Fragwürdige Studie 2: Gamer und Schmerzen
Zweiter Teil des Interviews mit Johannes Breuer zu Verhaltensänderung durch Computerspiele
Im ersten Teil unseres Interviews mit Dr. Johannes Breuer haben wir über eine Studie der Universität Witten zum Thema Verhalten und Konformität gesprochen, deren Interpretation einige Fragen aufgeworfen hat. Ebenfalls an der Uni Witten wurde eine Studie veröffentlicht, laut der bei Spielern von Computerspielen das Schmerzempfinden sinkt. Getestet wurde dabei, wie viele Büroklammern die Probanden aus Eiswasser fischen konnten. Wer sich vorher mit immersiven Spielen beschäftigte, holten mehr Klammern aus dem Eiswasser als jemand, der nicht-immersive Spiele gespielt hatte. Zitat des Mitautors Ulrich Weger: „In unserer Studie hat sich gezeigt, dass Versuchspersonen, die sich während eines so genannten immersiven Rollenspiels in die Perspektive eines Avatars hineinversetzen, diese roboterhaften Eigenschaften teilweise auch in die wirkliche Welt übernehmen und dadurch auch unempfindlicher gegenüber eigenen Schmerzen und den Schmerzen anderer werden.“ Roboterhafte Eigenschaften definiert Weger so: mechanisches Auftreten, kühle Rationalität und emotionale Kälte.
Würden sie die Studie von Ulrich Weger zum Schmerzempfinden von Computerspielern auch so kritisch sehen?
Breuer: Da gibt es das gleiche Problem. Auch da kann ich dem komischen Begriff des roboterhaften Hineinversetzens nicht ganz folgen. Da wurde ja Schmerzresistenz getestet. Und auch da könnte man viele andere Erklärungen nennen, die nicht ausgeschlossen werden und die für mich intuitiv sinnvoller erscheinen. So gibt es verschiedene Auswirkungen auf das physiologische Erregungsniveau, was in englischsprachigen Studien Arousal heißt, die hier nicht erhoben wurden. Da könnte man natürlich annehmen, das ist ja auch tatsächlich so, wenn mein Erregungsniveau höher ist, kann ich mehr Schmerzen aushalten. Das kennt man aus dem Sportkontext. In einer aufregenden Situation setzt dieser Fight-or-flight-Mechanismus ein. Das wäre eine Möglichkeit für den experimentellen Effekt.
Da gibt es hier diesen korrelativen Zusammenhang, zwischen Leuten die viel spielen und Leuten, die nicht so viel spielen. Da müsste man sich fragen, wie unterscheiden sich diese Leute sonst noch von einander. Klassischerweise spielen Männer mehr als Frauen. Ich weiß gar nicht, ob in diesem Sample nur Männer drin waren oder nur Frauen, das ist so ein bisschen gemischt in den unterschiedlichen Experimenten.
Eine andere Variable, die auch mit Computerspielen in Verbindung gebracht wird ist das, was sich Sensation Seeking nennt. Leute die einen Kick oder Thrill suchen und deswegen zum Beispiel gerne Actionspiele spielen oder Basejumping, Bungeejumping oder Motocross machen. Das wäre auch eine Möglichkeit, dass Leute, die viel spielen, ein höheres Sensation Seeking haben und damit geht eine etwas höhere Schmerzunempfindlichkeit einher.
Und dann muss man ein bisschen drauf achten, wenn man sich die Ergebnisse anschaut, dass die Unterschiede teilweise sehr gering ausfallen. Außerdem hat man hat das Problem, das schreiben die Autoren am Ende der Studie selbst, dass sie wirklich nur sehr kleine Stichproben haben. Um die 30, 40 Versuchsteilnehmer, das sind relativ geringe Zahlen. Lässt sich das replizieren, ist das haltbar, wenn man das wiederholen würde? In manchen Studien wird auch nicht genau angegeben, wie groß der Effekt ist.
Also wurde die Studie mit einer Voreinstellung vorgenommen? Mit einem Bias?
Breuer: Wir haben es zumindest mit einer sehr einseitigen Interpretation der Ergebnisse zu tun. Es wird darauf gepocht, dass dieses Hineinversetzen die Ursache ist. Das einzige, was man hier gemacht hat, ist in einer der Studien die Identifikation mit dem Avatar gemessen. Aber auch nur sehr kurz und knapp mit drei selbst formulierten Items.
Dabei gibt es validierte Identifikationsskalen für die Computerspielnutzung. Die Identifikation hat mehrere Ebenen. Es gibt Identifikation mit dem Avatar, mit dem Spiel – die FIFA Soccer versus die Pro Evolution-Spieler, vielleicht auch mit der Community. Es gibt verschiedene Arten der Identifikation mit dem Avatar. Wishful Identification, das gab es schon in der Fernsehforschung, also das „Ich möchte so sein wie der.“. Oder Verschmelzen, also „Der Avatar ist ich, ich bin der Avatar.“ Das kennt man, wenn man über Spielerlebnisse spricht. Oft sagt man da: „Dann bin ich gestorben.“ Es ist natürlich der Super Mario-Charakter, der gestorben ist. Diese Identifikation ist nicht sehr umfassend gemessen worden.
Vom Roboter-Aspekt scheinen die Autoren auch nicht abzukommen …
Breuer: Die Eigenschaften des Avatars sind hier angenommen. Ob die Leute den wirklich als roboterhaft erleben, das hängt natürlich davon ab, was für ein Avatar das ist – und ob das Einfluss auf das Selbstbild hat wird ja auch nicht direkt erhoben.
Es gibt Studien, die schauen sich an die Diskrepanz zwischen Real Self und Ideal Self an, dem realen Selbst und dem idealen Selbst. Wie bin ich, wie möchte ich sein? Und wo steht da mein Avatar in der Relation? Ist der eher so, wie ich gerne sein möchte oder ist der mir sehr ähnlich, wie ich wirklich bin? Gerade in Spielen, wo man Avatare selbst erstellen kann gibt es verschiedene Strategien. Das hängt vom Spiel ab, das hängt vom Spieler ab. Wie zufrieden ist die Person mit ihrem eigenen ich? Wie sehr passt das vielleicht zum Spielsetting? Identifikation und Empathie sind wesentlich vielschichtiger als das hier in dieser sehr kurzen und vereinfachten Form dargestellt wird. Wird der Avatar überhaupt als roboterhaftes Wesen wahrgenommen von den Spielern? Da würde ich zumindest mal ein Fragezeichen hinter setzen wollen. Und beeinflusst das mein Selbstbild – auch da würde ich ein Fragezeichen hinter setzen. Das ist die Gretchenfrage nach den Transfereffekten. Gerade bei langfristigen Transfereffekten ist die Beweislage dürftig.