Geoff Tate: Kings and Thieves
Eigenwilligkeit hat ihren Preis
Massenkompatibel war der US-amerikanische Singer/Songwriter nur während einer kurzen Phase seiner langen Karriere. Der 53-jährige Exzentriker hat viele Wandlungen durchlebt. Neuerdings wird Geoff Tate unter der Rubrik »Alternative« geführt. Früher lautete sie »Progressive Metal«. Da war er aber noch der überragende Frontmann von Queensrÿche. Kurz nach seinem Rausschmiss Mitte des Jahres erschien nun sein zweites Soloalbum »Kings and Thieves«.
Geoff Tate gilt seit 30 Jahren als stimmliches Ausnahmetalent und gehört mit Namen wie Freddy Mercury oder Rob Halford in einem Atemzug genannt. Dabei zeichnet er sich nicht nur durch seine Technik aus, mit der er sich nahezu spielerisch und volltönend durch vier Oktaven bewegt und „bridget“. Sein Markenzeichen ist die Vielfalt des emotionalen Ausdrucks: In den Tief- und Mittellagen variiert er von melancholisch über warmherzig bis vorwurfsvoll oder auch wütend. Bekannt allerdings haben ihn seine hohen Lagen gemacht, inklusive aller hier möglichen spitzen und manisch anmutenden Schreie. Dennoch verfügt er nicht über die Bekanntheit der oben Genannten. Eigenwilligkeit hat eben ihren Preis, und den bezahlt Geoff Tate dieses Jahr in voller Höhe.
Musikvideo: Queensryche — Eyes Of A Stranger
Progressive: das Gegenteil von Wiederholung
Unmöglich, sich seinem neuen Solo-Album zu nähern, ohne über die selbstzerstörerischen Tendenzen seiner einst so gefeierten Band Queensrÿche zu sprechen. Die hat den Begriff des Progressiven (ständiges Fortschreiten) besonders ernst genommen: Warum sollten sie sich wiederholen, fragte Geoff Tate immer wieder und machte es mit seinen Kollegen zum Markenzeichen der Band, dass kein Album den zuvor veröffentlichten gleicht. Eine Strategie, die zum musikalischen Prinzip passt: Progressive Rock/Metal lebt nicht von der Wiederholung einfacher Riffs, sondern ganz im Gegenteil von komplizierter Verknüpfung mehrerer Themen, häufigen Tempowechseln oder gar der Überlagerung mehrerer Rhythmen, was mehr oder weniger vordergründig stattfindet. Nicht aber passt die Verweigerung des Sich-Wiederholens zum erzkonservativen Grundverständnis der meisten Rockfans und vieler Kritiker: Veränderung wird nicht gern gesehen. So schrumpfte die Fangemeinde über die Jahre gewaltig.
Dabei hatte alles so vielversprechend begonnen. Gegründet Anfang der 1980er Jahre machten Queensrÿche schnell durch ihren satten Sound, die zumeist intelligenten Texte und die Stimmgewalt ihres Sängers auf sich aufmerksam. »Thinking Man‘s Metal« wurde ihr Stil auch genannt, sie selbst als Gentlemen und Perfektionisten betrachtet. Anfang der 1990er Jahre hatten sich für die fünf Musiker aus Seattle dann alle Türen und Tore zur Unvergänglichkeit geöffnet: Mit »Operation: Mindcrime« hatten sie 1988 eines der besten Konzeptalben aller Zeiten vorgelegt. Der gefälligere Nachfolger »Empire« wurde ab 1990 auf MTV rauf- und runtergenudelt und verkaufte sich millionenfach. Seither teilt sich die Fangemeinde in zwei Lager auf, deren Grenzlinie irgendwo zwischen Mindcrime und Empire liegt. Die Band kümmerte das wenig, sie schritt einfach weiter voran und machte, was sie wollte.
Selbstzerstörung in Perfektion
1997 erwies sich dann als Schicksalsjahr: Nicht nur schied ihr Hauptsongschreiber aus, auch machte ihre Plattenfirma EMI in den USA dicht. Und weil sich ihr Management um nichts kümmerte, erklärte die Band Geoff Tate’s Frau zur Managerin. Eine kluge Entscheidung? Nein, natürlich nicht. Und doch wurde sie über 15 Jahre aufrechterhalten. Etwas spät hatten sie realisiert, dass aus ihrer Band eine One-Man-Show geworden war, unterstützt durch seine Familienmitglieder. Also kündigten sie Anfang des Jahres unter anderem ihrer Managerin und teilten dies Geoff Tate kurz vor einem Auftritt in Brasilien mit. Was bei dieser Begegnung nun genau stattgefunden hat, ist unklar. Wilde Gerüchte kursierten, von Waffengewalt war gar die Rede. Realistischer ist ein Handgemenge, dokumentiert sind Spuckattacken und Beleidigungen. Klar ist nur, dass dies den Beginn einer Schlammschlacht bezeichnet. Die wird nicht nur vor Gericht, sondern zu allem Übel auch noch öffentlich ausgetragen und ist schlichtweg unwürdig. Im Juli entschied dann eine Richterin nach Klageerhebung durch Geoff Tate, dass sowohl der Rest der Band (mit neuem Sänger) als auch er selbst den Namen Queensrÿche führen dürfen (siehe hierzu auch: Billboard.com). Weshalb es nun nicht nur zwei Bands mit demselben Namen, sondern auch zwei entsprechende Websites, zwei Facebook-Seiten und zwei Twitter-Accounts gibt. Die verbliebenen Fans wären schon clever genug, das alles auseinanderzudividieren, urteilte die Richterin. Weitere gerichtliche Auseinandersetzungen stehen noch an.
Kings and Thieves
In dieses Kuddelmuddel hinein kommt nun die zweite Soloveröffentlichung. 2002 hatte Geoff Tate schon einmal Solopfade betreten. Wo der selbstbetitelte Erstling noch eine Reihung verschiedener Stile aufwies, zeigt sich »Kings and Thieves« insgesamt härter und anstrengender. Kein Stück besitzt tatsächliche Ohrwurmqualitäten oder wäre gar radiotauglich. Einzig der Opener »She Slipped Away« und das zuerst ausgekoppelte »Dark Money« erschließen sich bereits weitgehend nach einmaligem Hören. Für den Rest ist mehr Ausdauer nötig. Bei mir läuft das Album nun seit drei Tagen in der Heavy Rotation, und so langsam verschwindet der Eindruck, dass alles ein bisschen arg gleich klingt. Denn abgesehen von zwei balladesken Stücken, die das Album beschließen, bleiben alle anderen Songs im Mitttempobereich, kommen vorrangig düster daher, leben von wuchtig-schwerem Sound und begleitenden Chören. Bemerkenswert ist dabei, dass die Produktion gar nicht die wenig eingängigen Gesangslinien in den Vordergrund, sondern den einzelnen Song mit all seinen Performern gleichwertig nebeneinander stellt. Des Sängers Lieblingsinstrument, das Saxofon, inbegriffen.
Geoff Tate: Dark Money (Lyrics Video) von InsideOutMusic
»I just want to change me«
Und doch ist ganz viel Persönliches drin: Auch wenn die meisten Stücke wahrscheinlich aus einer Zeit vor dem großen Zerwürfnis stammen, ist dessen Einfluss an allen Ecken und Enden spürbar. Noch nie habe ich Geoff Tate bei aller emotionalen Vielfalt so wütend, selten so gequält gehört. Immer wieder ist von der Suche nach Klärung die Rede, wird die unterschiedliche Betrachtungsweise von ein und derselben Angelegenheit betont. In »Evil« brüllt er seinen Frust heraus: »But you’re perception of this situation will bring you down. Words don‘t matter cause what you give is what you get.« Es gibt aber auch versöhnliche Anteile, die hoffen lassen, dass er die bislang größte Krise seines Lebens überwindet. Selten war eine seiner Veränderungen so nötig wie diese.
»Kings and Thieves« ist wahrlich nichts für den durchschnittlichen Massengeschmack. Seit 20 Jahren muss sich Geoff Tate nun schon an einem Stil messen, der heute nicht mehr breit vermarktbar wäre. Und wie so oft in seiner Karriere hängt auch dieses Output zwischen allen Stühlen: Den einen ist es nicht metallisch, den anderen nicht leichtgängig und rezipierbar genug. Wer aber keine Angst vor Rockmusik hat und Alben gerne – dem Genre-Prinzip zum Trotz – wiederholt anhört, um immer wieder etwas Neues darin zu entdecken, sollte sich ohnehin einmal dem Gesamtwerk dieses Künstlers widmen. Ein guter Anfang wäre da auf Youtube das Stichwort »Live Evolution«.