dOCUMENTA(13)
Documenta-Halle, Hauptbahnhof, Orangerie, Fridericianum, Stadtpark, Ottoneum – was in Kassel Platz bietet, wurde mit Kunst gefüllt. Die dOCUMENTA(13) hat den Anspruch, einen Überblick über Gegenwartskunst zu bieten. Besucher wandern von Ort zu Ort, bis ihnen die Kunst aus den Ohren quillt.
An zwei Orten gleichzeitig sein – oder an einem Ort, aber in zwei Zeiten: Dieses mehr als außergewöhnliche Gefühl ermöglicht ein Besuch auf der dOCUMENTA(13) in Kassel. Beim Videoprojekt der Kanadierin Janet Cardiff erleben die Besucher Cardiffs Eindrücke im Kasseler Bahnhof mit. Mit einem iPod und Ohrhörern ausgestattet gehen sie durch den Bahnhof der Jetzt-Zeit, sehen und hören gleichzeitig den Bahnhof des vergangenen Winters. Hunde bellen, Musikanten marschieren durch die Halle und tatsächlich werden wir durch den Notausgang eines Kinos gelotst – vielleicht wollte Cardiff hier die gesetzestreuen deutschen Kunstfreunde foppen. Kunst kann was, das ist der erste Eindruck auf der dOCUMENTA(13). Hoffentlich nicht zu voreilig.
Intimste Gedanken und letzte Augenblicke
Jahrelang hat die Künstlerin Ida Applebroog (Archivlink) ihre Gedanken aufgeschrieben, Sätze wie „I see by your fingernails that you are my brother.“ oder „I held it / I caressed it / It shit in its pants.“ Besucher können diese und noch mehr Sätze von Abreißblöcken abreißen und mitnehmen. Rabi Mrouéhat aus pixeligen Handyvideos Daumenkinos gemacht. Wer sie ablaufen lässt, sieht verschiedene Aufnahmen aus den arabischen Rebellionen: Es sind Soldaten zu sehen, einer richtet seine Waffe auf den Betrachter, die Aufnahme bricht ab. István Csákány dagegen hat einfach mal eine Nähwerkstatt aus Holz nachgebaut.
Militärische Tiere und das Leben unserer Kinder
In der Documentahalle zeigen die südkoreanischen Filmemacher Moon Kyungwon und Jeon Joonho zusammen mit dem japanischen Designbüro takram ihre Vision der Zukunft: Auf der verstrahlten und lebensfeindlichen Erde überleben Menschen mit Implantaten, die ihren Wasserbedarf minimieren und ihre überschüssige Wärmeenergie umwandeln. Zwei Kurzfilme und Modelle zukünftiger Technologie sind auf der dOKUMENTA(13) zu sehen. Eine Hütte in der Karlsaue trägt Tarnfleck. Im Inneren warten bedrohte Tiere, die Künstlerin Fiona Hall hat sie aus den Militäruniformen ihrer Heimatländer geschneidert.
Ein Kassel Buntes
Ein Konzept, das über „Gegenwartskunst“ hinausgeht, hat die dOCUMENTA(13) nicht. Viele Kunstwerke thematisieren passend zum Motto Zusammenbruch und Wiederaufbau die Zerstörung der Natur durch den Menschen, aber bei weitem nicht alle. Dafür wird Diversität geboten mit Kunst aus allen Bereichen und Weltgegenden. Besucher und Besucherinnen sollten sich Zeit nehmen, jeden Winkel Kasseler Kunstkaskade zu durchstöbern. Denn obwohl das Wort Gegenwartskunst in vielen Köpfen mit den Labels „langweilig“ und „unverständlich“ versehen ist, kann ein waches Gehirn hier grandiose Dinge entdecken.