Flucht aus Pretoria
Jetzt sagen Sie nicht, das ist Harry Potter. Oh doch, Daniel Jacob Radcliffe, Schauspieler aus London, 1989 geboren, 1,65 m groß und damit nicht einmal auf Augenhöhe mit Tom Cruise. Was allemal eine Filmkarriere versauen könnte, wurde möglicherweise durch das Elternpaar ausgebügelt: der Vater Literaturagent, die Mutter Casting-Agentin. In Flucht aus Pretoria steht Harry Potter … Quatsch, es steht Daniel Radcliffe nun seinen kurzen Mann als Tim Jenkin. Den kennt man in Europa kaum, wohl aber in Südafrika, wo der schlaksige Kerl mit Bombenattentaten gegen die Apartheid protestierte. Freilich legte er harmlose Globuli-Bomben, die lediglich politische Pamphlete in Menschenmengen schleuderten. Zwölf und acht Jahre Haft kassierten Jenkin und sein Mittäter Stephen Lee (Daniel Webber) für ihr Treiben. Als sich die Tür der Gefängniszelle am ersten Tag schließt, ahnt jeder Zuschauer, dass es für rebellische Naturen ab jetzt nur noch um einen Gedanken gehen kann: Wo ist das Schlupfloch nach draußen?
Der Film tritt damit in die Fußstapfen ähnlich geschneiderter Vorläufer, die allesamt Spannung mit ein wenig Rebellion kombinierten: Die Guten sitzen in Haft, die Bösen passen sadistisch auf sie auf. In Flucht von Alcatraz (1979) gräbt sich der Wiederholungsausbrecher Frank Morris alias Clint Eastwood seinen Weg durch Belüftungsschächte. Die Szene mit dem ablenkenden Kunstkopf auf der leeren Pritsche, das nächtliche Geistern durch schummerige Gänge und das Malverbot als Züchtigung erscheinen bereits wie Vorahnungen für Pretoria. Die Freiheitsstrafe, die Paul Newman als Der Unbeugsame (1967) erhält, wirkt ähnlich überzogen wie die Haft für Flugblattbomben. Steve McQueen und Dustin Hoffman ergeben ein nahezu vorbildhaftes Häftlingsteam im Klassiker Papillon (1973). Den habe er geradezu als Leitfaden genutzt, erzählt der echte Jenkin in den Extras.
Radcliffe spielt den Checker, der nur auf äußerst brenzlige Situationen mit Schweißausbrüchen reagiert. So einen coolen Eindruck vermittelt auch Jenkin im Interview, ein Mann, der sich schwer einschüchtern lässt und seiner Überzeugung als Gegner der unmenschlichen Apartheid treu bleibt. Nur die Aufgabe als Komparse im Film habe ihn angekratzt, erzählt er lachend und mit gewisser Hochachtung vor seinem Film-Ego Radcliffe. Der hingegen wirkt in den Extras unangenehm fahrig, geleckt, bubihaft und fast untauglich für die Rolle. Tatsächlich sind es ein paar Taschenspielertricks, die Radcliffe einsetzt, um sich glaubhaft zu präsentieren.
Nicht immer kann man den Bildern folgen, weil Regisseur Francis Annan und Kameramann Geoffrey Hall einen überzogenen Hang zum Low Key ausleben: Irgendwo da im Dunkeln passiert etwas, das anscheinend Bedeutung fürs Gelingen der Flucht hat. Dass der Ausbruch trotz vieler – vielleicht auch zu vieler – Beinahe-Katastrophen gelingen wird, weiß man schon zu Beginn des Films, der damit an Spannung hinter den genannten Vorläufern oder auch dem knallharten Midnight Express zurück bleibt. Erfrischend derweil, dass man nicht durch Animationen aus der Trickkiste belästigt wird. Die Sache ist aufrichtig und mit kleinem Budget gefilmt, nicht in Südafrika, sondern in Australien. Die Harry Potter-Anmutung tänzelt immer mal störend durchs Bild. Dafür wurde mit dem Australier Mark Leonard Winter für die Rolle des Mitflüchtlings Leonard Fontaine ein Film- und Bühnenschauspieler gefunden, den man liebend gern noch in Werken von größerem Kaliber sehen würde. Die guten Extras sollten für jeden Konsumenten Pflicht sein, denn während sich der Film fast stur auf den Ausbruch konzentriert, begreift man erst über die Interviews die politische Motivation Jenkins.
Fischpott-Disclaimer: Wir haben die DVD von Koch Media erhalten.