Red Dead Redemption 2 (Rockstar Games / PS4)
Als mir vor einiger Zeit der Release-Trailer von Read Dead Redemption 2 unter die Augen kam, hielt sich meine Begeisterung in Grenzen. Vielleicht lag es daran, dass er auf meinem fünf Zoll großen Handy flimmerte, vielleicht aber auch daran, dass ich beim Trailer einen ähnlichen Effekt hatte wie bei den Hobbit-Filmen, bei denen ich immer das Gefühl hatte, dass ich alles 10 Jahre zuvor schon einmal gesehen hatte – in besser. Ich habe mich getäuscht. Zumindest was Red Dead Redemption 2 angeht.
Jetzt sitze ich hier völlig verwahrlost vor meiner PS4, weil ich seit Tagen nichts anderes tue als RDR2 zu spielen. Neben mir liegen Berge aus Pizza-Schachteln, ganze Felder an Chipskrümmeln und leere und wieder gefüllte Flaschen, weil ich keine Zeit mit Urinieren verplempern will.
Ich will ’nen Cowboy als Mann
Wir schreiben das Jahr 1899 und die Ära des Wilden Westen neigt sich langsam dem Ende zu.
Die Industrialisierung hält Einzug in die USA und erste Straßenbahnen poltern über die städtischen Pflastersteine. Doch es gibt sie noch, die alten kauzigen Haudegen, die mit der Zigarette in Mund und der Waffe in greifbarer Reichweite über die niemals zu endend scheinende Prärie reiten.
So wie Arthur Morgan, der Hauptprotagonist von RDR2, in dessen sonnengegerbte Haut wir schlüpfen, um den Wilden Westen noch einmal richtig unsicher zu machen, bevor die „Zivilisation“ Einzug erhält.
Arthur ist die rechte Hand von Dutch van de Linde, seines Zeichens Anführer einer Outlaw-Gang, die sich gerade von einem schief gelaufenen Coup in Blackwater erholt. Generell hatten Gangs schon bessere Zeiten und das ist auch das Gefühl, das der Story von Arthur und seinen Kumpanen während der ganzen Zeit anhaftet. Es schwingt stets etwas Melancholie mit und das Miteinander mit seinen Outlaw-Mitstreitern ist eher familiär und menschlich, statt so klischeebehaftet wie in den Spaghetti-Western der 70er-Jahre. Hier liegt aber auch eine der Stärken von RDR2, denn wir erleben richtige Geschichten mit interessanten, nachvollziehbaren Charakteren und keine einfachen Western-Abziehbilder. Neben dem Hauptplot um Arthurs Gang gibt es natürlich in guter alter Rockstar-Manier eine unglaubliche Menge an Nebenmissionen. Diese gibt es in alle Formen und Farben – von der Hilfe bei einem Schlangenbiss bis hin zu einem „Hills-have-Eyes“-Moment, bei dem man mit einem großen WTF? auf der Stirn vor dem Fernseher sitzt.
Und wenn man keinen Bock auf Missionen oder Nebenquest hat, reitet man halt rum, jagt, angelt, klaut Kutschen, spielt Domino oder Poker, geht ins Kino oder schaut einfach mal ganz entspannt dem Sonnenuntergang zu, während sich die Geier an dem frisch gehäuteten Wildschwein laben.
Die Liebe zum Detail
Wenn man dem Spiel einen Begriff als Stempel aufdrücken möchte, dann auf jeden Fall „Detailverliebt“. Es ist unglaublich (oder wie die jungen Leute heute so sagen: Un-Fucking-Believable!) wie sehr dieses Spiel auch auf die Kleinigkeiten achtet, sowohl im Gameplay wie auch bei der Grafik.
So wachsen Arthurs Bart und Haare, und wenn man sich nicht gelegentlich mal rasiert oder zum Frisör geht, sieht man bald aus wie der Mann aus den Bergen. Auch Baden sollte man hin und wieder oder einfach mal durch einen Fluss schwimmen, denn sieht man aus wie der letzte verdreckte Penner reagieren auch die NPCs im Spiel eher negativ auf Arthur.
Bei manchen Sachen, fragt man sich allerdings wie weit man mit der Liebe zum Detail gehen sollte.
Zum Beispiel sind die Hoden der Pferde in kalten Gebieten, wesentlich kleiner als im warmen Sumpfgebiet – welcher Mann kennt das nicht?
Es ist schon Wahnsinn wie viel Arbeit in dieses Spiel gesteckt wurde und würde ich jetzt alle Dinge notieren, die mir die letzten Tage beim Zocken untergekommen sind, würde diese Kritik sich wohl eher lesen wie eine Liste.
Die Vielseitigkeit von RDR2 lässt sich fast nicht in Worte fassen – das muss am eigenen Zockerleib erfahren, dabei ist es ähnlich wie bei GTA5, dass man nach und nach erst erlebt was alles möglich ist, damit man sich nicht gleich von all den Möglichkeiten erschlagen fühlt. Wobei man natürlich auch einfach mit dem seine Zeit verbringt, was einem Spaß macht. Der eine spielt lieber die Missionen stringent durch, während der andere seltene Tierarten sucht, um sie zu jagen, zu töten und Dinge aus ihrem Fell zu machen, während andere wiederum wirklich alles mitnehmen wollen.
So bleibt es jedem selber überlassen, wie er oder sie RDR2 spielt.
Der einzige Kritikpunkt, der mir tatsächlich hier einfällt, ist das Fehlen einer Kiste in der man seine Felle und andere Dinge lagern kann. Aber vielleicht habe ich das in dem Wust der Möglichkeit auch einfach noch nicht entdeckt.
Wahre Schönheit kommt von Innen
Der Einstieg in RDR2 erfolgt in medias res.
Man findet sich gleich mit einem alten Bekannten in der unwirtlichen Wildnis einer etwas unspektakulären Winterlandschaft wieder, aber schon alleine die realistisch wirkenden Spuren, die Mensch und Pferd im Schnee hinterlassen, lassen erahnen aus welchen Grafik-Holz RDR2 geschnitzt ist. Wenn man denn wenig später ins Tal hinunter reitet und den Winter hinter sich lässt, versteht man warum das Spiel aus zwei Discs besteht und warum man es – wie in den altehrwürdigen 386er Zeiten – erst einmal installieren muss, denn die Grafik ist der Hammer.
Was Rockstar da aus der PS4 rauszaubert ist wirklich beeindruckend.
Es gibt Momente, da sieht das, was sich auf dem Bildschirm abspielt aus wie in einem Film.
Und wenn man auf einem Berggipfel steht und ins Tal hinunterschaut, sieht das nicht nur fantastisch aus, man kann auch dorthin reiten. Hier gibt es keine Fototapeten, hier ist alles echt und erfahrbar.
Die Natur ist voller Tiere, sich im Wind bewegender Flora und natürlich gibt es auch dynamisches Wetter vom klaren Himmel bis hin zum tosenden Gewitter.
Und auch hier strotzt das Ganze nur so vor Detailverliebtheit, wenn beispielsweise die Haare der Menschen im Wind wehen oder bei einer Schlägerei Blut und Speicheltropfen durch den Saloon fliegen. Junge, sieht das alles gut aus.
Allein die Steuerung macht hier und da einen etwas hakeligen Eindruck, so dass man manchmal bei Schießereien etwas ungünstig in Deckung geht und es passiert, dass man beim Reiten mal einen Baum oder Felsen mitnimmt. Anfangs hatte ich auch immer etwas Probleme, weil ich gerne mal statt L2 (um mit Menschen zu kommunizieren) die R2-Taste gedrückt habe (um Menschen zu erschießen).
Inzwischen habe ich das aber größtenteils in den Griff bekommen und erschieße zu 90% nur noch die Leute, die ich auch sterben sehen will.
Von dem was da noch kommt
Bisher ist leider noch nicht bekannt wann der Multiplayermodus von RDR2 online gehen soll.
November steht für den Beta-Test im Raum aber Konkreteres weiß man bisher nicht.
Es gibt Vermutungen, dass es ähnlich wie bei GTA5 ein Open-World-MMO werden soll, was sich auf jeden Fall schon so gut anhört, dass ich allein beim Gedanken innerlich jubiliere.
Red Dead Redemption 2: Fazit
Rockstar Games hat sich mit Red Dead Redemption 2 viel Zeit gelassen – aber jede Minute hat sich gelohnt.
Für mich ist das Spiel jetzt schon ein Meilenstein, ein Klassiker, der es schafft mich durch die tolle Grafik, die Liebe zum Detail und einer interessanten Story in eine unglaublich lebendige Welt zu entführen. Mehr kann man von einem Videospiel nicht verlangen.
Wenn jetzt auch noch der Mehrspielermodus meine Erwartungen entspricht, gehe ich bis 2022 nicht mehr aus dem Haus.
Disclaimer: Wir haben ein Exemplar des Games zu Rezensionszwecken erhalten.