Zero Fucks Given
Es ist ansatzweise bekloppt, kommt aber in den besten Familien vor. Da sitzt man andächtig vor einem Film und weiß auch zur Halbzeit noch nicht, was es soll, viel weniger, woher die Faszination rührt. Scheiß drauf. Moment, so ist das nicht gemeint. „Scheiß drauf“. Das ist die adäquate Übersetzung des Originaltitels Rien à foutre, hierzulande im Klang schonend, aber mit gleicher Bedeutung als Zero Fucks Given vermarktet. Und worauf wird geschissen? Auf schlechte Arbeitsbedingungen, auf schmale Erträge, auf Stress, auf unloyale Kollegen, auf Monotonie in der Freizeit – auf geradezu alles, was unter anderen Vorzeichen Spaß bereiten könnte.
Cassandre wahrt Contenance
Cassandre (Adéle Exarchopoulos) ist jung, Mittzwanzigerin, kein Alter, um sich schon der Resignation zu ergeben. Doch genau das tut sie. Ihr Arbeitgeber mit dem bezeichnenden Namen „Wing“ macht Billigflugpreise durch Duty Free-Verkauf wett, für den nötigen Absatz reißen sich Hostessen wie Cassandre den Arsch auf. Irgendwer hatte die Idee, das als Komödie zu bezeichnen, aber lustig ist da weder die Story noch ihre Umsetzung. Viel eher packt einen das Grauen bei der Vorstellung, ein solch inhaltsloses Leben führen zu müssen. In der Luft übt Cassandre unablässigen Kniefall, wahrt auch bei Unverschämtheiten Contenance, nur beseelt davon, mit dem Verkauf von zollfreiem Nippes die auferlegten Umsätze zu machen. Einmal aus der Uniform geschält, vertrödelt sie ihr Leben am Smartphone, tanzt sich in den Vollrausch oder legt sich mit beliebigen Chat-Bekanntschaften unter die Bettdecke. Ihr Raum für Träume endet bei den Emiraten, wo die Airlines mehr Bezahlung und längere Flugstrecken bei gleicher Öde zu bieten haben.
Die aufdringliche Nähe der Bilder, die manchmal seltsam getaktete Länge der Sequenzen, die oft schwer verständlichen Dialogfetzen – das Duo Emmanuel Marre und Julie Lecoustre scheint sich in Regie und Kameraführung manches beim österreichischen Kollegen Ulrich Seidl abgeschaut zu haben. Nur besitzt dessen Paradies-Trilogie wie auch neulich die Rimini-Schauergeschichte deutlich überraschendere, skurrilere Szenen, die dem lastenden Alltag gescheiterter Existenzen weit eher Komödiantisches abgewinnen.
More than zero fucks given?
Eine gescheiterte Existenz ist Cassandre auf ihre Art. Allein ihre Fähigkeit zur Wandlung wäre Grundlage genug für ein erfüllteres Leben. Nur mischen sich an dem Punkt die Qualitäten der Schauspielerin und ihrer Rolle. Die Französin Adéle Exarchopoulos stand mit zwölf erstmals vor der Kamera, spielte 2013 im Alter von nur 20 Jahren die Adèle in „Blau ist eine warme Farbe“ und erhielt dafür die Goldene Palme von Cannes. Sie ist eine glänzende Wahl für die Stewardess Cassandre, mimt alle Schattierungen eines trostlosen Lebens, wäre aber in einer anspruchsvolleren Rolle gewiss zu weit mehr fähig. Der Film hat Längen, ergeht sich in unspektakulären Bildern, versägt seinen dramatischen Höhepunkt (ein Familienfiasko) und mündet in ein dünnes Ende vor der Hochhauskulisse der Golfstaaten. Wie hieß es noch gleich? Scheiß drauf.