Asterios Polyp – Eine viel zu kurze Rezension
David Mazzucchelli „Asterios Polyp“
Wer sich etwas intensiver mit US-Comics der letzten 30 Jahre beschäftigt wird zwangsläufig irgendwann auf David Mazzucchelli stoßen; nicht etwa, weil es sich um einen außergewöhnlich produktiven Künstler handeln würde (das tatsächlich nicht), sondern weil kaum ein Zeichner aus dem Mainstream sich mit einer derartigen Hingabe weiterentwickelt. Zu seinem Portfolio gehören zu Klassikern avancierte Superhelden-Comics wie Daredevil: Born Again oder Batman: Year One ebenso wie die mit Paul Karasik entwickelte kongeniale Romanadaption Paul Auster’s City of Glass und seiner Reihe Rubber Blanket. Seit August ist nun auch seine aufsehenerregende erste Graphic Novel Asterios Polyp auf Deutsch erhältlich.
Auf über 300 Seiten erzählt Mazzucchelli die Geschichte des Architekturprofessors Asterios Polyp, dessen Existenz an seinem 50. Geburtstag in den Grundfesten erschüttert wird: Ein Blitzschlag verbrennt sein Apartment in Manhattan, worauf Asterios aus einer Laune heraus mit dem Bus die Großstadt verlässt und in der Provinz neu beginnt. Auf zwei Ebenen erzählt der Comic im folgenden sein neues Leben: als bescheidener Automechaniker, der sich alles in kurzer Zeit aus Büchern anlesen kann, und sein früheres Leben als bekannter Intellektueller der New Yorker Salons.
Das Prinzip der Dualität, das sich in der zweigeteilten Erzählweise niederschlägt, ist das offensichtlichste Thema des Comics. Asterios‘ toter Zwillingsbruder Ignazio, der als Erzähler fungiert, verfolgt ihn zeitlebens als Geist, sowie als Sinnbild der Gegesätzlichkeit seiner Welt: Männer und Frauen, rechte und linke Gehirnhälfte, positive und negative Ladung, Yin und Yang, Narziss und Goldmund, Apollo und Dionysos. Gerade in den Rückblicken auf sein Leben als Akademiker ergeht sich Asterios selbst, wie Mazzucchelli als graphischer Erzähler, geradezu exzessiv in der Klarheit dieser Weltsicht. Der scharfe, aber auch arrogante, überhebliche Verstand Asterios‘ spiegelt sich in seiner Vorliebe für modernes Design – im Gegenzug zu seiner Verwurzelung in der antiken Philosophie und Mythologie – welches sein Apartment ebenso strukturiert wie die Zeichnungen Mazzuchellis. Störfaktor und dualistisches Gegenstück ist seine Ex-Frau, die introvertierte Künstlerin Hana, die von seiner Persönlichkeit förmlich erschlagen wird.
Man könnte der Graphic Novel vorwerfen, sich in – teilweise sehr offensichtlichen und nicht immer innovativen – Stil- und Formexperimenten zu verlieren und so zu einer trockenen Studie zu werden. Dass das nicht passiert, liegt vor allem am zweiten Erzählstrang, der den reifen Asterios als Mechaniker zeigt. Mit einem konsequent einheitlichen und ruhigen Stil zeigt Mazzuchelli hier, was er schon bei Batman ebenso wie in City of Glass bewiesen hat: dass er vor allem ein hervorragender Erzähler ist, der den Leser auch ohne große Handlungen fesseln kann. Hilfreich ist zudem, dass in diesem Teil auch ein personelles Gegengewicht zur New Yorker Szene gesetzt wird, wo sämtliche Figuren bis auf Hana lediglich als bizarre Selbstdarsteller erscheinen. Die kleine Stadt „Apogee“ [!], in der Asterios sich niederlässt, ist bevölkert von ebenso extravaganten, jedoch originellen und sympathischen Figuren, welche die erbarmungslose Rationalität der Rückblicke aufbrechen. Lediglich das abrupte, etwas unbeholfene Ende wirft einen kleinen Schatten auf Mazzucchellis Comic.
Das eigentliche Problem an dieser Stelle ist jedoch ein anderes: Asterios Polyp, an dem Mazzucchelli über 15 Jahre gearbeitet haben soll, ist von einer formalen wie inhaltlichen Komplexität, wie sie sich in einer kurzen Rezension unmöglich wiedergeben, ja nicht einmal umschreiben lässt. Scott McCloud bringt es in seinem Blog auf den Punkt: „First of all, if you haven’t read David Mazzucchelli’s fantastic graphic novel Asterios Polyp, I strongly recommend getting yourself a copy. And stop reading this post now until after you’ve read the book. If you’ve read Asterios Polyp once… Read it again“
LB