Aug in Aug mit den Eisbären
Wenn die Kamera zur Handlungsfigur wird
März in Spitzbergen/Norwegen. Eine Eisbärmutter verlässt mit ihrem Jungen das Winterquartier. 6 Monate hat sie in der Geburtshöhle, einem Schneeloch, verbracht und muss nun erst einmal mit Turnübungen ihre Beweglichkeit wiederherstellen. In der Folge steht Nahrungssuche auf dem Programm, die Gute hat nämlich im letzten halben Jahr nichts zwischen die Zähne bekommen. Doch so wichtig Nahrung für sie jetzt ist, so wichtig ist es auch, männlichen Eisbären aus dem Weg zu gehen. Es ist Paarungszeit, und da verstehen die weißen Riesen kein Pardon. Im Zweifel verspeisen sie dann auch ihre eigene Art.
Mutter Bär kreiert ihr eigenes Homevideo
Den Eisbären bleiben diese Kameras natürlich nicht verborgen. Auch wenn sie gut getarnt sind und auf den ersten Blick als Schneehaufen oder kleine Eisberge daherkommen, wissen die wissbegierigen und neugierigen Tiere sehr wohl: Schnee hat keinen Propellerantrieb und kann seinen Kopf nicht in alle Himmelsrichtungen drehen. Je nach Gemütszustand müssen diese seltsamen Konstruktionen, die allesamt den Charme eines R2D2 haben, erforscht werden. Zum Teil scheint es reiner Spieltrieb zu sein, der die Bären antreibt. Mit der Schneeball-Cam lässt sich großartig Fußball spielen. Die Riesen beweisen aber auch, wie verwüstlich die vermeintlich unverwüstlichen Geräte sind. So muss manche Kamera tapfer ihren eigenen Tod filmen. Es ist aber gerade eine der beiden Bärenmütter, die nachhaltig beeindruckt, indem sie nach Spielversuchen ihres Kindes die Kamera wieder justiert und auf ihr Baby ausrichtet. Reiner Zufall? Wahrscheinlich. Und doch zeigt die Dokumentation, wie clever und strategisch klug sich Eisbären verhalten können. 3000 Eisbären gibt es in Spitzbergen. Im Winter verbindet das Polareis die Inselgruppe zu einer großen Einheit. Im Frühjahr gilt es, sich von Eisschollen zur Polarkappe transportieren zu lassen, immer hinter dem Strom der Lieblingsspeise her, den Robben. Ein Zehntel der Bären aber verpasst diesen Zug und muss sich auf den im Sommer so gar nicht weißen Inseln durchschlagen. Die Cams beobachten beide Gruppen. Auf den langsam schmelzenden Eisflößen gilt es, nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren und sich Robben so zu nähern, dass diese es nicht rechtzeitig ins rettende Wasser schaffen. An Land hingegen müssen Nahrungsalternativen gefunden werden. Tausend Gänseeier und -küken können da locker eine Robbe ersetzen.Gras ist auf Dauer keine Lösung
Und doch bleibt es oft nur bei Seetang oder schlichtem Gras. Entsprechend entwickeln sich die Jungen auf der Insel erheblich langsamer als die auf den Eisschollen. Vielleicht erlernen sie aber so gerade die wichtigen Strategien, die ihnen das Überleben sichern, sollte der oft zitierte Klimawandel ihre Jagdgebiete zerstören. Letztlich ist es erst 150.000 Jahre her, da sich ihre Art von den Braunbären abgespalten hat. Daher auch das Wissen, dass Gras auf Dauer keine Lösung sein kann, im Moment aber erst einmal den schlimmsten Hunger stillt.Wie bei jeder guten Tierdokumentation begeistern auch hier die großartigen Landschaftsaufnahmen. Es sind aber eben gerade die extremen Nahaufnahmen durch die getarnten Kameras und die Interaktion der Bären mit ihnen, die diesen Film sehenswert machen. Und die Bilder besonders der jungen Bären verzücken sicherlich so manches Herz, meins inbegriffen.
Wen das eher kaltlässt, erfreut sich halt an den kleinen R2D2s.
BK