Hoffentlich regnet es zu Hause
Zufälle gibt es, die haben sich gewaschen. Da entdeckt man auf Instagram eine ziemlich bekloppte und irgendwie schwer zu deutende Szene, die ein Karibikurlauber mit seinem Smartphone aufgenommen hat. Und dann stößt man in einem Buch, das gerade zufällig auf der privaten Leseliste steht und eigentlich nichts mit dem Insta-Vlogger zu tun hat, auf die Erklärung genau dieser Szene, die man auch für Fake halten könnte. Autor des Buches ist der Slam-Poet Christian Ritter, der in Hoffentlich regnet es zu Hause Kurioses über Deutsche und Urdeutsches im Urlaub berichtet.
Herrliche Selfies
Nun muss man der Ehrlichkeit halber sagen, dass diese visualisierte Beklopptheit keineswegs von Deutschen gepachtet ist und nur von ihnen zelebriert würde. Um noch ehrlicher zu sein: Viele der durchweg kurzen Episoden im Buch passen nicht wie Popo auf Eimer zum Untertitel Wenn Deutsche Urlaub machen. Aber egal, solange es lustig ist. Und diese Kulthandlung des Instagrammers ist lustig. Sogar bescheuert. Tatort Maho Beach, laut Ritter ein legendärer Strand, aber es schadet nicht, wenn man noch nie davon gehört hat. Der Sandstreifen befindet sich auf der zweigeteilten Karibikinsel Saint-Martin/Sint Maarten – oben französisches, unten niederländisches Territorium. Das handtuchbreite Strandfleckchen sei bei „Planespottern“ beliebt, kann man sogar auf Google Maps lesen und dort noch affenscharfe Tipps aufgabeln: „Zur Zeit ist samstags der beste Tag.“ Na schön, das war vor Monaten und hilft jetzt auch nicht mehr weiter. Der „beste Tag“ übrigens, um startende und landende Jets durch die Frisur pflügen zu lassen, denn Maho Beach ist nur deshalb legendär, weil dieser Strand wie eine Zierleiste an die Piste des Princess Juliana International Airport getackert ist. Das ergibt herrliche Selfies für Instagram mit Flugzeugbäuchen dicht über der eigenen Grimasse, also mindestens vier Likes verzückter Follower.
Ritter sagt die Wahrheit, ohne beleidigend zu werden: „Das ist er also, der Jet Blast. Wenn man ihn googelt, kommt ein Bild vom Maho Beach. Wenn man ‚Idioten‘ googelt, sollte auch eines kommen.“ Man könnte noch ein Weilchen im Kakao rühren und sich vielleicht Princess Juliana zur Brust nehmen, Vorgängerin und Mutter von König Beatrix, was dann nahtlos zu Hape Kerkeling überleiten würde: „Ich bin doch die Beatrix.“ Oder man folgt Andrea und Christian zumindest per Internet in die „Driftwood Boat Bar“, um wiederum auf Google die glanzvoll übersetzte Rezension einer gewissen Rosalia auf sich wirken zu lassen: „Tipp den Piloten vorher Winkeln vorm Abflug. Wir waren eine große Gruppe, viele haben automatisch mitgemacht.“
Ciao Andrea
Wo wir gerade beim Winkeln sind. Andrea ist hier kein Frauen-, sondern ein italienischer Männername und dieser Andrea dann auch zweifelsfrei keine Frau, sondern Christian Ritters homosexueller Partner. Dies soll nun kein indiskreter Umgang mit Familieninterna werden, vielmehr widmet der Autor selbst so manche Zeile seinem Beziehungsstatus, ohne dass LeserIn ahnen würde, was das mit dem Regen zu Hause und den Deutschen im Urlaub zu schaffen hat. Vielleicht ist das der einzige, zudem verzeihliche Schwachpunkt im Buch, vielfach wettgemacht durch köstliche Detaillesen aus dem reichen Reservoir touristischer Peinlichkeiten und Missgeschicke.
Nehmen wir allein den griesgrämigen Walter, der mit aller Selbstverständlichkeit und Angriffslust im Pariser Straßencafé eine Apfelschorle bestellt. Nun ist dieses Getränk, wie die Welterfahreneren unter uns wissen, noch nicht recht in Frankreich angekommen, viel weniger seine deutsche Bezeichnung. Schorle klingt ja auch für uns wie Schwäbisch für Spätaussiedler. Wer die Waffen strecken will, erzählt irgendwas von Pomme pétillante (perlender Cidre ohne Alkohol), bestellt je ein Fläschchen Sprudel und Apfelsaft zum Selbermischen oder erklärt dem Kellner die mélange aus 50 % jus de pomme und 50 % eau gazeuse. Kann ja nicht schaden, wenn man ein paar deutsche Grundfesten ins Ausland trägt. Kulturtransfer will Walter indessen nicht gelingen, er wird zum Poltergeist, nur zu bremsen durch Christian Ritters beherztes und amüsantes Eingreifen.
Hoffentlich liest man das zu Hause
Das Schöne an den Szenen: Nichts wirkt überzeichnet, alles stoppt die paar Zentimeter vor der Demarkationslinie zwischen Absurdität und Klamauk. Man liest den Schmöker in einem weg, ohne zu stutzen, liest ihn auch ein zweites Mal und fragt sich, wie es sein mag, wenn Christian ihn vorliest. Denn Poetry Slam ist ja immer noch die Dichterlesung gegen die Zeit mit einer Prise Selbstinszenierung. Auf einen krisenfesteren Berufsstand übertragen: Nur Friseure können, was Friseure können.
Christian Ritter: „Hoffentlich regnet es zu Hause“. 152 Seiten, Berlin (Satyr Verlag) 2022
Fischpott hat ein Rezensionsexemplar vom Verlag erhalten.