Verschwörung von David Lagercrantz nach Stieg Larsson
Der vierte Teil der Millennium-Trilogie
Wenn vierte Teile zu Trilogien auf den Markt kommen, steht selten etwas anderes als Kommerz dahinter. Wer sagt schon: »Okay, drei Teile lang hat diese Geschichte niemanden interessiert, aber vielleicht klappt es ja beim vierten Anlauf«? Wenn dann auch noch der Autor der Trilogie längst nicht mehr unter uns weilt, wirkt die Idee der Fortsetzung umso ekliger. Im Fall von Stieg Larssons Millennium-Trilogie, die nun von David Lagercrantz einen vierten Teil verpasst bekommen hat, kochen die Gemüter aktuell besonders hoch. Von Grabplünderei ist die Rede, vom Aufruf zum Boykott, von mehr Marketing denn Literatur, und immer wieder fällt der Name Zlatan Ibrahimovic. Alles gute Gründe, die Finger davon zu lassen. Und doch besteht immerhin rein theoretisch der Hauch einer Chance, dass es sich bei diesem vierten Teil um ein wirklich gutes Buch handeln könnte.1
Millennium ist tot, es lebe Millennium
Mikael Blomkvist ist nicht nur ein Journalist alter Schule. Er ist auch alt geworden und scheint den Biss verloren zu haben. Seit seiner Enthüllungsstory rund um die Familiengeschichte Lisbeth Salanders und der damit verbundenen Aufdeckung menschenverachtender Politik innerhalb diverser schwedischer Behörden will ihm keine große Reportage mehr gelingen. Aber nicht nur deshalb steht sein Millennium-Magazin vor dem Aus. Der neue Investor verlangt leichtere Kost, die sich besser vermarkten lässt. Dabei hat der sich sicherlich etwas anderes vorgestellt als die Geschichte, die Mikael Blomkvist zurück auf die große Bühne holt: Professor Frans Balder, seines Zeichens weltweit führender Experte im Bereich der künstlichen Intelligenz, kontaktiert Blomkvist, um ihm brisante Informationen zukommen zu lassen. Um Datenklau gehe es und Morddrohung, und mit von der Partie seien ein US-amerikanisches Software-Unternehmen und die NSA. Gute Gründe für den Investigativjournalisten, die Recherchen aufzunehmen. Letztlich ist es aber der Umstand, dass Lisbeth Salander ihre Finger mit im Spiel hat, der Blomkvist anbeißen lässt. Doch als er zur verabredeten Zeit vor Balders Haus eintrifft, wird drinnen der Professor gerade ermordet. Einziger Zeuge: des Professors autistischer Sohn August, der nicht spricht, dafür aber über die Inselbegabung verfügt, einmal Gesehenes detailgetreu zeichnen zu können, so auch den Mörder seines Vaters. Für Mikael Blomkvist heißt es fortan also nicht nur, mithilfe von Lisbeth Salander eine reichlich komplex-verworrene Story zu entwirren, sondern vor allem auch das Leben des Jungen zu schützen.
David Lagercrantz nach Stieg Larsson
Als ich von Millennium 4 hörte, war mein erster Gedanke, dass ich nicht jeden Scheiß lesen muss, der veröffentlicht wird. Doch dann kam der Zweifel. Was ist, wenn mir da ein Geniestreich entgeht? Also besorgte ich mir wider besserer Ahnung dieses Buch. Die erste Irritation kam mit dem Cover. David Lagercrantz nach Stieg Larsson heißt es dort. Für meinen Geschmack wäre es im Kontext des Erbenstreits sinnvoller gewesen, hier stattdessen mit Ein Salander & Blomkvist Roman oder ähnlichem zu betiteln und den Namen ihres geistigen Vaters ganz wegzulassen. Unter dem Titel James Bond sind immerhin nach dem Tod von Ian Fleming auch eine Menge Bücher erschienen, und die geben nicht vor, nach Ian Fleming entstanden zu sein. Dieses nach… scheint betonen zu wollen, hier habe sich einer gefunden, der die Gedankenwelt des Stieg Larsson verstanden hätte. Dabei könnten die Hintergründe der beiden Autoren kaum unterschiedlicher sein. Auf der Ursprungsseite Stieg Larsson, das Arbeiterkind mit kommunistischer Gesinnung. Auf der anderen Seite David Lagercrantz, Abkömmling schwedischen Adels, dessen bekannteste Arbeit bislang die Ghostwriterschaft hinter der Biographie Zlatan Ibrahimovics war. Passt das zusammen? 600 Seiten später kann ich sagen: Nein, es passt nicht.
Blasse Figuren, überlange Dialoge
Nun ist es ja nicht gerade so, als sei Stieg Larsson ein unangefochtener Meister des literarischen Faches gewesen. Es gibt Stimmen, die behaupten, seine Trilogie sei des Begriffes Literatur nicht würdig. Aber vielleicht liegt gerade darin die Kunst: strengen Definitionen von Literatur nicht zu entsprechen und damit etwas zu kreieren, das Menschen anspricht, die ansonsten nicht viel damit anfangen könnten. Eines ist Stieg Larsson auf jeden Fall gelungen: eine Frauenfigur zu schaffen, über die man nicht so leicht hinwegkommt. Ohne Lisbeth Salander hätten es seine Romane kaum zu über 80 Millionen Verkäufen und zwei Verfilmungen gebracht. Das haben auch die Amis verstanden und den ersten Band entsprechend nach ihr betitelt: The Girl with the Dragon Tattoo (auch alle weiteren arbeiten nach diesem The Girl…-Prinzip). Dumm nur, dass ausgerechnet sie in der Lagercrantz-Fortschreibung genauso blass bleibt wie alle anderen Figuren. Auch will es mit dem Rhythmus der Erzählung nicht so recht klappen. Immer wieder schafft es der Autor, das nötige Tempo herauszunehmen. Das macht er mit überlangen Erklärungen oder Dialogen oder durch mehrfache Betrachtung ein und derselben Szene aus unterschiedlicher Perspektive.
Astrid Lindgren lässt grüßen
Am skurrilsten erscheint mir in diesem Zusammenhang eine der zentralen Szenen des Romans: die Ermordung des Professor Balder, aus mehrfacher Perspektive erzählt. Während Balder mit seinem Sohn in seinem mit bester Überwachungsanlage gesicherten Haus sitzt, turnen draußen zwei finstere Gestalten unbemerkt von den zum Personenschutz abgestellten Polizisten herum. Stieg Larsson selbst hatte mit seiner Pipi Langstrumpf-artigen Lisbeth und dem Mikael Kalle Blomkvist bereits seine Begeisterung für die bekannten Kinderbuch-Figuren offengelegt. Lagercrantz meinte nun wohl, dem entsprechen zu müssen, und betont hier die Kling und Klang-Inkompetenz der beiden Personenschützer. So wirkt es fast schon wieder glaubhaft, dass die Ermordung auch im Beisein von insgesamt fünf weiteren Personen funktioniert und der Täter ungestört davonkommt. Zudem reihen sich die beiden Dorfpolizisten passgenau in die Gilde all der Romanfiguren ein, die im Gegensatz zu den cleveren Hauptfiguren einfach nur dämlich daherkommen.
Viele Zutaten machen noch kein Millennium
Auch in Hinblick auf politische Bedeutsamkeit kann Verschwörung nicht mit den drei Original-Bänden mithalten. Die Trilogie war geprägt von Stieg Larssons politischen Überzeugungen; er hatte eine Message. Verschwörung hingegen wirkt wie das Werk eines Mannes, der sich intellektuell für inhaltliche Fragestellungen (hier: die künstliche Intelligenz) interessiert und Gefallen daran findet, Geschichten so zu präsentieren, dass sie nicht allzu sehr wehtun. Ungefähr gerade so, wie er es über das Millennium-Magazin erzählt: Mit ein bisschen Politur lässt es sich viel besser vermarkten. So hat auch die Tatsache, dass die NSA eine wichtige Rolle spielt, nichts mit einer Erzähl-Absicht zu tun, die über Marketing-Interessen hinausgeht. Die Idee, Lisbeth könnte die NSA hacken, klingt so schön, das muss doch die Kassen zum Klingen bringen. Vor allem, wenn ihr dann auch noch der einzige Zeuge dabei hilft. Jenes autistische Kind, das nicht nur über eine dieser Inselbegabungen verfügt, sondern derer gleich zwei in den Ring wirft. Der Junge kann nämlich auch in Primfaktorzerlegung und elliptische Kurven berechnen – Disziplinen, an denen beißt sich sogar das Lisbeth die Zähne aus. So addieren sich im Laufe der vielen Seiten eine Reihe von Zutaten, die letztlich aber doch nur einen durchschnittlichen Thriller ausmachen.
Man stelle sich das Buch ohne nach…-Autorennennung oder Betitelung à la Millennium 4 vor, ein nicht-autorisiertes Werk. Aus Mikael sei ein Tommy geworden, Lisbeth wäre eine Annika – und schon hätten wir einen weiteren belanglosen Thriller, über den wir bestenfalls als potentielles Plagiat sprechen würden.
Disclaimer: Fischpott hat ein Rezensionsexemplar von Random House erhalten.
- Angeblich soll Stieg Larsson selbst noch an dem vierten von insgesamt zehn geplanten Millennium-Bänden gearbeitet haben. Die ersten 200 Seiten sollen irgendwo existieren. Gerücht oder Tatsache? Nichts Genaues weiß man nicht. ↩