Jahresrückblick 2016: David
Still sitzt der Rezensent in seinem Schaukelstuhl auf der Veranda und blickt versonnen in Richtung Sonnenuntergang. Er nippt an seinem Whiskey-Glas, schaukelt langsam auf und ab; dann seufzt er leise und raunt bedeutungsschwanger zwei Worte: „Ach, 2016…“
Ja, 2016 war kein schönes Jahr. Wenn es vier aufeinanderfolgende Zahlen schaffen, im Internet zum Meme zu werden, ist das ein schlechtes Zeichen für das Jahr, das uns alle dank Terrorattacken, Rechtspopulismus und Promi-Toden irgendwie nicht allzu glücklich zurückließ. In Sachen Realitätsflucht sah es da jedoch deutlich besser aus: Gerade für Filme war 2016 ein gutes Jahr – besonders wenn man ein wenig abseits des Mainstreams suchte.
Gesehen
Da ich mich nach wie vor mit Vorliebe vor allem in der Filmwelt aufhalte, kann ich zu dieser Rubrik auch dieses Jahr das Meiste schreiben. Neben dem für das beste aller Kulturblogs bereits rezensierten The Nice Guys hat es mir 2016 vor allem Arrival angetan. Regisseur Denis Villeneuve hat bislang nicht einen einzigen schlechten Film gedreht und nachdem ich letztes Jahr bereits den grandiosen Sicario als Film des Jahres gekürt hatte, wird mir der Franko-Kanadier echt langsam unheimlich: Das Alien-Invasionsdrama mit der großartig aufspielenden Amy Adams ist emotional, spannend, innovativ und in vielen Szenen einfach atemberaubend. Nächstes Jahr will sich Villeneuve an einem Blade Runner-Sequel versuchen und seine bisherige Erfolgsquote macht mich recht zuversichtlich, was das angeht.
In Sachen düsterer Spannung hatte vor allem Jeremy Saulnier und sein Zweitwerk Green Room die Nase vorn. Was ein Brett! Absolut kompromisslos und die Spannungsschraube sowas von unerbittlich wie gekonnt anziehend. Dazwischen dann noch ein paar Gore-Momente, die gerade durch die dreckig-realistische Atmosphäre des Films umso härter einschlagen. Und Sir Patrick Stewart als Anführer einer Neonazi-Truppe zu besetzen, ist so unerwartet wie genial. Dass da niemand früher drauf gekommen ist.
Ansonsten liefen gerade Anfang des Jahres viele lang erwartete Highlights: Sei es das DiCaprio-Oscarvehikel The Revenant (sehr gut gespielter, unfassbar schön anzusehender Film) oder der neuste Streich der Coen-Brothers Hail Caesar (nicht der beste Film der Brüder, aber trotzdem überaus liebevoll und witzig gemacht) oder der überraschend smarte The Big Short, nicht zu vergessen Quentin Tarantinos neuester Streich The Hateful Eight (bei Publikum und Kritikern durchaus umstritten, aber ich halte ihn gerade in der 70MM-Version für ein extrem sehenswertes Kammerspiel).
Ein überraschend gutes Jahr hatte Daniel Radcliffe. Ja, im Ernst. Klar, in den Harry Potter-Filmen war der ehemalige Kinderdarsteller nie das stärkste Glied in der Kette und kämpfte so manches mal durchaus hart mit der Darstellung komplexer Emotionen. Aber seit er der Potter-Reihe entwachsen ist, wählt Radcliffe sehr ungewöhnliche und interessante Rollen. 2016 fiel er vor allem in dem schrägen Indie-Darling Swiss Army Man auf und lieferte eine starke Performance ab…als furzende Leiche.
Nein, wirklich…
…glaubt mir…
…man muss ihn gesehen haben, um das nachvollziehen zu können. Nur so viel: Der letzte Furz ist einer der emotionalsten Momente des Filmjahres 2016. Lohnt sich also.
Davon ab behauptete sich Radcliffe auch gar nicht mal so schlecht in Imperium, der zweite Thriller rund um Neonazis, den ich in diesem Jahr gesehen habe (verstörender Trend in einem verstörenden Jahr, was soll ich sagen?). Keine Film-Sensation, aber schön spannend und ambitioniert.
Grundsätzlich war auch 2016 wieder das Jahr der Serien. Ich mache mich schon seit Monaten unbeliebt, wenn die Sprache mal wieder auf Game of Thrones kommt … aber mal ehrlich: Die sechste Staffel war echt nicht gut! Im Gegenteil, sie war zumindest für mich eine Riesenenttäuschung. Warum sieht das denn keiner???? Ich werde natürlich trotzdem weitergucken, dafür bin ich immer noch viel zu stark in diese ganze Welt investiert. Aber so gefangen wie früher bin ich leider nicht mehr.
Hart begeistert war ich hingegen von The Americans. Die in Deutschland leider nach wie vor nicht so bekannte Serie über zwei sowjetische Schläferagenten, die im Amerika des Kalten Krieges eine Scheinfamilie aufrecht erhalten, umgeht auch in ihrer vierten Staffel sämtliche Klischees und liefert die wohl nuancierteste Charakterzeichnung im TV zur Zeit. Und Bojack Horsemans dritte Season machte weiterhin keine Gefangenen und blieb die emotional brutalste Zeichentrick-Serie überhaupt. Zuletzt war Ash vs. Evil Dead auch in seinem zweiten Jahr hochgradig kurzweiliger, gore-lastiger Fun und schaffte erneut den Spagat zwischen Splatter-Comedy und Horror – nicht zuletzt dank Bruce Campbell, der von oben bis unten einfach Ash Williams IST, LEBT und ATMET. Wenn nur die letzte Folge der Staffel nicht so verhunzt worden wäre…
Gehört
Wer braucht 2016 eigentlich noch ein Metallica-Album? Wir alle offenbar, denn Hardwired to Self-Destruct erwies sich als sehr cooles Brett. Und auch wenn ich wohl als einsamer Verteidiger von Death Magnetic aus diesem Leben scheiden werde, ist das kompaktere Songwriting und die Schüppe zusätzliche Härte doch begrüßenswert. Gegen Ende wird es ein wenig eintönig, aber in Hardwired schlummern so manche moderne Klassiker. Gut gemacht.
Für die Frickelfraktion im Metal war es ein gutes Jahr, denn auch Gojira, Animals as Leaders und Meshuggah hauten neue Platten raus und zeigten, dass diese Bands sich keinesfalls damit zufrieden geben, auf der Stelle zu treten. Alle Drei absolut zu empfehlen.
Nicht zu vergessen das lang erwartete Tool-Album, das in diesem Jahr endlich…wie? Immer noch nicht??? Aber…aber…was zum Geier machen die Vögel so l…Maynard!!! Maynard!!!! MAYYYYYYNAAAAARRRRRRD!!!!
2017 dann. Neues Tool-Album. Bitte, ja?
Gelesen
In Sachen aktueller Releases bin ich bei Büchern hoffnungslos hinterher, da ich viel zu viel andere Empfehlungen aufzuarbeiten habe: Aktuell schmökre ich mich beispielsweise durch Neil Gaimans American Gods und durch den letzten Band von Alan Moores durchgeknallter Graphic Novel-Reihe Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen. Ich nehme mir für 2017 aber dringlichst vor, in Sachen Bücher mal ein bisschen Tempo aufzunehmen und mehr zu lesen. Auch mal n bisschen was neues. Und nicht nur Slam-Bücher. Naja, wahrscheinlich auch wieder Slam-Bücher. Wem mache ich denn hier was vor?
Besucht
Das Fantasy Filmfest ist mir in diesem Jahr leider ein wenig durch die Lappen gegangen. Dafür hatte ich die Ehre, Teil der diesjährigen Deutschsprachigen Meisterschaften im Poetry Slam in Stuttgart zu sein. Und nachdem ich hochkantig aus meiner eigenen Vorrunde herausflog konnte ich dann auch entspannt den anderen Künstlern zusehen. Allen Slam-Skeptikern und Feuilleton-Schreibern sei gesagt: Es sind so viele geile, völlig unterschiedliche Slammer zur Zeit unterwegs, das ist wirklich der Hammer. Guckt euch 2017 ruhig mal den einen oder anderen Slam in eurer jeweiligen Heimatstadt an. Es lohnt sich.
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