Dragged Across Concrete
„Knochen-Tomahawk“, „Schlägerei im Zellenblock 99“ – schon die übersetzten Titel der Filme von S. Craig Zahler verheißen in der Regel wenig weihnachtlich-besinnliches. Wenn das neue Werk des Regisseurs also „Über Beton geschliffen“ heißt, darf man sich auf einiges gefasst machen.
Zahler, der Mann mit einer fast schon krankhaften Abneigung gegen intakte menschliche Schädel, schreibt vorzugsweise Genrestücke mit hartem Horroreinschlag und Gewaltspitzen, bei denen sich gerne mal das Frühstücksmüsli im Mund zurückmeldet. Sobald in seinem Erstlingswerk Bone Tomahawk das titelgebende Werkzeug loslegen darf, wird der bis dahin fast schon gemächliche Dialogwestern plötzlich zum knallharten Exploitation-Werk. Brawl in Cell Block 99 und Puppet Master – The Littlest Reich bekamen hierzulande gar nicht erst die FSK-Freigabe. Somit verwundert es durchaus, wenn auf der Hülle seines neuesten Streifens, dem bildhaft betitelten Dragged across Concrete, plötzlich ein blauer FSK 16-Flatschen pappt.
Die beiden Detectives Brett Ridgeman (Mel Gibson) und Anthony Lurasetti (Vince Vaughn) werden nach einem Einsatz, in dem sie bei übermäßiger Gewaltanwendung gegen einen Drogendealer gefilmt werden, vom Dienst suspendiert. Da das Geld knapp wird, willigen sie nach einem Tipp von Geschäftsmann Friedrich (Udo Kier) ein, den mysteriösen Lorentz Vogelmann (Thomas Kretschmann) zu beschatten und auszurauben. Schnell stellen Ridgeman und Lurasetti fest, dass Vogelmann plant, gemeinsam mit den Handlangern Henry (Tory Kittles) und Biscuit (Michael Jai White) eine Bank auszurauben. Schnell kreuzen sich die Wege der beiden Parteien und die Situation eskaliert…
Rassismus schön und gut – aber die Medien …
Auch wenn es eine Weile dauert, bis in Dragged across Concrete der rote Lebenssaft spritzt, liegt potentielle Gewalt von Anfang an in der Luft – und das nicht nur, weil Mel Gibson mitspielt. Okay, reden wir am besten direkt über den Elefanten im Raum: Ich finde die Tatsache, dass Mel Gibson wieder Hauptrollen und Angebote in Hollywood nach dem Motto „Vergeben und vergessen bzw. verjährt“ bekommt, ohne dass Gibson jemals wirklich für seine antisemitischen Rants und gewalttätige Ausfälle gerade stehen musste, problematisch – eine Tatsache, die glücklicherweise in der genialen Serie Bojack Horseman in der Folge „Bojack the Feminist“ auf fantastische Weise parodiert und kritisiert wird.
So unkomfortabel wie es ist, Gibson in der Hauptrolle zu sehen, so unkomfortabel ist der ganze Film – und das leider nicht immer auf eine gute Weise. Der initiale Gewaltakt unserer beiden Protagonisten ist hart und aktuell hochrelevant: Ridgeman und Lurasetti malträtieren einen Latino-Drogenhändler, indem sie ihre Stiefel auf seinen Kopf drücken. Anschließend entblößen und demütigen sie seine Freundin in Szenen, die hart anzusehen sind. Anstatt das Verhalten der Protagonisten aber im Laufe des Films zu hinterfragen oder sie zu dekonstruieren, schreibt Zahler eine bizarre Menge an Anti-Political-Correctness-Monologe in sein Drehbuch – selbst der Polizeichief (gespielt von einem verschwendeten Don Johnson), der die beiden Detectives suspendiert, steigt mit ein.
Eine kleine Kostprobe gefällig? „In der heutigen Öffentlichkeit als Rassist dazustehen, ist wie in den 50ern als Kommunist dazustehen“, schwafelt Johnsons Figur daher. Gibsons Charakter wirft im Laufe des Gesprächs diese merkwürdig formulierte Perle in den Raum: „Die Unterhaltungsindustrie, früher als Nachrichten bekannt, braucht Übeltäter.“ Und Vince Vaughn darf in bester Roboter-Ablesestimme noch ergänzen: „Und es ist sicher nichts Verlogenes daran, dass die Medien jede vermeintliche Intoleranz ohne jegliche Toleranz behandeln.“ Nun muss man Figuren von Autoren klar trennen und vielleicht dienen diese Monologe allein der Charakterisierung der Figuren, aber tatsächlich lesen sich diese sehr konstruiert wirkenden, die Handlung in keiner Hinsicht unterstützenden Einschübe wie Statements von Zahler.
Zwei hinreißend verdorbene Arschlöcher
Denn immer wieder scheint Dragged across Concrete mit seinen Protagonisten zu sympathisieren. Laut Drehbuch sind sie hart arbeitende Männer, die schlechte Menschen hinter Gittern bringen und jetzt eben in der modernen Political Correctness-Zeit für einen Fehler bestraft werden – dass beide aber hochrassistisch/sexistisch sind und aktiv Polizeigewalt ausüben, steht auf einem völlig anderen Blatt. Im Gegenteil wird Ridgemans Rassismus sogar noch gerechtfertigt: In mehreren Szenen, die erneut nichts zur eigentlichen Handlung beitragen, wird seine Tochter von einer Gang schwarzer Jungs belästigt und gemobbt. Ridgemans Frau, eine Expolizistin mit Multipler Sklerose kommentiert, dass sie sich immer für liberal und nicht rassistisch gehalten hat, bis sie in eine schwarze Nachbarschaft gezogen ist. Verdammt, Geld zu bekommen, um seine Familie aus dieser Nachbarschaft herauszubekommen ist Ridgemans ganzer Hauptmotivator.
Ist S. Craig Zahler selbst ein Rassist? Das würde ich nie behaupten und die beiden schwarzen Charaktere in seinem Film sind angenehm nuanciert und interessant geschrieben und gut gespielt. Aber die oben beschriebenen Momente nehmen einen nicht unerheblichen Teil der fast zweieinhalbstündigen Laufzeit ein und stehen, da sie nie hinterfragt werden, umso auffälliger im Raum.
Nicht besonders hilfreich ist dabei, dass Mel Gibson und Vince Vaughn absolut keine Chemie untereinander haben. Gerade Vaughns Performance ist nach seinem doch recht effektiven Minimalspiel in Brawl in Cell Block 99 ein echter Rückschritt. Tut mir leid, aber Sätze wie „Das klingt metaphysisch“ klingen nicht besser oder natürlicher, wenn sie aus dem Mund von dem Typen aus Die Hochzeits-Crasher kommen. Den ganzen Film über bleiben seine und Gibsons Figuren unsympathische Arschlöcher, denen auch einige bizarre Ticks keine zusätzliche Persönlichkeit verleihen: Warum Lurasetti beispielsweise ständig „Anchovis!“ ruft, wenn etwas schief geht, ist mir bis heute ein Rätsel.
Eiersalat und blutiges Gekröse
Teilweise erreicht Dragged across Concrete tatsächlich effektiv inszenierte Spannungsmomente und trotz FSK 16-Sticker taucht auch hier irgendwann die patentierte S. Craig Zahler Exploitation-Gewalt auf. Dummerweise ist der Film durch seine langsame Erzählweise und seine drölfzigtausend Nebenfiguren streckenweise zäh wie Leder. Ich bin ein recht geduldiger Filmegucker, aber nach einer Szene, in der Vince Vaughn gefühlt fünfeinhalb Stunden lautstark schmatzend ein Eiersalattoast verspeist und sich anschließend weitere vier Stunden lang mit Gibson über besagtes Eiersalattoast streitet, habe ich mir doch hart gewünscht, dass Kurt Russell mit einem Bone Tomahawk aus Zahlers anderem Film in diesen überwandert und dieser Szene ein blutspritzendes Ende setzt.
Das Finale nimmt dann tatsächlich etwas Fahrt auf und zeigt, wie effektiv Zahler sein kann, wenn er denn mal seine peinlichen Medienrants links liegen lässt. Aber auch in dem brutalen, hochgradig zynischen Finale versucht er permanent, seine beiden Protagonisten als Sympathieträger hinzustellen. Das offensichtliche Vorbild ist hier The French Connection, aber der ebenfalls unsympathische, gewalttätige Popeye Doyle wurde in dem Film als Unsympath und moralisch grauer Charakter inszeniert. Dragged across Concrete schafft diesen Sprung nicht und ist auf diese Weise auf die falsche Weise unkomfortabel. Wenig hilfreich ist auch, dass die explizitesten gezeigten Gewaltakte gegen Frauen und ethnische Minderheiten ausgeführt werden.
Gegen Ende wird klar, dass Dragged across Concrete mit mehr erzählerischem Fokus ein viel effektiverer, kleiner, gemeiner Thriller hätte werden können. Aber die peinlichen politischen „Statements“, die vielen unnötigen Nebenplots und nicht zuletzt die fehlbesetzten Hauptrollen machen aus S. Craig Zahlers neuestem Film eine zähe Angelegenheit, die schlicht und ergreifend keinen Spaß macht. Antihelden und moralisch graue Filme sind gut und wichtig – aber dann sollte man auch etwas bedachter und intelligenter vorgehen. The French Connection hat das geschafft – Dragged across Concrete leider nicht.
Fischpott-Disclaimer: Wir haben ein Rezensionsexemplar der Blu-ray erhalten.
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