Homeland: Sauls Plan
In meiner Welt haben Romane, die auf Basis von Fernsehserien entstanden sind, noch nie eine Rolle gespielt. Ja, ich habe sie gar verpönt. Filme, die auf Basis von erfolgreichen Romanen entstehen – das Prinzip hingegen kennen wir alle. Nur allzu gerne springt dann der kleine Kritiker in uns auf und bemängelt Besetzung oder Verdichtung oder stellt die grundsätzliche Frage, ob die adäquate Umsetzung des Stoffes in das andere Medium überhaupt möglich ist. Mit Homeland: Sauls Plan habe ich nun meinen Horizont als Leserin erweitert: Erstmals habe ich eines diese Bücher, basierend auf einer höchst erfolgreichen TV-Serie, gelesen. Und was soll ich sagen: Es war weitgehend anders, als ich es erwartet hätte.
Die Probandin lügt
Homeland: Sauls Plan ist das mittlerweile zweite Prequel zur Serie. Bereits mit Homeland: Carries Jagd hatte der ehemalige Journalist und Kriegsberichterstatter Andrew Kaplan auf die Zeit vor den Serien-Ereignissen zurückgegriffen und sich mit Sicherheitslücken, geplanten terroristischen Anschlägen und der so schillernden Figur, dem al Qaida-Anführer Abu Nazir beschäftigt. Mit Homeland: Sauls Plan nimmt er der Faden des Verräters in den eigenen Reihen wieder auf. Einmal mehr schickt er Carrie Mathison auf die Spuren von Abu Nazir, der – durch einen Maulwurf gewarnt –mitsamt seinem Kriegsgefangenen Nicholas Brody aber längst über alle Berge ist, als Carrie an seinem vermeintlichen Versteck ankommt. Um den Verräter zu entlarven, entwickelt Saul Berenson einen komplizierten Plan mit dem Titel Operation Iron Thunder, der Carrie von Syrien durch den Irak bis in den Iran auf höchst gefährliche Mission schickt. Verschachtelt erzählt Andrew Kaplan dabei auch von den Hintergründen der einzelnen Figuren: So erfahren wir zum Beispiel von Brodys finsterer Kindheit mit einem gewalttätigen Vater und der von Saul Berenson als einzigem jüdisch-orthodoxen Jungen an einer christlichen Schule in Indiana. Umklammert wird die gesamte Erzählung von einem Gespräch in Washington zwischen dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, seinem Vize und dem Senator Warren Purcell, die darüber diskutieren, ob Saul und Carrie nun mit den höchsten Orden ausgezeichnet oder wegen Hochverrats verhaftet werden sollten. Der Polygraphen-Test (Lügendetektor) zu Beginn des Romans jedenfalls sagt über Carrie eindeutig: Die Probandin lügt.
Die Mutter des Spytainments: 24
Ganz klar: Ich bin eine von diesen paranoischen Verschwörungstheoretikerinnen mit dem Bedürfnis nach differenzierten Charakteren, die voll ins Beuteschema von Spytainment-Serien wie 24 und Homeland passen. Als damals, noch vor dem 11. September, Kiefer Sutherland alias Jack Bauer erstmals durch 24 Stunden Fernseh- und Lebenszeit rannte, dabei in seiner unnachahmlichen Art Dinge wie »Nina, do you copy?« ins Mobiltelefon bellte und mit scharfsinnigen Blick komplexe Zusammenhänge entschlüsselte, da lag ich ihm zu Füßen. Und das tat ich auch immer noch, als er ab der 2. Staffel – nun nach dem 11. September – damit begann, im Rahmen moralischer Dilemmas und unter massivem Zeitdruck lustig vor sich hin zu foltern. Was später Vorbildcharakter für reales Verhalten im sogenannten Antiterrorkrieg hatte, war für mich immer der Ausdruck der Verzweiflung und ein Argument gegen weiteres kriegerisches Handeln. Der Geniestreich bei dieser Art der Erzählung lag offensichtlich darin, dass beide Lager, Befürworter und Gegner, sich in ihrer Auffassung bestätigt sahen. Genau so, wie es in der Serie standardgemäß hieß: Jeder handelt in der Absicht, für sein Land das Beste erreichen zu wollen. Wie gut es der Protagonist damit meinte, lässt sich an circa 270 Toten belegen, die seinen Maßnahmen in acht Staffeln zum Opfer gefallen sind. Allzu groß war die Begeisterung des deutschen Fernsehpublikums für 24 nicht: Nur etwa anderthalb Millionen Zuschauer sahen die erste Staffel. Mit jeder weiteren Staffel sank die Quote bis auf zuletzt 0,2 Millionen bei 24: Live Another Day, die allerdings auch nicht mehr verdient hatte.
Bei Homeland gibt es keine Helden
Nachdem sich 24 über die Staffeln hinweg selbst immer mehr pervertiert hatte, war es Zeit für einen neuen Zugang. Immerhin hatten so charmante Einrichtungen wie Guantanamo und durch Drohneneinsätze steigende Opferzahlen der unbeteiligten Bevölkerung die gefühlt uneingeschränkte Begeisterung der US-amerikanischen Bevölkerung für ihren Antiterrorkrieg durchaus gedämpft. Mit Homeland starteten Teile des 24-Teams also einen neuen Geniestreich. An die Stelle des Mannes, der für sein Land alles gegeben hatte, ist eine Frau getreten, die für ihr Land alles gibt – nur eben mit anderen Mitteln. An die Stelle von moralischen Dilemmas unter akutem Zeitmangel traten als zentrale Motive innere Konflikte und gestörtes Beziehungsverhalten. Beides vor allem durch Gefangenschaft und Krieg hervorgerufen, im Fall der Hauptfigur Carrie Mathison aber auch bedingt durch ihre bipolare (manisch-depressive) Störung. 2013 lieferte Die Zeit 22 Gründe, weshalb es sich bei Homeland um die beste Serie der Welt handeln könnte, und benannte als ersten Grund: »Es gibt keine Helden. Nicht einen. Jeder in dieser Serie ist zutiefst gestört.« Trotzdem erreichte auch Homeland hierzulande nicht die gewünschte Quote: Mit 1,9 Millionen Zuschauer waren Carrie & Co kaum erfolgreicher als Jack Bauer und seine Mitstreiter. Daran wird aller Voraussicht nach auch die vierte Staffel nichts ändern, die ab 10. Juli auf kabel 1 innerhalb von vier Wochen abgearbeitet sein wird.
Glossar und Personenliste im Anhang
US-Amerikaner jedenfalls lieben ihre Carrie Mathison mindestens genauso, wie sie einst Jack Bauer liebten. Beiden Serien schaffen es, ihren Zuschauern den so verworren und komplex anmutenden Konflikt zwischen dem Nahen Osten und der westlichen Welt nahezubringen, ohne sie dabei zu überfordern. Und genau an dieser Stelle tut sich das Buch von Andrew Kaplan schwer. Wenn ein Roman ein Glossar und eine Personenliste im Anhang braucht – das sollten einem zu denken geben. Wo die TV-Serie in Sachen Politik und Historie nur das für die Story Nötige erzählt, sucht das Buch nach umfangreicheren Erläuterungen. Je nach Vorbildung ist dann das Glossar im Anhang nicht nur sinnvoll, sondern teilweise sogar arg nötig, um überhaupt zu verstehen, was Saul da eigentlich plant und warum der Plan so genial sein soll. Und damit bin ich bereits bei dem zentralen Punkt, der mich am meisten überrascht und mich in meinem Vorurteil so gar nicht bestätigt hat: Das Buch, das auf Basis der Serie entstanden ist, wirkt in Hinblick auf politische und historische Zusammenhänge mal locker um einiges anspruchsvoller als die Serie selbst!
Auch die hinten angefügte Personenliste ist durchaus hilfreich. Ein Name wie Abu Nazir hat sich zwar dank der Serie und der beeindruckenden Arbeit seines Darstellers ins Langzeitgedächtnis eingefräst. Viele der neuen Namen hingegen – und damit meine ich nicht nur die der Nebenfiguren aus dem arabischen Sprachraum – können auf Dauer schon ganz schön anstrengend sein. Zumal so einige der Figuren gerne auch noch ihre Namen wechseln. Carrie tritt mal als Mingus oder Billie auf, nennt sich aber auch Jane oder Ann. Um dann Gegenüber zu treffen, die mal de Bruin, mal Robbespiere oder mal Ali Hamsa, mal Arrowhead heißen. Und genau hier liegt die große Schwäche des Buches: Andrew Kaplan schafft es nicht, die einzelnen Figuren so leb- und glaubhaft zu zeichnen, wie es aus der Serie bekannt ist. Wenn allzu oft die Frage auftaucht, vom wem zu Henker denn jetzt schon die Rede ist (hatten wir den schon?), dann kann einfach etwas nicht stimmen. Der Autor profitiert davon, dass wir bereits Bilder im Kopf haben für die Figuren, die wir bereits kennen. Völlig unabhängig davon, was er über Carrie erzählt, ist und bleibt sie für uns Claire Danes, die hier die Rolle ihres Lebens gefunden hat. Und wann immer von Saul Berenson die Rede ist, sehen wir Mandy Patinkin vor dem inneren Auge. Diese Aussage lässt sich für alle Figuren treffen, die in der Serie so beeindruckende Darsteller hatten. Alle neuen Figuren hingegen bleiben leider weitgehend gesichtslos. Und damit fällt das Buch, das inhaltlich durchaus viel zu bieten hat, emotional leider sehr gegenüber der Serie ab.
Homeland: Sauls Plan – Verlosung
Ihr wollt auch mal was in Sachen Naher Osten lernen? Euch einen eigenen Eindruck von Homeland: Sauls Plan verschaffen? Wir haben vom Cross Cult Verlag drei Exemplare zur Verlosung bekommen. Wer in den Kommentaren bis zum Ende der vierten Homeland Staffel (07.08.2015) die folgende Fragen beantwortet, hat eine Chance auf den Gewinn.
Wer ist eure Lieblingsfigur aus einer der beiden Spytainment-Serien 24 oder Homeland – und warum?
Die Fischpott-Redaktion wird sich bemühen, innerhalb von drei Tagen nach dem 7. August zu entscheiden, welche drei Kommentator_innen die Bücher erhalten. Originelle Antworten haben gute Karten, im Zweifel entscheidet aber das Los. Sollte Euer Kommentar nicht sofort zu sehen seien, geduldet Euch bitte etwas – manchmal dauert das Freischalten etwas.
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