Kultur im Austausch
Das Schlimmste am Altern? Dass es eine Sackgasse ist, an deren Ende man unweigerlich sein Leben vor die Wand fährt. Klar, es gibt diese unsterblichen Versuche, ein Licht am Ende des Tunnels zu beschwören. Einer davon heißt Religion. Die anderen heißen so ähnlich. Dass ein Mensch irgendwann schlichtweg vom Leben erschöpft sein könnte, wird selten mit einer positiven Konnotation versehen. Eher gilt dergleichen als Hochverrat am Dasein. Unterdessen wuchern die Ratgeber für Fitness bis ins hohe Alter und für Gehirn-Jogging gegen verblödende Kalkeinlagerungen. Ein ganzer Wirtschaftszweig verschreibt sich der Thematik, sicher auch, weil ein beträchtlicher Teil der Senioren gut was auf der hohen Kante hat. Wäre es nicht ein Eigentor, gäbe es bestimmt auch das Buch „Vergiss Alzheimer!“
Nun lassen sich dem Leben vor dem Ableben auch andere Seiten als die gewohnten abgewinnen, nur braucht es den findigen Geist, um die Pfade abseits des Zertrampelten aufzuspüren. Kulturaustausch hat es geschafft. Diese „Zeitschrift für internationale Perspektiven“ brachte 2020 mit „Endlich“ ein Heft übers Älterwerden heraus, das ganz andere Saiten aufzieht. Doch das nur in memoriam, denn anders als im Leben folgt bei Kulturaustausch auf das Alter nicht der Tod, sondern vierteljährlich ein neues Heft mit neuem Schwerpunktthema. Betrachten wir also nicht die gealterte Backlist, sondern das aktuelle Heft, das „Jäger und Gejagte“ vorstellt, nämlich Mensch und Tier.
Ist das spannend? Ist das Kultur? Chefredakteurin Jenny Friedrich-Freksa bekennt im Editorial, dass auch die Redaktion mit ähnlich gelagerten Bedenken lange um den heißen oder vielleicht auch kalten Brei schlich. Und wieder hat das Coronavirus etwas angeschoben und auch diesem Thema Flügel verliehen. Doch dazu später. Lassen wir es ruhig angehen – mit einer Fotostrecke, die keine Strecke ist, sondern wie Hackepeter durchs Heft gestreut wird. Das schafft eine ungewöhnliche Klammer, die zugleich ein kleines Markenzeichen für das Magazin ist: Artikel werden verbunden durch eindrucksvolle Arbeiten eines Fotografen zum Schwerpunktthema. Im Tier-Heft sind es Bilder von Tim Flach, darauf ein Albino-Pfau mit aufgestelltem Rad, das Portrait eines Urzeitschweins, das schon zu Lebzeiten wie seine eigene Wurst aussieht, ein ruhendes Flughund-Pärchen, das Nosferatu den kalten Schweiß auf die Stirn treiben könnte. Man weiß ja um die optischen Überraschungen im Tierreich, hätte aber auch nichts gegen aufschlussreichere Bildlegenden.
Doch gibt es ja, um den animalischen Rätseln doch ein wenig auf die Schliche zu kommen, die eingelagerten Wortbeiträge, sortiert in vier Gruppen: Mensch und Tier, Tiere in Herden, Tiere essen, mit Tieren sprechen. Wollen wir mal eines herausklauben? Vielleicht nicht gleich die heikle Sache mit dem Verzehr, sondern das mit der Kommunikation. Bietet sich auch deshalb an, weil da gleich ein bekannter Name aufflackert, nämlich T.C. Boyle. Im Interview lässt uns der Schriftsteller wissen, warum er über Tiere schreibt und wie er mit ihnen redet. Die eine wichtige Wahrheit benennt er schon eingangs: Der Mensch hat sich Religionen gebastelt, in denen er als Held des Universums aufscheint, doch ist er so sterblich wie das Tier und den Mikroben um Längen unterlegen. Nur leider werden im Verlauf des Interviews zu viele Fragen angerissen, sodass sich auf zwei Seiten keine echte Erkenntnis anbahnt. Allenfalls reicht der Artikel dazu, neugierig auf Boyles neues Buch zu werden. Sprich mit mir heißt es und handelt von einem menschenähnlich aufgezogenen Schimpansen, der sich – natürlich über den Autor – mitzuteilen beginnt.
Und was war das nun mit Corona? Donal Bisanzio statt Karl Lauterbach heißt zur Abwechslung mal der Epidemiologe, dem dazu Beachtung gilt, denn er beschäftigt sich mit Zoonosen, den Erregern, die zwischen Mensch und Tier wandern. Die Übertragung, sagt er, basiere auf dem Grundübel, dass wir auf künstliche Weise zu viele Tiere miteinander in Kontakt bringen, die sich in der Natur nicht begegnen würden. Hinzu komme, dass der Mensch Tierarten ausrottet, somit aber andere Arten begünstigt, die in der Überpopulation zu idealen Wirten für Erreger werden. Was der gute Mann letztlich sagen will: Corona ist noch lange nicht das Ende der Fahnenstange, es könnte sehr wohl noch schlimmer kommen, wenn wir weiterhin so viel von dem ignorieren, was wir besser wissen sollten. Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber wir Menschen vielleicht vor ihr, um dann doch den Hochmut unserer Überlegenheitstheorien ablegen zu müssen.