Call my Agent! (Staffel 4)
Wenn eine Schauspiel-Agentur ein versaubeuteltes Drehbuch empfiehlt, weil sie es nicht branchenkonform geprüft hat, ist das übel. Wenn sie zugleich schon die Starrolle vergeben hat, nämlich an Charlotte Gainsbourg, schreit der Plot nach Chaos oder Komik feinster Gangart. Staffel 4 von Call my Agent! schafft es allerdings, auch eine solche Steilvorlage zu versaubeuteln.
Agentur mit Erfolg
Dix pour cent, so der originale Serientitel, läuft seit Herbst 2015 auf France 2 und hangelte sich auf der Basis guter Kritiken und hoher Akzeptanz von Staffel zu Staffel, bis mit der nun im Handel vorliegenden Nummer 4 angeblich das Ende erreicht war. Nur reiften dann wieder Idee und Plan für die fünfte Runde. Schauen wir, wie weit die Füße noch tragen.
Die im Originaltitel angesprochenen zehn Prozent beziehen sich zunächst auf den frankreichweit üblichen Agenturanteil bei Schauspielerverträgen. Aber man kann das auch anders interpretieren: Ein Zehntel der Serie ist Rahmenhandlung von mittlerer Larifari-Qualität bei eben jenem Unvermögen, brauchbares Basismaterial in gute Gags zu gießen. Ja, jenes nachlässig geprüfte Drehbuch ist so Banane, dass selbst sein Autor Oscar Rondo (Micha Lescot) den Faden verliert, als er es Madame Gainsbourg erklären will. Aber ganz gewiss: Als sich Loriots Fernsehansagerin an der lapidaren North Cothelstone Hall verhaspelte, war das um Längen lustiger.
Stars mit Marotten
Der Löwenanteil am Erfolg, geschätzte neun Zehntel, verbleibt bei einem sehr ungewöhnlichen Element der Serie: Stars hoher Güte lassen sich in ihr Leben oder in das Zerrbild ihres Lebens schauen, sie erscheinen als Figuren mit ihren spezifischen Marotten, manchmal nur in kurzen, aber gehaltvollen Passagen. Möglich wurde dieser innovative Coup ganz gewiss dadurch, dass Dominique Besnehard als ein Ideengeber der Serie zugleich Casting-Direktor ist.
Nehmen wir, da sie schon im Fadenkreuz steht, Charlotte Gainsbourg aus Episode 1 der vierten Staffel. Sie trägt diese verstörte Warmherzigkeit einer Landpomeranze wie in Heute bin ich Samba, mit der sie nicht nur Geduld, sondern sogar Sympathien für den weltfremden Drehbuchautor Oscar aufbringt. Man muss aber genau hinhören und Filmografien kennen, um allen Gehalt aus den Dialogen ziehen zu können. Charlotte berichtet, mit Oscar ihren ersten Film gedreht zu haben. Das ist nicht, wie die lesbische Agentin Andréa (Camille Cottin) vermutet, Das freche Mädchen von 1985. Es war damals die Zeit, als Fotografen wie David Hamilton und Jacques Bourboulon unbekümmert nackte Minderjährige für Coffee Table Books vor die Kamera holten. Charlottes Mutter Jane Birkin und ihr Vater Serge Gainsbourg teilten den provokativen Umgang mit der Lolita-Thematik. Charlotte spielte das freche Mädchen als 13-Jährige und fand sich am Ende des Films in den Armen eines volljährigen Matrosen wieder.
Antichrist mit Vagina-Double
Nichts für die leichte Schulter, aber es rücken weitere Andeutungen zu Charlottes konfliktgeladener Kinovergangenheit nach. „Denkst du, ich habe das Drehbuch von Antichrist auf Anhieb verstanden?“, fragt sie Andréa. Das Filmwerk des Lars von Trier ist Hardcore in mancher Hinsicht. In einer Szene, so sagte Gainsbourg später, sei sie von einem Vagina-Double vertreten worden und habe sich dennoch in den Boden geschämt, als sie den Antichrist im Kino angeschaut habe. Dennoch legte sie mit Lars von Trier in Nymphomaniac viel härter nach, etwa in der kuriosen Szene, in der sie nackt zuschaut, wie zwei Afrikaner über die beste Methode für eine Sandwich-Nummer mit ihr streiten. „Sie waren großartig in Nymphomaniac“, sagt Requisiteur Paco bei einer Begegnung mit Charlotte – in der Hand eine geschälte Banane. Wer die Andeutung nicht begreift, muss eben auf Gainsbourgs indignierten Blick achten oder überlegen, warum sie einen fingierten Beinbruch damit erklärt, dass sie auf einer Bananenschale ausgerutscht sei. Was dann kurz darauf zu Händels Ankunft der Königin von Saba tatsächlich passiert.
Kurzum: Man darf die Rahmenerzählung getrost ignorieren, die versteckten Details aber nicht verpassen. Eine neue Art, Film zu konsumieren. Nathalie Baye, José Garcia, Valérie Donzelli, Sigourney Weaver und Jean Reno sind dann Stars, die weiteren Episoden die Tiefe geben.