2020: Texas Gladiators
Dieser Gastbeitrag des Kulturmutanten ist der zweite einer kleinen Reihe zum 10. Jubiläum von Fischpott im Dezember 2020.
„Texas im Jahr 2020: Kriege und Naturkatastrophen haben die Erde verwüstet. Die Staaten sind zusammengebrochen. Banden von Entwurzelten terrorisieren das Land, überfallen Siedlungen, die sich um Kirchen und Klöster neu gebildet haben, und werden von Ranger-Gruppen, die Recht und Ordnung wiederherstellen wollen, bekämpft.“
2020: Texas Gladiators
So erklärt uns ein Erzähler den Stand der Dinge. Die Handlung dreht sich dann allerdings nicht um eine Kirche oder ein Kloster, sondern um ein Atomkraftwerk (mit angeschlossener Uran-Mine). Ein paar Überlebende haben dieses in Schuss gebracht und rundherum ein Dorf aufgebaut: Free Town. Dort hat sich ein ehemaliger Ranger namens Nisus (Al Cliver) niedergelassen und hilft den Dörflern, sich gegen die Überfälle der sogenannten Devils zu verteidigen — das ist eine Bande garstiger Motorradrocker. Auch deren Anführer Catch Dog (Daniel Stephen) war früher ein Ranger, bevor er dann zu den Bösen übergelaufen ist. Nisus und Catch Dog hassen sich bis aufs Blut, haben sie sich doch früher mal wegen einer Frau (Sabrina Siani) zerstritten. Eines Tages tun sich die Devils mit dem Schwarzen Satan (Donald O’Brien) zusammen. Der heißt so, weil er eine schwarze Militäruniform trägt. Mit dieser und seinem Glatzkopf sieht er aus wie eine Wühltisch-Version von Mussolini, und er hat dann auch ein ähnliches politisches Programm. Eins mit Zucht und Ordnung und ihm als Diktator. „Wir sind die neue Ordnung!“, brüllt er. Und er gebietet über eine Truppe von Soldaten, deren elektronische Schutzschilder für Gewehrkugeln undurchdringlich sind. Soll heissen: Selbst mit Nisus‘ Hilfe haben die Leute von Free Town keine Chance; der Secondhand-Mussolini übernimmt ihre kleine Kolonie. Doch zum Glück gibts ja noch die Rangers unter der Führung von Halakron (Peter Hooten).
Mad Max in Italien
Falls einem dieser Plot bekannt vorkommt: Kein Wunder. Er ist stinkfrech von Mad Max 2 abgekupfert. Dort treibt sich die Titelfigur (gespielt von einem jungen Mel Gibson) in einer postapokalyptischen Wüste um und hilft einer kleinen Siedlung, sich gegen eine Rockerbande zu verteidigen. Der Film kam im Dezember 1981 ins Kino und war derart erfolgreich, dass er eine ganze Welle von billigen Kopien nach sich zog, besonders welche aus Italien: 1990: I guerrieri del Bronx (1982), 2019: Dopo la caduta die New York (1982), I guerrieri dell’anno 2072 (1984). Solche Sachen. Da wurden jeweils auch Elemente aus The Warriors (1979) oder Escape from New York (1981) verwurstet. Ein Potpourri des Endzeitfilms. Ist aber auch logisch: Wenn man sich keine eigene Ideen ausdenken muss, spart man Zeit beim Drehbuchschreiben. Anno 2020: I gladiatori del futuro aka 2020: Texas Gladiators (1983) gehörte zu den ersten dieser Imitate. Dahinter steckt das dynamische Duo Joe D’Amato (eigentlich Aristide Massaccesi) und George Eastman (eigentlich Luigi Montefiori). Die beiden kollaborierten seit Mitte der Siebziger immer wieder; üblicherweise war D’Amato Produzent und Regisseur, Eastman dagegen Schauspieler und Drehbuchautor. Sie haben einige der schlimmsten Schundfilme der Achtziger zu verantworten — den Kannibalen-Horror Antropophagus (1980) zum Beispiel, oder Porno Holocaust (1981), dessen Titel für sich selbst spricht. Die Jugendschützer jener Tage hatten ihre helle Freude an dem Zeug. Im Vergleich dazu nimmt sich Anno 2020 noch relativ harmlos aus, auch wenn er gleich mehrere Vergewaltigungsszenen enthält. Sehr unerfreulich. Ansonsten haben wir hier die erwartbare Mischung aus billigen Bluteffekten und drittklassiger Action.
Indianer in der Postapokalypse
Der Plot ist hanebüchen und ziemlich wirr, vor allem gibts einige unangekündigte Zeitschnitte. Der eingangs zitierte Erzählerkommentar existiert nur in der deutschen Synchronfassung, denn anscheinend war der dortige Verleiher der Meinung, man würde den Film sonst nicht verstehen. Eine angemessene Einschätzung. Angeblich hat D’Amato seinerzeit die vorbereitete Produktion von einer anderen Filmfirma übernommen, dann aber festgestellt, dass das Drehbuch viel zu kurz für einen abendfüllenden Spielfilm ist — drei Tage, bevor der Dreh hätte anfangen sollen. Eastman hat sich dann bereiterklärt, die Story kurzfristig auszubauen, wenn er dafür Regie führen darf. Das erklärt so manches. Regieassistent war übrigens Michele Soavi, der später richtig gute Filme wie The Church (1989) und Dellamorte Dellamore (1994) drehte. Immerhin einen kreativen Kniff hat der Film: Anno 2020 ist zur Hälfte ein astreiner Spaghetti-Western. Da gibts eine Saloon-Szene mit Cowboy-Hüten und einer zünftigen Schlägerei1. Gegen Ende mobilisieren die Rangers einen Indianer-Stamm, um gegen die Truppen des Schwarzen Satans zu kämpfen. (Die „Indianer“ sind italienische Komparsen mit schlecht sitzenden Perücken. Ja, der Film ist auch noch rassistisch.) Und Free Town ist offensichtlich ein Wild-West-Set auf irgendeinem Studiogelände. Die Kulissen und Kostüme stammten vermutlich noch aus den Beständen der guten alten Italo-Western-Zeit. D’Amato und Eastman hatten in den Sechzigern und Siebzigern diverse Spaghetti-Western gedreht; bei Anno 2020 machten sie also einfach das, was sie schon kannten.
Das Verdikt
Kommen wir zur eigentlich interessanten Frage: Haben D’Amato und Eastman die USA von 2020 richtig vorausgesagt? Na, schauen wir mal: Die Zivilisation befindet sich am Abgrund, Gute und Böse schlagen sich die Köpfe ein, ein Faschist hält sich mit allen Mitteln an der Macht. Nostradamus hätte das nicht besser hinbekommen. Bloß das Coronavirus ging vergessen. Anno 2020 ist vergangenen November von WGF/Schröder Media neu aufgelegt worden, und zwar als Bonusmaterial auf der DVD von Urban Warriors (noch so ein italienischer Mad Max-Klon). Die Bild- und Tonqualität beider Streifen ist unterirdisch, aber nichts Neues für italienischen Trash dieses Kalibers. Ich geh nicht davon aus, dass es so bald eine digital restaurierte Fassung in Full HD geben wird. Bei Anno 2020 hat man einst rausgeschnittene Gewalt- und Dialogszene aus anderer Quelle wieder eingefügt — deren Qualität ist noch einmal ein ganzes Stück schlechter, und es macht den Eindruck, als wäre beim Einbetten jemand mit Heckenschere und Packband vorgegangen. Ein ziemliches Frankensteinmonster von Filmveröffentlichung, doch Anno 2020: I gladiatori del futuro ist ja auch ein Frankensteinmonster aus Endzeitfilm und Western.
Kulturmutant Gregor
Geboren 1984 in der Schweiz. Ging fürs Studium nach Zürich und arbeitet dort jetzt als Filmkritiker. Betätigt sich als dilettantischer Künstler für die Gruppe Konverter und betreibt mit dem Kulturmutant einen eigenen Blog. Wenn Gregor groß ist, will er Astronaut werden.
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- Allerdings: In diesem Saloon wird kein Poker gespielt, sondern russisches Roulette. Dafür stand offensichtlich das Vietnamdrama The Deer Hunter (1978) Pate. ↩
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