Mann aus Stahl, Messias vom Krypton
Kein Vogel, kein Flugzeug, sondern eine verkannte Ikone der Popkultur!
Im April wurde Superman 75, im Sommer ist er die Hauptfigur in Zack Snyders »Man of Steel«. Fischpott nimmt sich Zeit für einen wohlwollenden Blick auf den letzten Kryptonier.
Es ist einfach, Witze über Superman zu machen. Er ist angeblich zu mächtig und zu moralisch, als dass er spannende Geschichte tragen könnte. Und zu amerikanisch! Was immer das heißt. Außerdem sind Superhelden eh der Bodensatz der Comic- und Filmgeschichte – und Superman ist der schlimmste. Bullshit! Es ist Zeit eine Lanze für den Mann aus Stahl zu brechen, denn er ist vor allem eins: Spaß!
1938 erscheint Action Comics #1. Auf dem Cover hebt ein Mann in auffälligem Trikot und Umhang ein Auto mit bloßen Händen über seinen Kopf, um es an einem Felsen zu zerschlagen. Männer laufen panisch fort und die Farben signalisieren Feuer. Dieses Bild muss auf das Publikum gewaltigen Eindruck gemacht haben, denn schnell ist die erste Auflage ausverkauft. Im Inneren erfährt der Leser die Geschichte hinter dem mysteriösen Kraftprotz, welche mit 13 Seiten das Format eines konventionellen Zeitungscomicsstrips bei weitem sprengt: Als Baby vom sterbenden Planeten Krypton auf die Erde geschickt, entwickelt ein als Mensch erzogener Außerirdischer phantastische Kräfte, die er als Superman für das Gute einsetzt.
In seinen Einzelteilen ist eigentlich nichts an Superman besonders originell. Seine Kräfte ähneln denen des Protagonisten in Philip Wylies Roman »Gladiator« und des Pulp-Helden Doc Savage. Sein Kostüm erinnert an Lee Falks Phantom mit dem Umhang des Shadow, an Science Fiction-Comics oder Strong Man Acts der Zeit. Selbst seine Ursprungsgeschichte ähnelt verblüffend einer Negativversion Flash Gordons. Von seiner Doppelidentität – er ist auch der introvertierte Reporter Clark Kent – ganz zu schweigen.
Doch ein Blick auf diese erste Superman-Story lässt erahnen, was Menschen an diesem Comic besonders faszinierte: die ultimative, befreiende Ermächtigungsphantasie. Superman, „champion of the oppressed“, bekämpft in den ersten beiden Ausgaben gezielt und effektiv Übel der Dreißiger Jahre: Lynchmorde, die Mafia, ignorante und korrupte Politiker, die Rüstungslobby, Männer, die ihre Frauen verprügeln, und machthungrige Militärs. Die wirkliche Handlung ist lückenhaft und für damalige Comic-Standards dürftig, aber Superman erfüllt einen Wunsch, den viele teilen: er prügelt in einer Welt wirtschaftlicher Depression, impotenter Politiker, organisierter Kriminalität, Faschismus in Europa und sozialer Unsicherheit in den USA den Verantwortlichen Vernunft ein. Superman war die einfache Antwort auf komplizierte Fragen. Er lebte die Gewaltphantasien aus, die den männlichen Arbeiter oder Angestellten der urbanen USA beim Lesen der Zeitung überkommen konnten.
Was den Supermancomics an handwerklichem Geschick über Jahrzehnte fehlte, wurde lange durch ihre überschwängliche Phantasie ausgeglichen. In den Folgejahren steigen die Fähigkeiten Supermans ins unermessliche. Hatte er zunächst nur einen klaren, etwas naiven Gerechtigkeitssinn und enorme Körperkräfte, proportional zu denen eines mannshohen Insekts, zu bieten, entwickelt Superman bald Röntgen-, Mikrosokop- und Hitzeblick, Kälteatem, Supergehör, die Fähigkeit zu fliegen, Unverwundbarkeit, Superintelligenz, Superbauchreden und vieles mehr. Dass sich bei jedem Problem als deus ex machina eine neue Kraft manifestierte, war erzählerisch lachhaft, schuf aber bald eine Figur, deren Macht es mit vielen mythologischen Gottheiten aufnehmen konnte. Was wiederum Einfluss auf die Geschichten nahm.
Bald verschob Superman Planeten, schuf künstliche Sonnen, baute die phantastischsten Maschinen und maß sich, inzwischen buchstäblich, mit Göttern und Dämonen. Supermancomics sind bis in die Achtziger wahre Schätze ungehemmter Imagination – eine Welt, in der alles möglich und das unfassbare alltäglich ist. Mr. Mxyzptlk, ein omnipotenter Gnom aus der fünften Dimension, lässt alles, was ihm in den Sinn kommt, Wirklichkeit werden, um Superman zu ärgern. Die rote Version des fatalen Minerals Kryptonit verwandelt Superman bei jedem Kontakt für 24 Stunden in wahnwitziger Weise: in einen grünen Riesen, einen Superdäumling oder einen Supergorilla. Superman kämpft gegen lebendig gewordene Zeitungsstrips, reist durch die Zeit und nach Atlantis, kämpft mit Roboter-Lincoln und zieht sich zurück in seine Festung der Einsamkeit – ein gewaltiges Spielzimmer am Nordpol. In »Black Magic on Mars« kämpft Superman gemeinsam mit einem als Cagliostro verkleideten Orson Welles gegen Nazi-Invasoren vom Mars. Superman kennt keine Grenzen!
Dass sich der Held zu dieser Zeit selbst ins mythische und religiöse transzendiert hatte, manifestierte sich auch immer mehr in seiner Herkunftsgeschichte. Der Leser erfährt erst in den Folgejahren die detaillierte Version des Untergangs Kryptons, dass Superman dem Hause „El“ entstammt, im Hebräischen ein Suffix, das auf Gott verweist. Je nach Interpretation bedeutet sein Geburtsname Kal-El „Stimme Gottes“, „Schnelligkeit Gottes“, „Alles was Gott ist“ oder „der Ganze Gott“. Sein Vater Jor-El – „Furcht vor Gott“, „Gott lehrt“, „In Gott Begründet“ – schickt den jungen Superman nicht nur aus der Hoffnungslosigkeit des untergehenden Planeten auf die Erde. Er sieht Kal-El auch als sein Geschenk an die Menschheit. Je nach Deutung wird aus Superman der kleine Moses, der im Science-Fiction-Körbchen zu einem Leben als Prophet ausgesetzt wird, oder zum Messias, der den Menschen eine neue, bessere Welt bringen soll.
Am eindrucksvollsten zeigt sich dieser Aspekt in Richard Donners Film von 1978, in welchem Marlon Brando als himmlischer, weißhaariger Jor-El in schweren Tönen die Einheit von Vater und Sohn, sowie dessen göttlichen Auftrag beschwört: „For this reason above all, their capacity for good, I have sent them you … my only son“.
Der göttlichen Herkunft Supermans steht seit den Vierzigern sein Erzfeind, Lex Luthor, gegenüber. Luthor weigert sich, Superman als seinen Retter und Erlöser anzuerkennen, und bleibt arrogant in seinem Bestreben, die Überlegenheit menschlichen Handelns und die Produktivität von Egoismus zu beweisen. Luthor orientiert sich an Nietzsches Übermensch, der damals noch als „Superman“ übersetzt wurde und die Fesseln der Moral und das Urteil kleingeistiger Menschen überwinden soll. Die Namensähnlichkeit zwischen Luthor und Luther erscheint dabei als satirische Spitze gegen diverse Spielarten des Protestantismus in den USA.
Nicht zu vergessen sei Supermans befremdliche Dreiecksbeziehung: Da ist Lois Lane, die taffe, selbstbewusste Reporterin, die alle Avancen ihres schüchternen Kollegen Clark Kent ignoriert, weil sie Superman liebt – der sie wiederum aus Loyalität zu seinem Alter Ego abweist. Elliott S. Maggin fasst die Situation treffend zusammen: „Clark loves Lois, Lois loves Superman, Superman loves Clark“. Im Dreieck Superman-Lois-Clark finden die unterschiedlichsten Begierden ihre Vollendung. Superman ist beides: der Geek, den alle Frauen abweisen, und der Mann, den alle Frauen wollen. In Anlehnung an den Psychologen Lacan ist Clark Kent die Essenz jedes Menschen. Er ist angewiesen auf die Bestätigung durch den Anderen (groß A), verkörpert durch Lois Lane, und erfährt das Reale durch dessen strafenden, sadistischen Aspekt. Dabei würde der Andere einen lieben, wüsste dieser nur vom eigen Ideal-Ich (klein a), diesem imaginierten Selbstbild, Superman, das man so begehrt und doch nie erreicht. Der Unterschied ist lediglich, dass im Comic Clark verschwindet, wenn Superman auftaucht, während in der Realität Superman verschwindet, sobald Lois einen ansieht. Superman blickt tiefer in uns, als es auf den ersten Blick scheinen mag.
Doch Superman hatte auch dunkle Zeiten. Besonders bitter waren die letzten 30 Jahre. Robert Mayers »Superfolks«, Mark Gruenwalds »Squadron Supreme«, Frank Millers »Dark Knight« und nicht zuletzt Alan Moore begannen in den Achtzigern das Superheldengenre systematisch zu dekonstruieren. Als Reaktion setzte sich innerhalb weniger Jahre das Paradigma des grimmigen, düsteren Anti-Helden durch, wovon auch Superman nicht verschont blieb. Die Figur sollte realistischer werden, wurde der meisten seiner Kräfte beraubt, erhielt eine dystopische Hintergrundgeschichte und musste dem Zeitgeist entsprechend vor allem eins: immer wieder scheitern. Über Jahrzehnte tauchen regelmäßig die gleichen Bilder auf, vom weinenden, blutenden, grimmigen oder vor Gericht stehenden Superman. 1992 lässt DC Comics ihn sogar sterben, gegen vier coole, moderne Versionen zu ersetzen und, ganz Messias, wieder auferstehen. Als Publicity-Stunt schraubt dies die Verkäufe kurzzeitig hoch, doch bis ins neue Jahrtausend fristet Superman ein Dasein im Schatten gequälter Helden wie Batman, Spawn und Wolverine. Interessanter sind in dieser Zeit vor allem Superman-Parodien, wie Mr. Majestic, Stormwatchs Apollo, Tom Strong oder Omni-Man.
Die letzten Jahre waren jedoch wieder gut zum Kryptonier. Comics von Mark Waid, Grant Morrison, Geoff Johns und J. Michael Straczinski versuchen nicht mehr gegen ein Image des naiv moralischen, übermächtigen Superhelden anzukämpfen, sondern nehmen die Möglichkeiten an, welche diese Figur ihnen bietet. Wenn dafür mal ein Planet verschoben, eine fremde Dimensionen erkundet und das Unvorstellbare erzählt werden muss – umso besser! In Grant Morrisons Epos »Final Crisis« erkennt Superman schließlich, dass er als Archetyp des Superhelden der Ursprung eines Universums unendlicher Geschichten ist, symbolisiert durch ein leeres Blatt, auf dem alles stehen kann. Er trifft im Folgenden seine verschiedenen Ausprägungen, zerstört die leibhaftig gewordene „Abwesenheit von Geschichten“, stemmt das Buch, das alle Bücher enthält, baut eine allmächtige Wundermaschine und erkennt das einzig gültige Naturgesetz: am Ende gewinnt Superman immer!
Und warum auch nicht? Ist die naive Moral, die unkomplizierte Ethik in Supermans Welt wirklich lächerlicher als die andere Action-Geschichten? Anders als beispielsweise Christopher Nolans übermäßig gefeierte Batman-Trilogie spricht der chronisch unterschätzte Film »Superman Returns« zwar nicht jedes Dilemma ausführlich und pathetisch aus, damit es auch der Dümmste versteht. Doch wer genau hinsieht erkennt, dass hinter dieser naiven, kindlichen Welt eine durchaus eindrucksvolle Allegorie auf das Erwachsenwerden und die alltäglichen Tragödien steckt – nicht obwohl, sondern gerade weil hinter Superman ein rührend einfaches ethisches System steht. Oder um eine Regel unter Bluesmusikern zu paraphrasieren: Nur weil eine Moral simpel ist, heißt das nicht, dass sie einfach sei!
Superman ist keine hohe Film- und schon gar nicht Comickunst. Auch die besten Geschichten bleiben qualitativ bis heute hinter den Möglichkeiten der jeweiligen Medien und der Figur zurück. Aber trotzdem: Superman berührt. Hinter seiner bunten, vielleicht lächerlichen Fassade steckt ein aufregendes Universum, das es für Leser zu erkunden gilt. Und manchmal ist Superman einfach das beste Gegenprogramm zu einer zynischen, grausamen und banalen Realität – vielleicht sogar ein kleiner Ausblick auf eine bessere Welt. Ist das Kitschig? Drauf geschissen! Wie singt Nick Lowe? „What’s so funny about peace, love, and understanding?“