10 Jahre Fischpott
Was bisher geschah …
Ein bisschen schockierend, aber auch irgendwie schön: Fischpott wird an diesem 17. Dezember 2020 zehn Jahre alt. Ein Blick zurück von Fabian W. W. Mauruschat.
Präludium in Nord-Nord-Ost
Alles fing mit Radio ZuSa an. Jan, FSJler beim sympathischen kleinen Radiosender aus Ost-Niedersachsen und ich, Volontär ebenda finden raus, dass wir beide Mega-Nerds sind und starten eine eigene Sendung. ZuSa Games wird für uns ein Riesenspaß – nicht nur, weil wir Rezensionsexemplare von analogen und digitalen Spielen kriegen, sondern auch weil wir im Radio über unsere Lieblingsbeschäftigung reden. Einmal fahren wir sogar zur FedCon und produzieren ein Star Trek-Special.1 Aber dann ist unsere Radiolaufbahn zu Ende.
Im Sommer 2010 endet mein Volontariat recht überraschend. Die Finanzierung läuft unerwarteterweise aus2 und Jans Freiwilliges Kulturelles Jahr dauert halt nur ein Jahr lang. Wir beschließen, ZuSa Games nicht einschlafen zu lassen, obwohl ich nach NRW zurückkehre. Also werden wir Blogger. Den Namen „Fischpott“ setzen wir tatsächlich aus „Fischkopp“ trifft „Ruhrpott“ zusammen. Wir wollen nicht nur über Spiele schreiben, sondern über alles, worauf wir Bock haben. Also Filme, Bücher, Musik, Hörspiele, Veranstaltungen, eigentlich alles „mit Kultur“. Also „Feuilleton mit Zombies“ und unserer eigenen Vorstellung von Niveau.
Egotronischer Auftakt
Jan schreibt dann auch unseren ersten Artikel. Noch bei wordpress.com erscheint bei Fischpott der Text »2 Mal „raven gegen Deutschland“ – Leistungskurs Techno.« über das Konzert von Bratze, Frittenbude und Egotronic im Bunker in Hamburg. Meinen ersten Artikel schreibe ich über den Wortex-Poetryslam in Wuppertal, den damals André Wiesler und David Grashoff veranstalten. In den folgenden Wochen schreiben wir aber vor allem über Filme und Spiele. Da ich ein Praktikum beim coolibri mache, kann ich auch bald öfter mal über neu erscheinende Kinoflme schreiben. Meine Schwester Julia hat 2011 auch etwas Zeit und steigt als erste Autorin bei uns ein.
In diesem Jahr mache ich auch eine Weiterbildung zum Online-Redakteur, die einen entscheidenden Vorteil mit sich bringt. Denn als mein Projekt im Kurs kann ich einen Relaunch von Fischpott als Projekt durchziehen. Unter anderem ziehen wir auf einen eigenen Server bei UDMedia um, die ich seitdem als sehr zuverlässigen Dienstleister schätze. Im Kurs lerne ich unter anderem Britta Kretschmer kennen, die ebenfalls kurz darauf Fischpott-Autorin wird. Bald kommen weitere Autoren und Autorinnen dazu, reguläre ebenso wie Gäste. Darunter Batman-Experte Lars Banhold und der Anglist Torben Gebhardt.
Das Manifest
2012 wird zu einem Wendepunkt der deutschen Journalismusgeschichte. Fischpott veröffentlicht das Fischpott-Manifest, elf verbindlich-unverbindliche Regeln zum Schreiben für Fischpott. So können sich alle Autor*innen und Gäst*innen vorbereiten, wenn sie etwas für Fischpott schreiben. Das Wachstum der Redaktion nimmt auch in diesem Jahr zu. Neu sind der sympathische Film-Nerd, Journalist und Poetry-Slammer David Gerhold und der mindestens ebenso sympathische Poetry-Slammer Thomas Spitzer. Irgendwann in dieser Zeit beginne ich auch über eine Monetarisierung nachzudenken. Schließlich stecken die Redaktion und ich jede Menge Arbeitszeit in diesen kleinen sympathischen Kulturblog.
Zuerst versuche ich es über den Service Stilanzeigen. Die versprechen kleine unauffällige Anzeigen zu finanzieren. Ein gutes Konzept, 2012 ist schließlich auch noch die Zeit blinkender Bandenwerbung und dreister Werbe-Pop-Ups. Tatsächlich schaltet man eine Anzeige für die Leipziger Buchmesse, die über zwei Wochen auch fast einen Euro einspielt! Dummerweise meldet sich Stilanzeigen danach nie wieder. Also gehe ich den nächsten Schritt und steige ins Affiliate-Marketing ein. Das heißt, das unter den Artikeln Links zu einem Online-Anbieter stehen. Wer sich für das rezensierte Produkt interessiert, kann es auch gleich kaufen. Ein Teil des Geldes geht als Provision an die Seite mit dem Link.
No Money
Zuerst wird Fischpott Partner von Afilinet. Dieses Netzwerk hat mit unterschiedlichen Online-Anbietern zusammengearbeitet. Aber am einfachsten fand ich es, erst einmal mit einem Partner zusammenzuarbeiten. Also setze ich Links zu Thalia unter die Artikel. Nach einigen Monaten fällt immer noch nichts ab. Also lasse ich es mit Afilinet und wechsle gleich zum größten, bösesten Online-Anbieter: Amazon.
Aber auch hier ist das Ergebnis ernüchternd. Nach ungefähr zwei Jahren sind um die 20 Euro zusammengekommen. Kurzerhand schreibe ich Jeff Bezos eine enttäuschte E-Mail. Jeff antwortet nicht und ich beende die Zusammenarbeit. Dann bietet Fischpott halt in Zukunft eine werbefreies Angebot. Und das bis heute. Gelegentlich landen obskure Mails im Postfach. Anfragen, ob wir nicht ungekennzeichnete Artikel gegen Bezahlung veröffentlichen wollen. Das ist leider so unseriös, dass ich nicht einmal antworte.
Grillzeit
2016 kommt es auch zum ersten Treffen der mehrköpfigen Fischpott-Redaktion. Natürlich nicht mit allen, aber mit meisten. Dank Britta ist es keine reine Grill-Sause sondern auch eine Weiterbildung für neue(re) Redaktionsmitglieder wie Cathy, Ulf und Helge in Sachen SEO. An den Rankings der Texte kann man heute noch manchmal sehen, wer gut aufgepasst hat. Mittlerweile sind auch der Autor André Wiesler und der Comedian David Grashoff Teil der Redaktion. 2017 kommt es zum zweiten Grill-Treffen im Sommer.
Darauf, im Winter, schockiert uns ein Schicksalsschlag. André Wiesler stirbt völlig unerwartet und viel zu jung. Noch heute kommt mir dieses Ereignis furchtbar irreal vor. Ich habe André gut gekannt und vermisse seine Texte, seine Ideen – und den Menschen. Wir versuchen Andrés Familie zu unterstützen, indem wir einen Spendenaufruf für seine Hinterbliebenen und einen kurzen Nachruf seiner Frau Janina hier veröffentlichen.
Eingeschränkter Spielbetrieb
2017 erweitert sich unsere Redaktion abermals: Die Wuppertaler Kulturgröße3 Ava Weis schreibt über Filme, Bücher und Comics. Und 2018 kommen zwei Veteranen der schreibenden Zunft zur Redaktion dazu: Manfred, Urgestein der Wuppertaler Presselandschaft und Ralf, Urgestein der deutschen Spieleszene. Mittlerweile haben einige Gastaurinnen Beiträge geschrieben. Michael Nalazek, Christian Beck, Matthias Rürup, Julian Klippert, Chris Strauss, Ingo Schulze, N. Balnis, Judith C. Vogt, Clemens Jaeckel, Ranthild Salzer, Mirja Dahlmann, Alexander Berner, Stephanie Braun und einige weitere.
2018 pausieren die Besprechungen analoger Spiele bei Fischpott. Ich beginne, für den Spielevertrieb Asmodee Deutschland zu arbeiten und kann es nicht mit dem journalistischen Ethos vereinbaren, Reviews von Asmodee-Spielen oder Konkurrenzprodukten zu veröffentlichen. In dieser Zeit gewinne ich tiefe Einblicke in die internationale Spieleindustrie, wechsle aber nach zwei Jahren wieder in die Selbständigkeit. Und beginne wieder, Spiele für Fischpott zu reviewen.
Zuckerberg hasst uns
Im Januar 2020 passiert etwas seltsames: Links zu Fischpott können nicht mehr auf Facebook und bei Instagram geteilt werden. Anscheinend wird fischpott.com als Spamseite klassifiziert. Zuerst denke ich, dass sich dieses Missverständnis schnell klären wird. Elf Monate und zahlreiche Kommunikationsversuche später habe ich mich mit der Blockade abgefunden. Am Anfang sinken unsere Besucher*innenzahlen. Jetzt, im Dezember 2020 sind wir aber wieder bei um die 250 Views am Tag.
Insgesamt hat die Corona-Zeit unseren Blog kaum betroffen. Rezensionsexemplare gehen unverändert raus, statt Kinofilmen werden Home-Releases besprochen. Gesellschaftsspiele mit mehreren Spielenden spielen hier eh keine große Rolle. Tatsächlichen haben ein paar Redaktionsmitglieder mehr Zeit. So auch Mitgründer Jan, der nach einigen Jahren Abstinenz wieder dabei ist. Nur Konzertbesuche oder das Spielen von Escape-Rooms ist natürlich stark eingeschränkt.
Blick nach vorn
Fischpott kann natürlich so weiterlaufen. Ein Portal für Rezensionen aller Art mit einer Redaktion aus Freiwilligen. Das hat sich in den letzten zehn Jahren so entwickelt und ist sogar recht erfolgreich. Zwei Dinge würde ich mir allerdings wünschen. Zum einen eine etwas diversere Redaktion. Die meisten unserer Autor*innen sind weiß, cis-männlich, über 35. Ich ja auch und es sind ja gute Autor*innen. Aber wie schon Judith im Gastbeitrag vom 11. Dezember geschrieben hat, ist Vielfalt wünschenswert. Unterschiedliche Blickpunkte verbessern den Diskurs. Außerdem muss ich an die Zukunft denken. Wenn 2040 die meisten Fischpott-Redaktionsmitglieder 60 sind, wollen die alle bald in Rente gehen.
Was ich mir außerdem wünsche, wäre eine etwas wirtschaftlichere Basis. Alle Arbeit an Fischpott ist freiwillig, aber abgedeckte Serverkosten wären schön. Das könnte vielleicht über unseren neuen Buy me a coffee-Account klappen. Weiter in die Zukunft gedacht wäre eine bessere finanzielle Ausstattung ein Garant dafür, dass mehr Texte hier regelmäßiger erscheinen. Normalerweise erscheinen hier ein bis zwei Artikel pro Woche. Wünschenswert wären drei. Das ist aber derzeit nicht machbar. Bis zu einer angemessenen Bezahlung ist es allerdings ein ziemlich weiter Sprung.
Ein möglicher Ansatz wäre ein Sponsoring. Vielleicht für jede Kategorie von unterschiedlichen Sponsoren. So könnte eine Buchhandlung die Kategorie „gelesen“ sponsorn, ein Ticket-Portal die Kategorie „besucht“ und so weiter. Eine weitere Idee wäre ein Fischpott-Stipendium: Fischpott findet einen Sponsor, der uns ermöglicht, ein junges Talent mit Bezahlung, Textkorrektur und Veröffentlichung zu fördern. Das wären zumindest Wünsche. Allerdings stellt sich die Frage, ob ein reiner Text-Blog überhaupt noch zeitgemäß ist. Vielleicht sollten wir als weiteres Angebot einen Podcast und Videos anbieten … aber wie finanziert sich das? Oder wir finden einfach mehr Freiwillige. Aber am besten nicht nur Schreibende, sondern auch Menschen, die einen Blogpost für die Veröffentlichung fertig machen. Also Korrektur lesen, Links setzen, Fotos bearbeiten und einfügen, Tags auswählen und so weiter.
Danke fürs Lesen!
Genug geträumt. Auf jeden Fall sagen wir unserem Lesepublikum, unseren Autor*innen, unseren Gastautor*innen und auch den Marketingleuten, die uns immer wieder mit allerhand Ansichtsexemplaren versorgen ein herzliches Danke! Auf die nächsten 10 Jahre.