The Mirage
Der Traum von einer islamischen Weltmacht treibt Fromme und Fanatiker (und fromme Fanatiker) an. Der Autor Matt Ruff erzählt in The Mirage von einer Alternativwelt, in der so eine Supermacht Realität ist.
Die mächtigste Nation der Welt von The Mirage sind die UAS, die United Arabian States. Nordamerika zergliedert sich in zahlreiche kleine christliche Staaten, die untereinander Krieg führen und in denen terroristische Vereinigungen agieren. Auch in der Welt von The Mirage gab es den zweiten Weltkrieg, Deutschland wurde allerdings von den UAS aufgehalten. Als Folge liegt Israel in Norddeutschland, seit dem Sechstagekrieg sind aber auch das Nordwestrheinland, Schwaben und Bayern besetzt. Auch hier führen christliche Extremisten, insbesondere Lutheraner, immer wieder Selbstmordanschläge durch.
Aus Nine Eleven wird Eleven Nine
Am 9. November 2001 schlagen christliche Glaubenskrieger zu und steuern zwei Passagierflugzeuge in die Tigris & Euphrat World Trade Towers in Bagdad. Die UAS erklären den Dschihad gegen den Terror und erobern in Koalition der Willigen mit Persien die Christian States of America an der nordamerikanischen Ostküste. Aber nur in der Green Zone in Washington gelingt es den Arabern, das Land wirklich zu befrieden.
Homeland Security vs. Al Quaida
Matt Ruff versetzt uns in diese Parallelwelt im Jahr 2009. Die drei Hauptfiguren sind Mustafa al-Bagdadi, Samir und Amal. Sie arbeiten bei der Homeland Security, die die UAS vor dem christlichen Terror beschützen soll. Ein gefangener Attentäter erzählt Mustafa von einer Welt, in der alles ganz anders ist. Von einer Welt, in der ein vereinter nordamerikanischer Staat die Supermacht ist. Mustafa hält diese Geschichte für eine Legende der Fanatiker, aber bald beginnt er mit eigenen Nachforschungen und stellt fest, dass sich sowohl Senator Bin Laden und sein geheimes Sicherheitsnetzwerk Al Quaida als auch der Gangster Saddam Hussein für diese andere Welt, die Mirage, interessieren.
Born in the UAS
Matt Ruff, Autor genialer Werke wie G.A.S. oder Fool On The Hill, hat sich wieder einmal selbst übertroffen. In den Fußstapfen von Philip K. Dicks Das Orakel vom Berg erschafft er eine fesselnde Parallelwelterzählung. Kultur und Politik unserer Welt spiegeln sich in der Welt von The Mirage wieder. So gibt es eine Serie namens 24/7 Jihad, eine Band namens Green Desert und die Schauspielerin Natalie Hershlag spielt in zahlreichen israelischen Actionfilmen mit. Dabei macht Ruff aus den UAS keine rückständige Version der USA. Ganz im Gegenteil, auch wenn die religiöse Prägung eine Rolle spielt, ist die arabische Supermacht teilweise sehr säkular. Damit greift der Autor Thesen aus der Soziologie auf: Je besser es einem Land geht, um so progressiver sind seine Bewohner. Und je schlechter es jemandem geht, um so eher greift er zu radikalen Maßnahmen.
Luftspiegelung
Als Knackpunkt für Parallelweltexpertinnen erweist sich in The Mirage allerdings der Wendepunkt, der Moment in der Geschichte, an dem sich die Alternativrealität anders entwickelt als die unsrige. Ruff setzt ihn an das Ende des 19. Jahrhunderts, als sich die arabischen Staaten vom osmanischen Reich trennen. Streng genommen führt diese alternative Historie natürlich dazu, dass die meisten Menschen, die in der Realität nach diesem Zeitpunkt geboren wurden, gar nicht erst gezeugt würden. Omar Sharif, Bin Laden und Dick Cheney – sie alle kommen in The Mirage vor – würde es in der UAS-dominierten Welt vermutlich gar nicht geben. Aber The Mirage funktioniert nur als Spiegelbild unserer Welt. Aus Diktatoren werden Gangsterbosse, aus Verteidigungsministern Warlords. Nur ein Kunstgriff gegen Ende erklärt die Parallele und lässt diesen Mangel vergessen.
Dying in the CSA
Bemerkenswert ist, wie kenntnisreich und überzeugend Ruff diese alternative Realität schildert. Die Geschichte seiner drei Protagonisten ist nicht nur spannend, sie zeichnet auch ein differenziertes Bild der islamischen Kultur. Als bestes Beispiel dient Mustafa, der bei der Halal-Polizeitruppe gegen Alkoholschmuggler ermittelt hat und dessen zweite Hochzeit zu diversen persönlichen Problemen geführt hat. Auch die Biografien von Amal und Samir vertiefen den Blick in die Welt von The Mirage – und damit auch den Blick in den Spiegel unserer Welt. Besonders packend wird diese Spiegelung beim Besuch in den CSA, den Christian States of America. Im Land der Aufständischen, deren Symbol der Minutemen-Dreispitz ist, erfährt das Trio, was mit der Welt nicht stimmt. Leider wird der anschließende letzte Abschnitt zum zwar unterhaltsamen aber eher trivialem Action-Abenteuer mit finaler Konfrontation in Saddam Husseins Villa.
Nichtsdestotrotz ist The Mirage eine Pflichtlektüre für alle, die Alternativwelten lieben oder sich für Weltpolitik interessieren. Nur schade ist es, dass der Zeitpunkt 2009 angesichts der aktuellen Entwicklungen schon wieder ein wenig veraltet ist.