, aktueller, Black Mirror ein. Doch Years and Years nutzt einen genialen Kniff, um dem Genre etwas Neues abzuringen. Es stellt makropolitische Ereignisse über einen Verlauf von 15 Jahren in einem Mikrokosmos dar. Der Zuschauer folgt weder politischen Entscheidungsträgern noch Militärs, sondern einer durchschnittlichen britischen Familie und zieht dadurch direkt Parallelen zum eigenen Leben.
Zu Beginn scheinen die Ereignisse dabei noch weit weg zu sein. Donald Trump erreicht seine Wiederwahl, Russland erweitert seinen Einfluss auf die Ukraine und eine populistische Politikerin erzeugt Aufsehen mit ihren kompromisslosen Ansichten. Anstatt sich nun ganz auf den Aufstieg eines faschistischen Regimes zu konzentrieren, zeigt Years and Years Geburtstage mit der gleichen Aufmerksamkeit wie Berichte über den geschmolzenen Nordpol. Überhaupt lernen wir die einzelnen Familienmitglieder in allen Facetten kennen. So sehen wir Rosie Lyons als Mutter, Frau und Unternehmerin und können ihr folgen, wie sie zuerst der Politikerin Vivien Rook begeistert zustimmt, bis sie selbst unter den Auswirkungen der Rechtspopulistin leidet.
Years and Years versteht es vor allem, fallende Dominosteine darzustellen. Nach Trumps Wahlsieg hat Russland keine Hemmungen seinen Einfluss auf die Ukraine auszuweiten. Darauf folgt eine Flüchtlingswelle, die sich auch bis Großbritannien erstreckt. Daniel Lyons ist dabei für einen Teil der Flüchtlingsunterkünfte zuständig und entwickelt eine Bindung zu einem der Geflüchteten. Im Zuge der Flüchtlingskrise erstarkt die rechtsgerichtete 4-Sterne Partei (benannt danach, dass in Medien das Wort „Fuck“ als „****“ dargestellt wird), schränkt zunehmend die Freiheiten aller Bürger ein und nimmt die Flüchtlinge ins Visier.
Neben den politischen Entwicklungen werden auch soziale Veränderungen in den Fokus gerückt, wie der wachsende Einfluss der Technologie auf den Menschen bis hin zum Outing eines jungen Familienmitglieds Transhuman zu sein und die menschliche Hülle komplett ablegen zu wollen. Die schrittweise Erzählung und der Anblick, wie die Dominosteine nacheinander fallen und zu etwas Schlimmerem werden, macht die Serie für den Zuschauer vor allem zu einem: Sie macht sie plausibel und damit umso erschreckender. Insbesondere, da die Themen aus dem aktuellen Zeitgeschehen genommen werden, wird sich jeder in einzelnen Familienmitgliedern wiedererkennen, auch wenn, wie bei einer Produktion aus dem Jahr 2019 zu erwarten, eine globale Pandemie nicht vorkommt. Hinzu kommt ein hervorragender Cast (allen voran die teilweise ungemein sympathische und dann wieder abstoßende Emma Thompson als Populistin Vivien Rook) und ein treibender Soundtrack, der einem das Unbehagen in die Nackenhaare treibt.
Am Ende zeigt die Serie vor allem, wie schnell wir Entwicklungen einfach akzeptieren oder billigend in Kauf nehmen, auch wenn wir ihnen eigentlich nicht zustimmen. Die Protagonisten sprechen sich zwar immer wieder gegen Populisten aus, mahnen den Klimawandel an oder zeigen Mitgefühl für Flüchtlinge, gehen jedoch letztendlich mit allem mit. Selbst die Aktivistin Edith unterstützt zuerst Rook, um die alten Strukturen einzureißen. Erst als sich die Familienmitglieder alle in Ecken gedrängt sehen, brechen sie aus, um selbst ihre Umgebung zu verändern. In diesem Moment kehrt Years and Years das Konzept des Einflusses vom Makropolitischen auf den Mikrokosmos um und entlässt uns mit einem hoffnungsvollen Blick auf die Zukunft.
Jeder der Dystopien, Politthriller oder Familiendramen mag, wird bei Years and Years fündig werden. Die sechs Episoden liefern packende und intelligente Unterhaltung auf einem Niveau, das die meisten Serien in unzähligen Staffeln nicht erreichen.
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