Stoker
Hollywood scheint sich mittlerweile in seinen Releases nur allzu gerne auf die Wiederverwertung alter Ideen und die finanzielle Sicherheit fortlaufender Franchises zu verlassen. Filmliebhaber, die angesichts des neusten Paranormal Activity- oder Captain America-Trailers nicht unbedingt vor Begeisterung direkt aus der Unterbuchse hüpfen, sind also oft mit einem Blick auf das Ausland am besten beraten. Besonders in den letzten Jahren geriet dabei besonders ein Filmland in den öffentlichen Fokus: Korea. In den letzten Jahren haben sich koreanische Regisseure auf düstere, action- und twistlastige Psychothriller spezialisiert. Titel wie „The Chaser“, „I saw the Devil“ oder „Mother“ boten perfektionierte Genrekost abseits der üblichen Sehgewohnheiten, nicht selten mit Mut zu kontroversen Themen. Nicht zuletzt ein gewisser Quentin Tarantino schnitt sich in der Vergangenheit gerne einige nicht zu kleine Scheibchen Inspiration aus Korea ab.
Vorreiter dieses großen Genretrends war in den letzten Jahren vor allem ein ambitionierter Regisseur mit dem klangvollen Namen Park Chan-Wook. Seine kompromisslose Rache-Trilogie, insbesondere der bahnbrechende „Oldboy“, öffneten dem koreanischen Film viele Türen und machten ihn einem breiten internationalen Publikum bekannt. Und während Fischpott in einer einem Reh im Scheinwerferlicht ähnelnden Schockstarre auf das bevorstehende amerikanische Oldboy-Remake wartet (warum? Einfach nur warum??), hat sich der gute Herr Chan-Wook nun an seinem ersten englischsprachigen Film versucht. Das Budget ist höher, der Cast international, aber kann der Film mit seinen bisherigen Werken mithalten?
Der 18. Geburtstag von India Stoker (Mia Wasikowska) nimmt eine dunkle Wendung, als sie erfahren muss, dass ihr Vater bei einem Autounfall ums Leben kam. Parallel dazu erscheint wie aus dem Nichts Indias mysteriöser Onkel Charlie (Matthew Goode), von dem sie nie etwas wusste. India misstraut ihrem Onkel vom ersten Tag an und Hinweise deuten darauf hin, dass Charlies Weste längst nicht so weiß ist, wie er behauptet. Und auch ihre mental instabile Mutter (Nicole Kidman) scheint India längst nicht alles zu erzählen. Was folgt, ist eine fatale Dreiecksbeziehung, in der Intrigen, Verrat und auch Mord nicht zu kurz kommen.
Eine kleine Vorwarnung für alle enthusiastischen Park Chan-Wook-Fans: Das Skript zu Stoker stammt NICHT aus der Feder des Ausnahmetalents. Stattdessen schrieb das Drehbuch niemand geringeres als Wentworth Miller, bekannt aus der US-Serie „Prison Break“. Lange auf der Hollywood- Black List vermodert hat sich nun Chan-Wook des Buches angenommen. Das ist aber noch lange kein Nachteil, denn er schafft es, dem Inhalt seinen eigenen Stempel aufzudrücken. Sowohl die Charaktere als auch die Story sind deutlich simpler als man es aus Filmen wie „Sympathy for Mr. Vengeance“ oder „Thirst“ gewohnt ist. Das macht den Film von Anfang an nachvollziehbarer und der klare narrative Handlungsstrang bietet mehr Raum für subtile Momente. Leider bedeutet das auch, dass Stoker beizeiten ein wenig vorhersehbar daherkommt. Besonders erfahrene Thriller-Fans werden die Charakterentwicklungen und einige Wendungen recht schnell herausfinden.
Hervorragend gelungen ist Autor Wentworth Miller hingegen die spannende und ambivalente Dreiecks-Beziehung seiner Protagonisten. Das liegt nicht zuletzt an den hervorragenden Leistungen der Schauspieler, wobei gerade Nicole Kidman trotz einer überzeugenden Darstellung (die ein wenig an ihre Figur aus dem Film „The Others“ erinnert) etwas gegen Matthew Goode und Mia Wasikowska ab, die die Australierin mit ihren doppelbödigen Performances locker an die Wand spielen. Ihre gemeinsamen Szenen sind die größten Stärken des Films und führen zu eine der spannendsten und erotischsten Flügelduetts der Filmgeschichte.
Als wolle er seinen fehlenden Einfluss auf die Story wieder wettmachen, kniet sich Park Chan-Wook besonders krass in den visuellen Bereich rein. Scheinbar mühelos haut er Szenen und Bilder raus, für die andere Regisseure ihr Erstgeborenes töten würden. Schon mal gesehen, wie aus Nicole Kidmans langem roten Haar in einer fließenden Bewegung ein üppiges Weizenfeld wird? Diese kleine CGI-Sternstunde kann man, wenn man böse sein will, als Selbstzweck interpretieren, aber ALTER FINNE, sieht das einfach geil aus. In anderen Szenen spielt der Regisseur gekonnt mit der Perspektive des Zuschauers und erschafft dadurch einen Großteil der Spannung. Allein für diese Bildsprache lohnt sich Stoker, zumal auch Musik und Bild eine handwerklich perfekte Einheit bilden.
Der Szenenaufbau ist langsam, fast schon poetisch, begleitet von langen Shots und Kameraschwenks. Es gibt viele stille Momente, was nicht wenige Zuschauer zunächst abschrecken könnte, die aber nach und nach eine wunderbar intensive Atmosphäre aufbauen, bis es dann schließlich zur unvermeidlichen Eskalation kommt. Die chronologische Handlung wird immer wieder von den für Chan-Wook typischen Flashback-Schnipseln aufgebrochen, die zunächst vollkommen unverständlich bleiben und sich erst am Ende vollständig aufklären.
Stoker ist KEIN zweiter Oldboy. Punkt. Das will er nicht sein und das soll er auch nicht sein, denn dieser Regisseur hat so viel mehr drauf. Das beweist Park Chan-Wook auch in diesem Film und zeigt, dass ausländische Kultregisseure in amerikanischen Debütfilmen sich nicht automatisch von ihrem Stil verabschieden müssen. Wentworth Miller schlägt sich sauber in seinem Skript-Debüt, das noch ein wenig holprig ist, aber beweist, dass er Potential hat. Wer sich nicht von langsamen Filmen, die Atmosphäre nur so atmen, abschrecken lässt, der hat mit Stoker eine kleine Perle im Muschelmeer der Hollywood-Massenware gefunden.
Kommentare
Stoker — Keine Kommentare
HTML tags allowed in your comment: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>