Malmsturm
Ein Gastbeitrag von Grischa, Lovecraftianer aus Bochum.

Logo von Christophe Szpajdel, © Uhrwerk Verlag
Schwarz marmoriert, ein dunkles Grimoire. So kommt Malmsturm daher. Ein Spiel, das sich bereits optisch von anderen bekannten Rollenspielen absetzt. Statt heroischer Bilder düstere Schlichtheit, nur aufgelockert durch den augenzwinkernden Hinweis, dass es sich hier um „explicit gaming“ handelt. Malmsturm wendet sich demnach an die reiferen SpielerInnen. Doch fangen wir mit den Basics von Malmsturm an, bis zum heutigen Tag sind zwei Publikationen des Malmsturm-Teams erschienen. Das Regelwerk und ein wesentlich umfangreicherer Band, der sich ausschließlich mit der Malmsturmwelt beschäftigt. Diese Rezension behandelt nur das Regelwerk. Der Schriftzug dürfte so manche unbedarfte SpielerInnen vor eine erste Hürde stellen, er sieht aus wie ein etwas besser lesbares Black Metal Logo. Damit sind wir auch schon bei einem für mich sehr tollen Aspekt von Malmsturm; das gesamte Spiel atmet den Geist des Metal und Pulpliteratur. Darkthrone und Robert E. Howard standen ohne Zweifel Pate bei der Erschaffung von Malmsturm. Der erste Lacher wurde mir bereits auf der zweiten Seite entlockt. Neben einem Zitat vom Urgroßvater aller Rollenspiele Gary Gygax gegen Regelfetischismus finden wir DAS Zitat von „the wickedest man on earth“ Aleister Crowley „do what thou wilt shall be the whole law“! Diesem sympathisch anarchischen Motto versuchen die AutorInnen von Malmsturm zu entsprechen, indem sie die Macht über das System an die SpielerInnen zurückzugeben.
Die Illustrationen selbst sind alle in schwarz-weiß gehalten und von guter Qualität, sie erinnern teilweise an ältere Conan-Comics und sparen nicht mit viel nackter Haut. Die Zeichnungen stammen komplett von einem Künstler, die üblichen Qualitätsschwankungen, die bei kleineren Publikationen im Rollenspielbereich normal sind, finden wir bei Malmsturm nicht. Mit der Qualität von Hochglanzrollenspielen wie »Call of Cthulhu« kann Malmsturm jedoch nicht mithalten.

Illustration Björn Lensig, © Uhrwerk Verlag
Die Regeln von Malmsturm unterscheiden sich in vielen Punkten fundamental von bekannteren Systemen. Die Grundlage von Malmsturm ist das FATE-System. FATE ist ein universelles Rollenspielsystem, das es den SpielerInnen erlaubt in allen bekannten Welten, von klassischer Fantasy über Space Opera bis hin zum Urban Horror alles zu spielen. Der Fokus von FATE ist auf ein eher narratives Spiel gerichtet und weniger auf eine möglichst realistische Wiedergabe von Aktionen. Lange Schadenstabellen und Würfellisten, mit der die SpielerInnen die Augenfarbe und die Schuhgröße ihrer HeldInnen bestimmen können finden wir bei Malmsturm zum Glück nicht. Malmsturm ist also ein generisches Rollenspiel, ähnlich wie »GURPS«, die AutorInnen machen aber im Regelwerk recht deutlich, dass Malmsturm für die Welt Malmsturm gedacht ist, aber mensch ist ja frei und muss sich nicht an diese Vorgabe halten.
Die Gliederung des Regelwerks ist sehr übersichtlich, am Anfang eines Kapitels ist noch einmal ein detailliertes Verzeichnis für das entsprechende Kapitel. Wenn eine Neuauflage geplant sein sollte, möchte ich den AutorInnen einen Index ans Herz legen, einen solchen habe ich manchmal wirklich vermisst. Die Kapitel selbst sind nicht wirklich umfangreich und an einem entspannten Nachmittag gut durchzulesen. Was den Lesefluss ein wenig beeinträchtigt sind die permanenten Einschübe über alternative Regeln und Spielvorschläge. Diese sind zwar durchaus spannend und hilfreich, doch nehmen sie zu viel Platz weg und stören den Lesefluss, hier wäre eine kleine Änderung im Layout durchaus sinnvoll.
Leider ist das erste Kapitel nicht wirklich gut gelungen, die AutorInnen versuchen einen schnellen Überblick über die Regeln zu geben und bleiben dabei arg verkürzt. AnfängerInnen finden wenig bis keine Informationen was nun genau ein Rollenspiel ist, was seine Mechanismen auszeichnet und wie beispielsweise eine archetypische Rollenspielrunde abläuft. Eine gute Einführung sollte meines Erachtens genau dies leisten, eine Gegenüberstellung eines typischen Rollenspiels wie »Dungeons & Dragons« oder »Das Schwarze Auge« (mensch muss ja nicht die Systeme beim Namen nennen, wir wissen doch alle wovon die Rede ist) mit dem FATE-System würde das erste Kapitel wesentlich auflockern. Auch wenn die AutorInnen den Anspruch haben sich an erfahrene SpielerInnen zu richten, ist das Einführungskapitel in meinen Augen nicht gelungen.

Illustration Björn Lensig, © Uhrwerk Verlag
Die folgenden Kapitel gehen auf die Erschaffung der Charaktere, die sogenannten Aspekte, die Regeln und Fertigkeiten ein. Ein für mich sehr spannendes Kapitel ist eine eher theoretische Abhandlung über die Spielleitung, hier stellen die AutorInnen das sogenannte „Sandbox“-Prinzip vor, doch dazu später mehr. Zum Spielen selbst werden sogenannte FUDGE-Würfel und Spielsteine verwendet. Was Spielsteine sind setze ich mal als bekannt voraus. Bei FUDGE-Würfeln handelt es sich um sechsseitige Würfel, die keine Zahlen sondern zwei Plus-, zwei Minuszeichen und zwei leere Flächen haben.
Die Erschaffung der Charaktere ist sehr eigentümlich und stellt die SpielerInnen vor einige Herausforderungen. Wir dürfen den Charakter von der Geburt bis zur ausgewachsenen Heldin begleiten; ältere Semester werden dies von »Traveller« her kennen, doch keine Sorge, die Charaktere können hier noch nicht sterben. Die Generierung ist in fünf Phasen unterteilt und ausgesprochen offen gehalten. Die Charaktere machen in diesen fünf Phasen verschiedene Erfahrungen, die sich in fünf verschiedenen Aspekten ausdrücken, zu den Besonderheiten der Aspekte werde ich noch kommen. In den fünf Phasen wird die Geschichte des Charakters in Form einer kurzen Geschichte porträtiert. Dabei muss nichts ausgewürfelt werden, auch werden keine Generierungspunkte vergeben. Ein für mich sehr interessanter Aspekt ist, das die SpielerInnen ihre Charaktere nicht alleine im stillen Kämmerlein kreieren, statt dessen sind die MitspielerInnen bei der Erschaffung involviert. Die halbfertigen Charaktere werden an diese ausgehändigt, damit sie die Geschichte des fremden Charakters mit der eigenen Charaktergeschichte verbinden können. So starten die Charaktere bereits als fertige Gruppe, man kennt sich halt. Das erspart das aus meiner Sicht oft mühsame Zusammenfinden der Gruppe. Ob diese Form der Charaktererschaffung für alle Settings geeignet ist, möchte ich aber bezweifeln. Manche Abenteuerkampagnen ziehen gerade ihren Reiz daraus, die Geschichte der anderen nicht zu kennen. Trotzdem finde ich diese Herangehensweise interessant und ich werde sie auf jeden Fall in der Spielepraxis ausprobieren.
Zu den Aspekten: Die Aspekte beschreiben die Figur, was sie antreibt, welche Erfahrung sie in der Vergangenheit gemacht, oder was für Nachteile sie hat. Die AutorInnen legen großen Wert darauf, dass diese Aspekte möglichst farbig beschrieben werden, oder wie sie es formulieren möglichst „True Metal“ sein sollen. Ein wahrer True-Metal-Aspekt wäre zum Beispiel „die Fäuste, welche die Mauern von Nakhbar bezwangen“! Die Aspekte ermöglichen es den SpielerInnen bei der Gestaltung der Abenteuer und der Welt mitzumachen. Für jeden Aspekt erhalten die Charaktere sogenannte Schicksalspunkte, diese werden durch die Spielsteine symbolisiert. Durch die Ausgabe der Schicksalspunkte können die SpielerInnen beispielsweise ihre Würfel verbessern, oder einen Wurf wiederholen. Dies ist noch nicht weiter innovativ, andere Systeme wie »Savage Worlds« kennen ähnliche Mechanismen. Wirklich interessant werden die Aspekt und Schicksalspunkte, wenn sie genutzt werden, um etwas zu behaupten. So könnte der oben genannte Aspekt dazu genutzt werden, eine unüberwindliche Mauer zu bezwingen, in dem die Heldin behauptet, sie könne alleine mit ihren Händen eine Schwachstelle im Mauerwerk finden. Es bleibt der Spielleitung schlussendlich überlassen, ob ein Aspekt auf diese Art genutzt werden kann.

Illustration Björn Lensig, © Uhrwerk Verlag
Aspekte sind ein sehr wichtiges und mächtiges Instrument, so haben außer Charakteren und NPC auch Szenen Aspekte. Ein vollkommen überfüllter Markt hat zum Beispiel den Aspekt „Menschenmenge“, diese können die SpielerInnen nutzen, indem sie behaupten, dass die Menschenmenge die Stadtgarde behindert und unsere Heldinnen durch Ausnutzen dieses Aspekts entkommen können. Um einen solchen Aspekt auszulösen, müssen die SpielerInnen einen Schicksalspunkt ausgeben. Damit SpielerInnen dies entsprechend nutzen können, sind die SpieleiterInnen in der Pflicht ,die Szenen möglichst farbig zu beschreiben, was das Spiel natürlich für alle interessanter macht. Die Dynamik der Welt und des Spiels kann durch dieses aktive Manipulieren auf ein neues Niveau gebracht werden.

Illustration Björn Lensig, © Uhrwerk Verlag
Trotzdem kommt Malmsturm nicht ohne klassische Rollenspielmechanismen aus. Die Charaktere haben in der Standardversion fünfzehn Fertigkeiten, die sie vergeben können. Die Fertigkeiten werden auf der sogenannten Fertigkeitspyramide von Großartig bis hin zu Durchschnittlich angegeben. Normalerweise haben die Charaktere eine großartige und fünf durchschnittliche Fertigkeiten sowie ein paar dazwischen. Powergamer können aber beruhigt sein, wenn es die SpielleiterIn erlaubt, können auch mehr großartige Fertigkeiten vergeben werden. Großartig heißt, diese Fertigkeit gibt einen Bonus von fünf auf den Wurf, durchschnittlich hingegen nur einen von eins.
Konflikte, Aktionen und Magie werden über die Fertigkeiten abgewickelt, dazu verwendet mensch die FUDGE-Würfel. Jedes Pluszeichen erhöht den Erfolg, jedes Minuszeichen verringert den Erfolg – so weit, so simpel. Das solcherart erfrischende System wird durch diverse Modifikationen erweitert, alle Charaktere erwerben in ihrem Leben fünf Talente und Gaben. Talente und Gaben bewegen sich zwischen Aspekten und Fertigkeiten, sie werden benutzt um die Fertigkeiten zu modifizieren. Bei Gaben handelt es sich um Gegenstände, die Charaktere irgendwann erworben haben, wie zum Beispiel die Nekromantin, die eine vertrocknete Hand des Nergal ihr Eigen nennt. Diese Hand gibt ihr einen Bonus bei der Beschwörung verstorbener Gottheiten (wenn das nicht „True Metal“ ist!). Talente hingegen sind Fähigkeiten die ein Charakter irgendwann erworben hat. Der große Vorteil der Talente ist es, dass sie den SpielerInnen nicht geklaut werden können; nur ein kleiner Hinweis für boshafte SpielleiterInnen.
Das Kapitel über das Entwerfen und Leiten von Abenteuern ist recht kurz gehalten, doch gehört es mit zu dem Besten, was ich seit langem zu Rollenspieltheorie gelesen habe. Sandbox bedeutet, dass es keinen fertigen Plot gibt, sondern einem Sandkasten gleich gibt es mehrere Möglichkeiten, in denen sich das Abenteuer entwickeln kann. So gibt es zum Beispiel eine Burg mit angrenzenden Dorf, im Wald erzählen sich die Bäuerinnen von einem alten vergessenen Tempel, in den Bergen liegt eine Zwergenfeste (vielleicht leben dort sogar Drachen). Der alte Burgherr verstarb vor kurzer Zeit, man munkelt von Mord! Die Zwerge verlassen die Berge und im Wald verschwanden ein paar Köhler ohne eine Spur zu hinterlassen. Diese Sandbox stellt bereits eine große Fülle an möglichen Abenteuern zur Verfügung. Die AutorInnen geben für die Leitung eines Abenteuers den wirklich sehr klugen Tipp: „so detailliert wie nötig, so offen wie möglich“. Ein weiterer Vorschlag ist es, die NPC durch ein Beziehungsnetzwerk darzustellen. Wenn die Charaktere in ein solches Personennetzwerk eingreifen, können ganz neue dynamische Konstellationen entstehen.
Die restlichen Vorschläge zur Abenteuervorbereitung sind bewusst kursorisch gehalten und lassen viel Spielraum für individuelle Anpassungen.
Fazit:
Malmsturm ist ein interessantes System, das sich ganz eindeutig an erfahrene RollenspielerInnen wendet , die etwas Neues ausprobieren möchten. AnfängerInnen werden mit diesem Spiel wohl eher keine Freude haben, dafür setzen die AutorInnen zu viel Vorwissen über den Ablauf einer Rollenspielsitzung voraus. Die Regeln sind an den meisten Stellen sehr offen gehalten, aktives Mitdenken ist an vielen Stellen gefordert. Die Möglichkeit der SpielerInnen aktiv Einzugreifen stellt die SpieleiterInnen vor eine große Herausforderung, sie müssen flexibel sein und sich auf die Ideen der SpielerInnen einlassen. Ob dies in allen Fällen wirklich gelingt muss sich im Spiel zeigen. Ich glaube aber wenn sich eine Gruppe über einen längeren Zeitraum mit Malmsturm beschäftigt, kann es eine mehr als reizvolle Alternative zu anderen Systemen sein. Im zweiten Teil dieser Rezension möchte ich Malmsturm in der Praxis vorstellen, den nur dann ist es mögliche eine wirkliche Bewertung vorzunehmen. Wir lesen uns wieder, wenn wir die eisigen Tundren durchwandert und uralte Tempel im Dschungel erforscht haben..
Links
Malmsturm-Homepage
Die Downloadseite (unter anderem mit dem kompletten Regelwerk)
Der Uhrwerk-Verlag
Malmsturm-Spielbericht
Disclaimer: Fischpott hat ein Rezensionsexemplar vom Uhrwerk Verlag erhalten.

Illustration Björn Lensig, © Uhrwerk Verlag
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