Maestra von L.S. Hilton
Viel Sex, viele Markennamen, ein wenig Kunst
Auf der Suche nach neuer Lektüre stieß ich auf Maestra von L.S. Hilton und ließ mich vom Klappentext und einer Rezension auf der Buchrückseite täuschen: Von einem Roman rund um den Themenbereich Kunstbetrug ist dort die Rede, und die New York Times sieht darin eine »starke, scharfsinnige und moralisch vielschichtige Heldin«, die »Fans von Stieg Larssons Millennium-Trilogie« ansprechen dürfte. Beeindruckt war ich auch, weil das Buch sowohl im englischen Original als auch in der deutschen Übersetzung vorlag. Ich dachte, das könnte mir gefallen. Wie sehr man sich doch täuschen kann.
American Psycho lässt grüßen
Erinnert ihr euch an American Psycho? Nein, weil nie gelesen oder gesehen? Oder nein, weil längst verdrängt? American Psycho handelt von einem weitgehend hirnlosen 26-jährigen Wallstreet-Yuppie, der ausschließlich über Markennamen kommuniziert und der die unerträgliche Leichtigkeit seines Seins nur mit exzessivem Drogenkonsum und Sex, der in tödlichen Gewaltexzessen mündet, zu kompensieren vermag. Streicht die weitgehende Hirnlosigkeit und den Drogenkonsum der Hauptfigur, macht aus dem US-Yuppie eine britische Galeristin – und schon wisst ihr, worum es in Maestra geht.
Im Nebenjob Hostess
Judith Rashleigh hat ihr Studium noch nicht lange hinter sich, seit drei Jahren erst arbeitet sie als Assistentin für ein renommiertes Londoner Auktionshaus, doch fühlt sie sich weit überqualifiziert. Sie hält nicht viel von ihren Chefs, die sie mindestens so herablassend behandeln wie sie über sie spricht. Dabei möchte das Kind aus ärmlichen Verhältnissen unbedingt als Snob unter Snobs anerkannt werden, hat dafür nicht nur Kunst, sondern auch Snobismus studiert. Da ihr Job zudem ihren exklusiven Lebensstil nicht ausreichend zu finanzieren vermag, nutzt sie die Möglichkeit auf einen lukrativen Zusatzverdienst als Hostess in einer Bar. Zweimal die Woche verbringt sie nun also unter dem Pseudonym Lauren die Abende damit, reiche Typen zum Konsum überteuerter Getränke zu verführen, und verdient dabei endlich so viel, dass sie sich die ihr so wichtigen Designerklamotten leisten kann.
Oben oder unten, von vorne oder hinten – Hauptsache oft
Nun lernt Judith in der Bar den besonders generösen James kennen, der sofort ein Auge auf sie wirft. Judith sieht in ihm einen »der widerlichsten Männer, den ich je gesehen habe«, nimmt seine Einladung als Lauren aber gerne an. So reist sie mit ihm und ihrer Kollegin Leanne (aka Mercedes) an die französische Riviera und packt vorsorglich auch gleich alle Utensilien ein, die frau so braucht, wenn sie die Billignutte geben möchte. Derartige Utensilien besitzt Judith in rauen Mengen, sind diese doch unabdingbar für ihre Lieblingsfreizeitbeschäftigung, Sexexzesse in entsprechenden Clubs. Zu zweit, zu dritt oder mit vielen, oben oder unten, von vorne oder hinten, mit zusätzlichen Gerätschaften oder ohne – Judith steht auf alles, was das ideenreiche Sexleben so zu bieten hat, und das möglichst oft. An der Riviera aber würde sie lieber mit ihrer Kollegin die Nacht zum Tag machen. Also füllen sie den reichen Sack mit Valium ab, bevor Lauren mit ihm in die Kiste steigt. Dass James am nächsten Morgen nicht mehr aufsteht, war dabei nicht so geplant, haut Judith aber nicht wirklich um. Schnell entwirft sie ein Konzept für ihr weiteres Vorgehen, denn zurück nach London will sie so schnell sowieso nicht mehr.
Da war ja noch was mit Kunst
Ihren Job beim Auktionshaus hat sie längst verloren. Ihr war aufgefallen, dass ihr Chef ein Kunstwerk zur Versteigerung anbieten wollte, das bereits als Fälschung entlarvt war. Doch statt Dankbarkeit für den Hinweis erhielt sie ihre Kündigung. Später wird ihr dieses vermeintliche Kunstwerk noch einmal unterkommen, diesmal in den Händen des vermeintlichen Konkurrenten ihres Chefs, die aber gemeinsame Sache machen. Kurzerhand ermordet Judith diesen Kunsthändler. An seiner Stelle übernimmt sie den Verkauf an einen zwielichtigen Geschäftspartner und nutzt ihre, zuvor auf einem Luxusyachttrip gemachte, Bekanntschaft mit einem Neureichen, um die Kohle schnellstmöglich verschwinden zu lassen. Und so mäandert die Geschichte vor sich hin: Auf ihrer Flucht sucht Judith das Leben unter den Reichen und Schönen, und immer wenn es sie mal wieder juckt (und es juckt sie ziemlich oft), findet sie jemanden, der sie mal ordentlich kratzt und den sie im Zweifel danach umbringen kann. Und das alles, weil sie doch so unbedingt eine bedeutsame Galeristin werden möchte, ein anerkannter Snob unter Snobs.
Mein Fazit
Bekanntlich finde ich immer gut, wenn draußen draufsteht, was ich drinnen finden kann. »Pimpern, bis der Arzt kommt und nur noch den Tod feststellen kann« könnte allerdings die dann angesprochene Zielgruppe irreführen, die sich unerwartet mit Kunst herumschlagen muss. Nun scheint das Buch ja sein Publikum gefunden zu haben, andernfalls läge es in kleinen Stadtteil-Buchhandlungen nicht gleich in zwei Sprachen aus. Mich aber lässt es völlig kalt zurück. Nicht oft ist mir eine Hauptfigur so fremd, so völlig egal geblieben. Ihre Motive erschienen mir blass, ihre Handlungen kaum nachvollziehbar, ihre Taten überzogen. Und all die Sexszenen waren für mich eher ab- denn antörnend. Auch langweilt mich nichts mehr als die exzessive Nennung von Designernamen. Dennoch habe ich das Buch zu Ende gelesen. Ich wollte unbedingt wissen, wo hier bitte schön noch Stieg Larsson durchkommen soll. Er kommt natürlich nicht. Wie sollte er auch. Wir erinnern uns: Er war ein linker Journalist, ein Kämpfer gegen die Rechtsextreme. Bleibt die Frage, wofür sein Name eigentlich noch alles herhalten soll.