Im Auge des Sturms
DVD-Start einer Familientragikomödie am Sterbebett
Na, das klingt doch mal nach einem echten Fischpott-DVD-Geheimtipp: Rückkehr der mittlerweile in die Jahre gekommenen Kinder an das Sterbebett ihrer herzlosen Mutter. Die vermag auch im Angesicht ihres nahenden Todes keinerlei Verständnis dafür zu entwickeln, was sie und ihre Lieben bereits vor vielen Jahren entzweien konnte. Da wird es nicht nur Fischpott-Lesern warm ums Herz. Die Rezensentin kam nicht umhin, sich unter diesem als Tragikomödie angekündigten Plot etwas durchaus Reizvolles vorzustellen. Weil Familiengeschichten, die von Gummibärchen und Weihnachtspunsch erzählen, braucht doch kein Mensch. Die Verfilmung des gleichnamigen Buches von Literatur-Nobelpreisträger Patrick White hierzulande offenbar allerdings auch nicht: Der Film von Fred Schepisi (Das Russlandhaus, Roxanne) kam in Deutschland nie in die Kinos.
Lila Perücke trifft auf alternde Charmeoffensive
Patriachin Elizabeth Hunter (Charlotte Rampling), die sich unter elegantem Schick lilafarbene Perücken, Federboas und tonnenweise Schminke vorstellt, glaubt ihre Familie und die Bediensteten im Griff zu haben. So bezieht die Köchin des Hauses ihre Existenzberechtigung weniger aus ihren Koch-, denn aus ihren Künsten als singende Möchtegern-Tänzerin, ganz zur Belustigung ihrer Herrin. Und ihren Anwalt hatte die Diva schon vernascht, da ahnte dessen Ehefrau noch nichts von der amourösen Schwäche ihres Gatten. Zumindest eine der beiden Krankenschwestern versteht es aber sehr wohl, die alte Kranke um ihre Habe zu bringen, und scheitert nur knapp bei ihrem Versuch, sich per Schwangerschaft in die Familie zu zecken. Auf diese illustre Runde treffen nun Sohn Basil (Geoffrey Rush), ein mehr oder minder erfolgreicher Schauspieler, der sich »Sir Basil« nennen lässt und ganz auf seine alternde Charmeoffensive setzt, und seine Schwester Dorothy (Judy Davis), die von den Angestellten ob ihrer längst geschiedenen Ehe mit einem französischen Adeligen »Prinzessin« genannt werden soll. Beide haben ihrer Mutter schon lange Jahre zuvor den Rücken gekehrt und kommen nun nicht nur wegen des letzten Abschieds zurück nach Hause – beide schauen vor allem freudig ihrem Erbe entgegen. Im Fall Dorothy ist die ambivalente Haltung nun bei der Rückkehr durchaus nachvollziehbar: »Mummy« hat es bei ihren Liebschaften nie so genau genommen und sich durchaus auch den Geliebten der Tochter gekrallt. Andererseits ist diese Frau ihre Mutter. Konflikte dieser Art lassen sich leichter ertragen, wenn man nicht an einem Ort lebt. Und wenn man nicht einmal mehr vor Augen geführt bekommt, dass man die emotionale Unterentwicklung der eigenen Mutter geerbt hat.
Emotionale Armut ruft müdes Schulterzucken hervor
Dass ich den Umstand, dass da einer den Literatur-Nobelpreis bekommen hat, schon immer eher abschreckend empfunden habe, hatte ich auf diesem Blog schon einmal an anderer Stelle eingestanden. Deshalb kann ich auch nicht beurteilen, ob diese Adaption den Preisträger glücklich gestimmt hätte: Ich habe das Buch des bereits 1990 verstorbenen australischen Schriftstellers nicht gelesen. Sicherlich ist es denkbar, dass bei der notwendigen Kürzung seines 600 Seiten umfassenden Werkes auf ein gerade mal 100 Seiten starkes Drehbuch einiges an Tiefe verlorengegangen sein mag. Ich denke aber, dass das Problem eher in der grundsätzlichen Szenerie liegt. Das Buch stammt aus dem Jahr 1973 und zeigt Menschen, die auch in dieser Zeit nicht typisch waren: Exaltierte Pseudo-Adlige, die sich in ihrer Umwelt wie Popstars feiern lassen und dabei gar nicht merken, dass niemand sie mag – so wenig wie sie andere mögen. So bleibt das Problem, das zeit- und schichtungebunden existiert und immer dann entsteht, wenn eine ungeliebte, extrem egozentrische Frau ihre Kinder ungeliebt und extrem egozentrisch erzieht, leider auf der Strecke. Zu groß ist die Distanz, die diese so unsympathischen Figuren in mir als Zuschauerin wecken, als dass ich Lust hätte, mir näher Gedanken über ihre persönlichen Konsequenzen zu machen. Da ist es auch kein Wunder, wenn am Ende das Ableben der Hauptfigur und die Reaktionen ihrer Angehörigen nicht mehr als ein müdes Schulterzucken hervorrufen. Dabei will ich gar nicht behaupten, dass »Im Auge des Sturms« ein schlechter Film sei. Aber das ist das Problem an Geschichten von unsympathischen Menschen: Sie müssen schon verdammt gut erzählt sein, um bei einem breiten Publikum Interesse oder gar Identifikationsbereitschaft zu wecken. Bei mir hat der Film diese beiden so wichtigen Kriterien für unterhaltsame zwei Stunden vor dem Fernseher jedenfalls nicht hervorgerufen und blieb so leider nur ein Sturm im Wasserglas.
Disclaimer: Fischpott hat ein Rezensionsexemplar der DVD von Polyband erhalten.
Video-Link: http://youtu.be/mYAKf55NWEc