Die Ärzte – auch
In dieser Woche veröffentlichten die Ärzte auch, ihr neues Studioalbum – und ja, die Kommasetzung dieses Satzes ist korrekt. Fast fünf Jahre sind seit Erscheinen des letzten Longplayers, Jazz ist anders, vergangen. Zuletzt nahm man sich für Die Bestie in Menschengestalt im Jahr 1993 soviel Zeit und hatte zuvor immerhin den Anstand, die Band für „aufgelöst“ zu erklären.
Auch ging wie üblich eine Singleauskopplung voraus, die sich von allen bisherigen Vorabsingles dadurch abhob,
a) sich trotz ärzteüblicher dreier B-Seiten „EP“ zu nennen,
b) von Bela geschrieben und
c) kein Lied, sondern ein besseres Intro zu sein.
Die Ärzte haben die Messlatte für das kommende Album also ausgesprochen tief gesetzt.
Ärzte springen anders
Zum Glück darf man deshalb sagen: Diese Messlatte haben sie souverän übersprungen. Nach der pubertären Welterklärungsplatte Jazz ist anders verzichten Belafarinrod nun darauf, 16jährige zu ermuntern, doch bitte ihr eigenes Ding zu machen, weil man dann ja „immer am besten“ sei. Auch wird der bandeigene Tiefpunkt des Stückes „Breit“ nicht weiter unterschritten. Misst man die Ärzte jedoch am Witz der Planet Punk, am Sound der 13 oder an der an Kreativität unüberbotenen (unübertrefflichen?) Runter mit den Spendierhosen, Unsichtbarer!, bieten das neue Album keinen relevanten Stoff. Selbst am Vergleich mit der Geräusch (2003) scheitert man kläglich.
Dabei muss man sagen, dass Farins Tracks ausgesprochen unterhaltsam sind. Nur: Wo er früher 12 Lieder zum Album beisteuerte, sind es heute nur noch sechs. Hat er sein Pulver für seine (großartigen) Soloalben verschossen? Ist die Leistungsselektion einer neuen Bandharmonie zum Opfer gefallen? Wie sonst lässt es sich erklären, dass der Verantwortliche für „Breit“, „Niedliches Liebeslied“, „Lovepower“ und „Piercing“ (!) fünf (!) Lieder beisteuern durfte?
Hinein ins Werk. Das Album beginnt mit „Ist das noch Punkrock?“, eine kleine Hymne über Mainstream vs. Subkultur, Dafür vs. Dagegen, Ikea vs. Saufen, verpackt in urlaubschem Musikgewand. Der Refrain ist einfach und lädt zum Mitsummen ein. Es hat nicht den Hauch der Klasse von „Punk ist…“, aber verdirbt auch nicht gerade den Vorgeschmack. Ebensowenig „Bettmagnet“, ein trivialer Song über den Lethargiesumpf, den ein Fernseher am Bett verursachen kann – auch hier die Musik in Bela-Manier. Beide übertreffen ihre Startsongs der „Jazz ist anders“ souverän.
Rods Leerstelle
Auch Rod gelingt das – da jedoch an entsprechender Stelle „Breit“ stand, will das nichts heißen und tut es auch nicht: „Sohn der Leere“ ist ein leerer Song über … ja, worüber? Ich habe keine Ahnung und nichts am bisher dreimaligen Hören des Songs reizt mich daran, mich weiter damit zu beschäftigen.
Doch just, als man gerade einzuschlafen drohte, ertönt „TCR“, ein witziger Song über die Funktion der Ärzte in der Welt: Während sie anderen das Denken überlassen, sorgen sie für die musikalische Untermalung. Der Refrain hat seinen ganz eigenen Rhythmus und verführt durch unkonventionelle, aber elegante Reme zum Mitsingen („musikalische Begleitung … niveautechnische Grenzwertunterschreitung“). Leider wird das Stück am Ende etwas zu verspielt, der Stil des Anfangs hätte auch locker über 4 Minuten gezogen werden können, ohne langweilig zu werden. Allerdings wird die Nummer live zu zahlreichen Variationen führen. Ich bin sicher, dass der Song bei keinem Konzert die Zehnminutenmarke unterschreiten wird. Wobei immer noch die Frage bleibt: TCR? Wikipedia bietet einen Temperaturkoeffizienten an oder auch die „Total Cost of Risk“ – in Anlehnung daran wurden auch schon die „Total Cost of Rock“ diskutiert. Wer Farin kennt, weiß, dass er mit der Auflösung ohnehin nicht lange stillhalten wird und so einigen wir uns vorerst auf letztere Variante.
„Das darfst Du“ ist die Ausnahme von der Regel, dass die Ärzte keine Überlebenstipps mehr geben. Bela schlägt in diesem Lied vor, dass man sich doch mal querstellen solle, was in Ordnung ist, solange für diesen Hinweis keine Originalität beansprucht wird. Das Lied ist nicht übergebührlich schlecht, erinnert in seiner Kunstlosigkeit aber doch ein wenig an das neueste „Gedicht“ von Günter Grass – „Nur weil die Angst regiert, heißt das nicht, dass Du auch welche hast / Du weißt doch detailliert was Dir nicht passt“ halte ich zumindest für Prosa und keine Lyrik.
Frauen, Männer, Tamagotchis
Dann kommt „Tamagotchi“. Ich hatte auf ein albernes Lied gehofft und wurde enttäuscht; denn der Versuch der Albernheit ist derart zwanghaft, dass es nicht einmal mehr als albern durchgeht. Es ist von Rod. Ich hoffe, er war sich des Anachronismus des Themas bewusst – wenn jedoch gerade dieser bewusst witzig sein sollte – nääää.
„M&F“ wäre mit Sicherheit die Vorabauskopplung gewesen, wenn es da 1998 nicht „Männer sind Schweine“ gegeben hätte. Das Lied ist einfach, musikalisch interessant, sprachlich elegant und hat großes Ohrwurmpotential. Es geht um Männer und Frauen.
„Freundschaft ist Kunst“ lässt sich am Anfang gut aushalten, ist eine schnelle Belanummer, mit aggressivem Gesang, bei der textlich bewusst und clever unklar bleibt, ob das lyrische Ich oder der Adressat letztlich der Vollidiot ist. Leider ist der Refrain viel zu einfach, wird zu oft wiederholt und nervt schließlich. „Angekumpelt“ ist wiederum von Rod. Dieses Lied hat er schon öfter auf Alben platziert („T-Error“; „Dinge von denen“) und muss deshalb nicht weiter diskutiert werden.
Fiasko und Aphasie
Beim „Waldspaziergang mit Folgen“ handelt es sich überraschend um geschickt verpackte Religionskritik, mit der aber nicht zwingend jeder in Liedern besungen werden möchte. Auch musikalisch ist dies leider eher ein Lied der Prinzen als der Ärzte.
Es folgt: „Fiasko“. Zwei Minuten und 43 Sekunden lang, beginnend mit einem einfachen Basslauf, ohne oberflächlich erkennbare Finessen – aber definitiv einer Exklusivbetrachtung würdig! Farin U. besingt eine simple Lebenssituation (also die beste Ausgangslage für einen Topsong): Der Held schreitet selbstbewusst zu seiner Traumfrau, will sie ansprechen und…“Äääh, ich…“ Spontane Amnesie! Der Refrain wird mit einer nur aus einem einzigen Vers bestehenden ersten Strophe eingeleitet und dann kontrastreich besungen. Als besonderes Schmuckstück hat Sprachakrobat Urlaub zum Ende den unterschiedlichen Background- und Leadgesang in einem Wort zusammengeführt, was zumindest meiner bescheidenen Kenntnis nach ein Novum darstellt – wenn es sich auch nur um das Wort „an“ handelt. Auch bringt er das Kunststück fertig, „Aphasie“ in den Text zu streuen, ohne dass es stört. Einziger Minuspunkt: Geringes Ohrwurmpotential. So müssen sich „TCR“ und „Fiasko“ leider um den Titel „Bester Song des Albums“ streiten.
Bela kontert seinerseits mit seiner stärksten Nummer, „Miststück“, die musikalisch gut auf seine jüngsten Soloplatten gepasst hätte. Seine Ex hat ihn verlassen und das findet er gar nicht gut. Nur weiß er nicht so genau, ob er sie jetzt hassen soll – immerhin riecht sie nach Pferd und Omaschlüpfern – oder sie doch noch zurückhaben möchte; die Tampons, die noch im Bad sind, werde er jedenfalls sorgfältigst für den Falle ihrer Rückkehr aufbewahren. Wenngleich es sich um ein simples Thema handelt, haben wir es hier mit dem vielseitigsten Text der Scheibe zu tun.
Trend zum Lückenfüller
Worum es bei „Das finde ich gut“ geht, weiß ich leider nicht. Nichts an dem Lied hat mich bisher reizen können …Aber das hatten wir schon. Es ist von Rod.
„Cpt. Metal“ ist ein…Metalsong. Gegen Rihanna. Gegen die Black Eyed Peas. Gegen Batman, denn der hat nichts gegen Rihanna unternommen. Cpt. Metal räumt nun auf und entfernt die Weichspülermucke aus den Charts. Farin hat ja auf seinen Soloalben schon bewiesen, dass er gängige Metalriffs beherrscht. Leider jedoch ist der Text für diesen Sprachkünstler viel zu platt und der Gesang kommt selten hölzern daher. Da sich sein Inhalt jedoch großer Zustimmung erfreuen wird, bin mich mir sicher, dass dieser Song künftig als der Held des Albums gefeiert wird – ähnlich wie „Junge“ beim letzten Album.
Fans von „Die Hard“ sollten doch bitte den Film sehen. Das Lied ist nämlich von Rod und es nicht gut. „Zeidverschwändung“ schließlich ist als Outro ok. Leider läutet es keinen Hidden Track ein.
Insgesamt ist festzuhalten, dass Auch seinen Vorgänger vor allem in textlicher Kreativität übertrumpft, musikalisch jedoch wenig wagt und auch ohne Rockhymnen a lá „Nicht allein“ aufwartet, die als Intros auf Konzerten dienen könnten. Zu viele Lückenfüller sind vorhanden, was schon seit Geräusch zu beobachten ist. Ein wenig lustlos wirken die Ärzte und kündigen nun denn auch eine „Bandpause“ an, wobei nicht ganz klar ist, inwiefern die letzten fünf Jahre keine Bandpause gewesen sein sollen. Gespannt sein darf man noch auf zahlreiche B-Seiten und natürlich auf Farin Urlaubs neuestes Soloalbum, das führ gewöhnlich ein Jahr nach Erscheinen des jeweiligen Ärztealbums auf dem Markt landet.