Saints Row IV
Disclaimer: Ich weiß nicht, was vorher geschah. Die Teile I bis III der Spielreihe habe ich weder gespielt, noch habe ich mich im Vorfeld oder jetzt nach dem Spielen damit beschäftigt.
Das Spiel beginnt damit, dass wir die Welt vor einer Atombombe retten. Als Spieler dürfen wir dabei leider nur zum richtigen Zeitpunkt vorgegebene Knöpfe drücken, aber die Sequenz macht trotzdem Spaß, weil sie eine Menge „Ich opfere mich für die Welt“-Filmmomente schön auf die Schippe nimmt. Danach sind wir Präsident der Vereinigten Staaten und müssen die Welt gegen Aliens verteidigen, was nur so mittel läuft. Am Ende finden wir uns in der Computersimulation einer kalifornisch anmutenden Kleinstadt wieder, in der wir diverse Aufgaben erfüllen müssen, um dem bösen Oberalien zu entwischen. Dabei ist Gewalt nicht nur eine Lösung, sondern verpflichtend.
Sexy Motherf***er
»Saint Row IV« ist nicht so richtig schön. Die Grafik wirkt veraltet und der Detailreichtum hält sich in engen Grenzen. Die Menge der Gegnertypen ist für ein modernes Spiel ziemlich begrenzt und die Stadt, in der man sich die meiste Zeit bewegt (von Ausflügen auf ein Raumschiff abgesehen – wer hat da Matrix gesagt?), könnte erheblich abwechslungsreicher gestaltet sein.
Dafür darf man sich seine Spielfigur selbst zusammenbauen. Geschlecht, Körperbau, Stimme, Dress, Schmuck, Schminke und vieles mehr kann man zum Spielbeginn auswählen und später im Spiel gibt es eine Menge Läden, wo man sich weiter aufhübschen kann. Shopping Queen lässt grüßen. Dabei kann man bei beiden Geschlechtern (fast) vom Quasimodo bis (definitiv) zum Pornostar alles bauen. Der Spaß am eigenen Charakter wird jedoch durch die schwache Grafik etwas gedämpft und wer sich eine Frau baut, muss damit leben, dass sie einherstapft wie ein Baumfäller, denn die Bewegungen sind allesamt ausschließlich für einen männlichen Charakter gerendert.
Bemerkenswert ist mal wieder die Bigotterie der Amis, die kein Problem mit unfassbar exzessiver Gewaltdarstellung haben, in Nacktszenen aber alle Geschlechtsmerkmale wegpixeln. Genau wie bei der Charaktererstellung. Wo ich es natürlich ausschließlich in meiner Verantwortlichkeit als Rezensent bemerkt habe. Bestenfalls ist das ein ironischer Kommentar auf die amerikanische Prüderie, wahrscheinlicher aber ein Kotau an die amerikanische Befindlichkeit.
Zudem ist hier Obacht angesagt, denn hat man den Charakter einmal definiert, muss man sich bei Nichtgefallen erneut durch das komplette Intro spielen, um ihn zu verändern.
Flieg, Forrest, flieg!
Die Entwickler haben sich, was das Gameplay in der Stadt angeht, ordentlich von »Prototype II«, sagen wir mal: inspirieren lassen. Da es eine Simulation ist, in der wir uns bewegen, können wir Superheldenfähigkeiten sammeln. So können wir irgendwann superschnell laufen, hoch und weit springen, durch die Luft gleiten, Feuer schleudern und so weiter.
Auch GTA gehörte offensichtlich zu den Lieblingsspielen der Entwickler, denn bevor wir richtig schnell laufen können, ist das bevorzugte Fortbewegungsmittel eines der zahlreichen Fahrzeuge, die wir uns natürlich mit Gewalt kapern. Das Rumbrettern in allem vom Kleinwagen bis zum 18-Tonner macht aber durchaus Spaß und ist rasant gelöst. Auch dass uns die Kiste irgendwann um die Ohren fliegt, wenn wir zu rabiat mit ihr umgehen, ist ein schönes Element.
Hühüpf … Aaah!
Bei der Steuerung ist Einiges im Argen. Bei den diversen athletischen Aufgaben (siehe unten), ist die automatische Kamera häufig völlig orientierungslos und was als Lara-Croft-Moment beginnt, endet darum mit einem Absturz. Die Tastenbelegung ist durchaus gelungen, man findet alles wieder und kann es auch im Spiel problemlos ansteuern.
Peng, Peng … ICH bin tot?!
»Saints Row IV« wartet mit einem kleinen, aber durchaus unterhaltsamen Arsenal an Waffen auf. Von normalen Bleischleudern über Alienwaffen bis hin zu wirklich seltsamen Dingen wie der Dubstep-Kanone, die im Discorhythmus ballert oder die Entführ-O-Matic, die den Gegner in einem Lichtstrahl in den Himmel zerrt. Leider ist auch hier die Steuerung viel zu oft im Wege und da das Spiel zwar unfassbar dumme, dafür aber gleich Horden an Gegnern schickt, ist der Bildschirm des Öfteren so voll von Lasergeflacker, Funken und Blitzen, dass man die Gegner nicht mal mehr sieht. Fehlen nur noch Lense Flares.
Da die Aliens zudem sogar mit den dicksten Wummen ziemlich harte Knochen sind und die Speicherpunkte bei vielen Aufgaben so dämlich positioniert wurden, dass man erstmal drei Minuten rennen, fahren oder gleiten muss, um nach dem Respawnen zum Gefecht zurückzugelangen, kommt hier schnell Frust auf.
Das harte Tagwerk
»Saints Row IV« bietet eine ganze Raumschiffladung voll Möglichkeiten, mit denen man sich auch abseits vom Hauptplot (befreie all deine Kollegen aus der Alien-Gefangenschaft und zerlege die Simulation) eine ganze Zeit beschäftigen kann. Die Missionstypen reichen von Seek-and-Destroy über das Farmen (in diesem Fall Datenwolken einsammeln, um die Superkräfte zu verbessern) und Parcours- oder Autorennen bis zum Shopping oder Basketball mit Comiccharakterköpfen. Man kann allerlei Nebenmissionen annehmen und Fahrzeuge sammeln und alle naslang kriegt man Achievements freigeschaltet. Das alles macht eine gewisse Weile lang auch Spaß, solang man sich nicht von der Steuerung frusten lässt. Eine echte Langzeitmotivation, alles zu erledigen (wie man sie beispielsweise bei den Batman-Spielen hatte), stellt sich aber nicht ein. Das sogenannte ‚Hacking‘, bei dem man zwei Punkte auf einem Schaltbrett verbinden muss, ist völlig für die Katz – da spiele ich mit meinem fünfjährigen Sohn komplexere und spannendere Spiele.
Warum also spielen?
Warum sollte man ein Open-World-Spiel, das alles so macht wie andere Spiele, nur etwas schlechter, überhaupt spielen? Die Antwort ist: Saints Row ist dann großartig, wenn es absurd wird. Der Humor in den meisten Dialogen (vom sardonischen Oberbösewicht abgesehen, der wirklich schöne Momente hat) und der Handlung hat viel Pubertäres, aber wer Filme wie »American Pie« mag, wird sich auch dadurch amüsiert fühlen. Für mich waren die klaren Highlights aber die Nerd-Anspielungen. Da findet man sich beispielsweise plötzlich in einer 2D-Panzersimulation wieder oder in einem an »Tron« angelehnten Setting oder in einem Textadventure. Es tauchen völlig absurde Gegnertypen auf, bei denen Riesenenergydrinkdosen oder mörderische Toiletten nur Beispiele sind. Auch einige der Nebenmissionen sind so abgedreht, dass sie richtig Spaß machen – wenn beispielsweise der eiskalte Killer uns plötzlich in seine Fanboy-Simulation einer echt schlechten Superagentengeschichte zieht oder man sich in einer SitCom der frühen Fernsehgeschichte wiederfindet, ist das sehr unterhaltsam.
Fazit: »Saint Row IV« ist kein Spiel, das man unbedingt sofort haben muss, wenn man nicht brennender Fan der Reihe ist. Da gibt es für den gleichen Preis deutlich bessere Open-World-Varianten. Wer aber auf absurde Ideen und explizite Gewalt steht, für den kann es sich lohnen, sobald es irgendwo im Angebot zu kriegen ist. Da die technische Umsetzung heute schon gnadenlos veraltet ist, kommt es auf ein halbes Jahr mehr oder weniger auch nicht an.
Getestet wurde die Version für die Xbox 360 mit deutschen Untertiteln und Menüs. Fischpott hat ein Rezensionsexemplar von Koch Media erhalten.