Voll Dampf
Beträte James Watt heute eine Buchhandlung, könnte er sich freuen: In jeder Ecke der Phantastik dampfen derzeit die Druckkessel. Das Genre Steampunk hat in den Achtzigern als eine Art Retro-Science Fiction im Stil von Jules Verne, H. G. Wells oder Arthur Conan Doyle begonnen, sich seitdem aber emanzipiert, exponentiell ausgebreitet und ist mittlerweile fast überall zu finden. Wie eine invasive Spezies durchdringt Steampunk alle medialen Sphären: dampfgetriebene Blechmänner, kupferne Zahnräder, Parallelweltzeppeline und die unvermeidlichen Goggles finden sich in Fantasyrollenspielen, Animationsfilmen, Kinderspielzeug, bei Bands und Cosplayerinnen ebenso wie in der DIY-Kultur. Mittlerweile ist es kein Genre mehr sondern eher ein Label, dass findige PR-Leute an so gut wie jede Publikation flanschen können. Bei Voll Dampf aus dem Amrûn Verlag steht Steampunk nicht nur drauf, sondern ist auch drin. Neun Autoren, darunter auch Fischpott-Schreiber André Wiesler, haben ihre Differenzmaschinen beheizt und die Messingtasten bearbeitet.
Dampfkampf
Nach einem Vorwort der Raum – Zeit – Kapelle Drachenflug, das wie die meisten Vorworte getrost überblättert werden kann, stellt uns Thorsten Küper ein oktopodes/humanoides Duo vor. In Valerius von Arbogast und sein fabelhafter Krakun erfahren wir, wie die beiden titelgebenden Geschöpfe in das Verschwinden eines gewissen Charles Darwin an Bord eines Luftschiffes verwickelt sind. Weiter geht es mit Schwarzfall. Hier schildert Frank Hebben den Untergang eines auf Uhrwerkfortschritt basierenden Kaiserreichs. Ordentlich Action serviert Wiesler mit Mach mal Dampf. Jakob und seine Kameraden nehmen in ihren zischenden Dampfrüstungen den Kampf mit perfiden Franzosen auf. Das Blechschicksal von Jan-Tobias Kitzel erzählt von einer scheinbar perfekten Menschmaschine und Natürliche Auslese von Peer Bieber kombiniert Kraken, Katholizismus und Kanonenbootpolitik mit einer schottischen Polarexpedition. Bei letzterem scheint sich ein ganzer ausgearbeiteter Dampfkosmos hinter den Kulissen zu verbergen und man hat das Gefühl, nur ein Kapitel eines größeren Werkes zu lesen. Weitere Autoren sind Matthias Falke, Peter Hohmann, Marco Ansing und Achim Zien.
D(ampf)ialektik
In der Natur von Anthologien liegt ihre Einheitlichkeit. Im Reigen von Luftschiffen, weißbekittelten Doktorinnen und Dampfrobotern verliert man schon einmal die Übersicht und erlebt das eine oder andere Déjà-vu. Aber, und jetzt wird es dialektisch, die Natur der Anthologie ist auch ihre Uneinheitlichkeit. Jede Geschichte in Voll Dampf öffnet eine Tür in ein neues zahnradschwingendes Universum mit eigenen narrativen Gesetzen. Wer das literarische ursprüngliche Genre Steampunk schätzt, kann sich nach dem Erwerb dieser Anthologie der beiden Herausgeber Ingo Schulze und André Skora glücklich schätzen. Knapp 12 Euro für 190 Seiten.
Disclaimer: Fischpott hat ein Rezensionsexemplar des Buches erhalten.