Nicht fummeln, Liebling!
Fummeln? Sagte man immer schon. Falsch! Die erstaunliche Wahrheit ist, dass der Begriff aus einem Film von Regisseurin May Spils stammt, der wenige Wochen vor der Tet-Offensive im Januar 1968 in die Kinos kam. Der Titel Zur Sache, Schätzchen ließ verschärften Nippel-Alarm erwarten, was allerlei Publikum in die Puschen brachte. Die leise Hoffnung: Uschi Glas, die eben erst als „Halbblut Apanatschi“ in einer dümmlichen Karl May-Verfilmung unterwegs gewesen war, könnte blank ziehen. In der Hinsicht wurde „Schätzchen“ eine herbe Enttäuschung, punktete aber mit unerwarteten Werten. Das waren die schrägen Sprüche und bisher ungehörten Wortschöpfungen von Hauptdarsteller Werner Enke ebenso wie das Leben abseits jeder Verantwortung, das nun mal bequemer war als Proteste gegen den Vietnam-Krieg und eine klare Haltung gegenüber markerschütternden Ereignissen wie der Tet-Offensive.
Das Fummeln, Fleischwerdung des gerade wiedererweckten Rufs nach freier Liebe, beförderte auch den filmischen Nachleger von Spils/Enke in die Liga der Blockbuster. Soeben erscheint dieses Nicht fummeln, Liebling! in einer „restaurierten Fassung“, kuratiert durch die Originalmacher, die allerlei an Dokumenten und warmen Worten beigefügt haben, um die Relevanz und den Kontext ihres Films zu entblättern.
Das tut Not. Problem ist nämlich, dass wir uns in der Zwischenzeit durch ein halbes Jahrhundert Blödelei gefressen haben und in den Späßen von damals keine Gesellschaftskritik und wenig Komik zu erkennen vermögen. Da will der junge Enke bestenfalls als dauerdösig erscheinen und seine Filmpartnerin Gila von Weitershausen als therapiebedürftiges MeToo-Opfer. Tatsächlich hatte Gila in der Rolle des „Engelchen“ einen Start als Nackedei hinter und mit Filmen wie Ohrfeigen und Herzflimmern eine entblößte Zukunft vor sich. Man darf getrost notieren, dass solche Fakten zählten. Nur so versteht man auch, dass auf Liebling – rein hauttechnisch der gleiche Versager wie Schätzchen – ein lächerlich hoch gesetztes „FSK ab 12“ pappt.
Will sagen: Wer völlig unbedarft glotzt, pendelt zwischen Verwunderung und Kopfschütteln. Wer dagegen die Zeit miterlebt hat oder sich zumindest in die Begleitmaterialien vertieft, kriegt irgendwie noch die Kurve, warum ehedem der Ernst Lubitsch Preis an diese Schwarz-Weiß-Produktion vergeben wurde. Dem Begleitheft hätte es nicht geschadet, wenn noch kurz ein Lektor darüber geflogen wäre. So beinhaltet es allerlei Fehlerchen, die vermuten lassen, dass mit heißer Nadel genäht wurde und das Hauptanliegen darin bestand, dem Duo Spils-Enke nach 50 Jahren ein Denkmal zu setzen. Verdient haben sie es, denn im Film steckt das authentische Lebensgefühl einer Generation, die in Schwabing ihr Shangri-La zwischen Vietnam-Krieg und Studentenrevolte, Prager Frühling und Roter Armee Fraktion strickte.
In einer Nebenrolle als Revolutionär faselt der später berühmte Otto Sander vom Kaufhaus als Umschlagplatz der heutigen Konsumgesellschaft und dem Klo als dessen Kernstück. Quark von solcher Qualität verkaufte sich als Philosophie, fand aber auch Widersacher mit einer vagen Ahnung davon, dass da Tiefgang fehlte. In Ermangelung eigener Hartwährung zogen sie sich allerdings aufs Chillen zurück. Nein, aufs Gammeln, wie das damals hieß. Man war bollerig, ausgebufft, abgelascht – drei weitere Sprachkreationen Enkes, die aber im Unterschied zur Dumpfbacke bald wieder aus dem Alltag verschwanden.
Man benötigt Schützenhilfe und bekommt sie auch im Bonusmaterial, um in Sanders Figur den späteren RAF-Kopf Andreas Baader zu erkennen. Das Kaufhaus klingt nicht von ungefähr an, es war Ziel eines terroristischen Anschlags gewesen, der dem Schwabinger Dunstkreis und damit dem Umfeld von Spils und Enke erwachsen war. Die einst allgemeinverständlichen Fingerzeige haben im Laufe der letzten 50 Jahre ihren Schlüssel eingebüßt. Auch Berührungspunkte mit der Nouvelle Vague sind perdu. Der heutige Filmfreund klickt ins Menü und hat dort die Wahl zwischen dem Original in 4:3 mit einem lästigen weißen Rand) und der Version 16:9 mit ein wenig Verzerrung. Solcher Art sind mittlerweile die Sorgen.