Theatertexte NL
Mit dem Tandem nach Leyden zur Post.
Wenn man mal privat und unangemeldet ins Theater geht, zudem nicht wirklich zu einer Aufführung, schreibt man ja nicht mit – fantasievolle Merkhilfen sind auch eine schöne Herausforderung. Diese hier sogar mit sehr, sehr sachtem Nationalbezug, denn im Schauspielhaus Bochum steigt Theatertexte NL, zwei Tage zum Theater der Niederlande.
Ein Gastbeitrag von Martin Hagemeyer.
So ein Wochenende mit Gesprächen und szenischen Lesungen ist schon etwas „special interest“ und schmeichelt ein bisschen dem Aficionado im Besucher. Ähnlich haben das offenbar die Macher eingeschätzt, denn Dramaturg und Moderator Olaf Kröck erzählt, dass sie die Zuschauer eigentlich auf der Bühne sitzen lassen wollten; doch dann wurde die Nachfrage zu groß. Initiiert wurde Theatertexte von Lot Vekemans, selbst Autorin unter anderem des Erfolgsstücks Gift. Eine Ehegeschichte, das in Bochum, auch in Wuppertal gespielt wurde. Sie sprach Kollegen an, von denen drei heute mit je einem aktuellen Stück per Lesung vorgestellt werden; darüber hinaus stehen sie vor Ort zum Gespräch bereit, und nach Ende eines Stücks gemeinsam zum Talk ins Tanas zu gehen und dann wieder zurück, ist so ein schönes Element, das solch ein Format vom normalen Theaterbesuch unterscheidet.
Tandem
Tandem, das führt als Eselsbrücke zu einem der Dinge im Nachbarland, die heute als typisch fürs dortige Theater begegnen, genauer fürs dortige Stückeschreiben. Florian Hellwig bezeichnet in der Einführung mit diesem Wort das Gespann aus Autor und Regisseur, die hier einen Text oft gemeinsam erst entwickelten, auch mit den Schauspielern – eng verzahnt jedenfalls mit der Bühne. Einer der Erträge des Abends für den, der auch Konkretes erfahren wollte über Merkmale niederländischen Theaters; allein anhand der Lesungen heute fiele das nämlich schwer. Zu unterschiedlich für einen erkennbar gemeinsamen Nenner scheinen die ausgewählten Werke zumindest des ersten Tages. Wobei Vielfalt natürlich keineswegs ein Nachteil ist – bloß nicht erhellend für etwa Charakteristisches eines Landes.
Sprachflut
Frank Siera – Spraakwater: Die szenische Präsentation des ersten Textes, deutsch Sprachflut, wirft gleich selbst ins kalte Wasser. Ein Mann tritt aus dem Dunkel an die Rampe und beginnt über die Stille zu sinnieren. Als die zwei Mitspieler hinter ihm erscheinen, ist noch nicht klar, ob sie auf derselben Realitätsebene agieren. Ob auch sie sinnieren werden und alles ein Diskursstück wird. Eigentlich ist noch gar nichts klar. Schließlich entpuppt sich ebendies als Thema: Bettina Engelhardt und Raiko Küster tauschen sich als halb kommentierende Figuren aus über den Fremden, handeln so das Bedürfnis ab, alles und jeden einzuordnen. Details über den Mann werden kolportiert, Küster bemerkt: Das „erlöst die Welt von ihren Leiden.“ Ein Schlüsselsatz vielleicht in seinem Sarkasmus, der, Verzeihung für den Kalauer, den Verfasser auch zur schrägen Eselsbrücke oben motiviert hat. Leyden, die Universitätsstadt, ist allerdings überdies Wirkungsstätte von Frank Siera.
Genesis
Genesis von Sophie Kassies ist ganz anders. Ensemblemitglieder und ein Gast stellen den dritten Teil des gleichnamigen Werks vor, das das erste Buch der Bibel erzählt. Es ist diesmal mehr Lesung als szenisch, die Schauspieler sitzen also am Tisch und präsentieren den Text, in dessen Mittelpunkt das Leben Jakobs steht. Schauspieler ohne Kostüm machen manchmal bewusst, dass sie Menschen sind. Einer sticht mit markanter Diktion heraus, bei einer merkt man, dass sie sich die Rolle nicht ganz angeeignet, zu eigen gemacht hat, was ja auch nicht Aufgabe des Abends war. Vielleicht verbunden damit ist aber das Merkmal dieses Textes, das ihn vom ersten grundsätzlich unterscheidet: dass es nämlich überhaupt erzählt. Vom listig errungenen Erstgeburtsrecht über Jakobs Kampf um Rahel bis zur Gründung eines eigenen Volkes – in linearer Darstellung gibt der Text ein Stück jüdische Geschichten anhand des alttestamentarischen Berichts, freilich mit eigenen Akzenten. Zusammen mit dem ganz anders auf Offenheit basierenden Vorgängerstück von Theatertexte taugt diese Auswahl natürlich nicht für Grundsatzaussagen über niederländische Dramatik. Dafür aber als Fallbeispiele rund ums Stichwort Postdramatik.
Nicht weiter wichtig, dass just darauf die Chiffre ‚Post‘ abzielte, die wie der ganze einleitende Merk-Kalauer dann auch ihre Schuldigkeit getan hat. Wobei wir ja heute tatsächlich keine seriöse Rezension schreiben und eben das Informelle mit den Reiz der Teilnahme ausgemacht hat.
Und wichtig dafür: Die Gespräche, in denen ‚Postdramatik‘ mehrfach vorkommt – wenn auch trotzdem nur im Ansatz. Moderator Kröck benennt in beiden Nachgesprächen den vieldiskutierten Begriff zur Einordnung – Spraakwater als Stück dieser neuen Tendenz, Genesis für das Gegenteil. Da hätte sich noch manches sagen lassen: ‚Drama‘ im Sinn von Handlung findet natürlich klarer bei Sophie Kassies statt. Aber Bühnendramatik kann ja auch anderes heißen außer Vorliegen von Handlung, und darauf wird Frank Siera abzielen, wenn er am Mikro zurückgibt, Dramatik habe sein Stück durchaus. Auch Kröck kennt selbstredend den schillernden Gehalt des P-Wortes – doch zur Debatte kommt es nicht im Tanas, weil der Gong (den braucht’s auch heute) arg früh zum Abbruch ruft.
Nicht komplett, nicht so perfekt – das mögen heute Eigenschaften sein, die auch sonst beim Theater manch gute Anregung geben könnten. Je nach Gusto vielleicht auch Anlass, um unter den zwei Texten des Startabends den ersten interessanter zu finden. Allerdings meldete sich im zweiten Tanas-Teil eine Stimme aus dem Publikum, offenbar vom soeben noch aktiven Ensemble: Als die Rede auf den freien Umgang von Genesis mit der sakralen Geschichte kommt, namentlich die explizit erotischen Stellen, widerspricht sie, nein, einfach frivol sei das nicht. Die Gestaltung der Figuren gebe ihr als Schauspielerin vielmehr Orientierung im Spiel. Offenbar mag sie das Stück. Und da gibt man denn als Beobachter am Tisch gerne zu, dass das Urteil von Theatermachern selbst von besonderem Gewicht für Theatertexte ist, ob mit oder ohne NL. Da man morgen nicht kann, gilt’s dann nur noch etwas zu improvisieren und einen Ersatz für die zum Ausklang versprochenen Poffertjes zu finden. Nach der Eselsbrücke noch ein Fauxpas, aber ein sympathisierender: Auf dem ansonsten fürchterlichen Bermudadreieck fünf Minuten entfernt kennt man eine Bude mit IMMERHIN belgischen Fritten.
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