Inside Out – Alles steht Kopf
Da ist er also, der neue Animations-Film der Pixar Studios. In den USA hat er bereits das beste Startwochende für einen Pixar-Film mit einem Umsatz von ca. 90 Millionen Dollar (und damit erfolgreicher als Avatar, der es „nur“ auf 77 Millionen Dollar brachte) hingelegt. Immer noch deutlich unter dem Ergebnis des ebenfalls von Disney vertriebenen Avengers – The Age of Ultron, aber qualitativ auch deutlich über der Marvel-Einheitsgrütze, die der neue Avengers dann doch leider geworden ist.
Der deutsche Titel ist dabei gar nicht mal so dumm gewählt. In Inside Out geht es im Prinzip darum, dass jeder Mensch von fünf grundsätzlichen Gefühlen gesteuert und geprägt wird. Diese Gefühle befinden sich logischerweise in unseren Köpfen und bedienen dort eine Art Schaltzentrale. Das Gefühlsquintett besteht aus Freude (Joy), Kummer (Sadness), Angst (Fear), Ekel (Disgust) und Wut (Anger). Und diese Gefühle prägen auch das Leben der 11-jährigen Riley. Wir erleben ihre Geburt und wichtige Stationen ihres Lebens (sogenannte Core-Memories) und wie die einzelnen Gefühle diese beeinflussen. Pixar stellt dabei die Gefühle als stilisierte Charaktere dar, die zusammen mit Riley wachsen und erwachsen werden.
Da Riley in einem sehr positiven und harmonischen Elternhaus aufwächst ist Joy zunächst auch der dominierende Charakter in ihrem Kopf. Stets positiv eingestellt und immer bemüht, aus jeder Situation das Beste zu machen ist sie anfangs ein ziemlich nerviges Happy-Go-Lucky. Die anderen Gefühle (vor allem Sadness, immer triefnasig und deprimiert) versuchen zwar, aus Riley eine durchaus vielschichtige Persönlichkeit zu machen, aber am Ende des Tages, wenn die Erinnerungen und Gefühle in Form von leuchtenden Kugeln im Gehirn abgelegt werden überwiegt die Freude. Bis, ja, bis Riley mit ihrer Familie vom beschaulichen Minnesota nach San Francisco ziehen muss. Die neue Wohnung ist deutlich kleiner als das alte Haus, der Umzugswagen natürlich auch noch nicht da und der Vater die ganze Zeit mit seinem Job beschäftigt. Rileys heile Welt kriegt nach und nach Risse.
Bis zu diesem Moment habe ich mich schon gefragt, ob der Film das Konzept „Mensch wird von Gefühlen gesteuert und die Gefühle sind lustige kleine Figuren im Kopf“ über Spielfilmlänge durchziehen und durchhalten kann. Da aber eben mit dem Umzug in die neue Stadt zum einem das Grundkonzept aufgestellt ist und auch genügend Dramatik in die Sache kommt kann ich nur sagen: Ja, kann er. Und wie! Wir lernen nach und nach immer mehr über Riley und den Aufbau ihrer Seele, lernen, dass im Kopf quasi verschiedene Inseln aufgebaut werden (Freundschafts-Insel, Familien-Insel und so weiter) und dass diese Inseln durch einen Wechsel in den Lebensbedingungen nach und nach wegbröckeln können und ein bildlich sehr eindrucksvoll umgesetztes Gefühlschaos auslösen können.
Im Film kommt dann noch erschwerend dazu, dass Joy und Sadness es schaffen, sich aus der Schaltzentrale auszusperren und auf einmal müssen Fear, Disgust und Anger versuchen, Riley weiterhin als glückliches Mädchen zu präsentieren, obwohl die Umstände alles andere als glücklich sind. So reagiert Riley immer gereizter auf ihre Umwelt und kapselt sich von ihren verbliebenen Freunden in der alten Heimat ab, kriegt keinen Anschluss an der neuen Schule und wirft ihr heißgeliebtes Hobby (Hockey-Spielen) über Bord. Gleichzeitig versucht Joy auf Teufel komm raus wieder in die Schaltzentrale gelangen und lernt dabei die ganzen Abteilungen von Rileys Seele inklusive vergessenen Erinnerungen, imaginären Freunden und unwichtig gewordenen Erlebnissen aus der Kindheit kennen.
Was jetzt furchtbar kompliziert klingt ist gar nicht schlimm. Pixar schafft es, aus einem eher ernsten Thema einen sehr unterhaltsamen, oftmals sehr lustigen und gerade gegen Ende auch unglaublich dramatischen und mitreißenden ja, regelrecht aufwühlenden Film zu machen. Wenn Joy auf einmal merkt, dass alles verloren ist und sie weder weiter weiß noch weiter kommt fährt der Film mit der Musik runter und zeigt uns eine emotional so starke Szene – bei der ich natürlich nicht geweint habe (ich hatte nur was im Auge) – dass ich sehr ergriffen im Kinosessel versunken bin.
Und vor allem: All das kommt einem sehr bekannt vor. Jeder, der Geschwister, Nichten und Neffen, Kinder (eigene oder im Freundeskreis) etc. pp. hat kann die einzelnen Situationen nachvollziehen und wird sich auf die eine oder andere Art berührt fühlen. Und das macht den Film auch aus: Er hat Herz und Seele. Im Gegensatz zu manch anderem Animationsfilm (*Hüstel* Dreamworks *Hüstel*) schafft es Pixar auch dieses Mal, den Zuschauer zu berühren, ihn mitzunehmen auf eine ganz besondere Reise ins ich und nicht nur einen maximal auf dem Reißbrett funktionierenden Film abzuliefern (gutes Beispiel: Home … was ein Mist!). Pixar ist dieses Mal auf Augenhöhe mit den ebenfalls sehr emotional inszenierten Anime-Filmen von Studio Ghibli. Wer also zu den ganz besonderen Spezies gehört, die ständig behaupten dass große Emotionen nur die Japaner gut hinkriegen sollte sich doch mal den einen oder anderen Film von Pixar anschauen. Zumal Ghibli auch eine kleine Durststrecke hinter sich hat (der neue When Marnie was there hat mich da sehr positiv überrascht, endlich mal ein rundum gelungener neuer Ghibli).
Was ich mich da immer frage: Glauben die Vertriebe in Deutschland eigentlich immer noch, dass die Zielgruppe für Animationsfilme Kinder sind? Und Erwachsene sich das nur anschauen, weil sie die Kinder ins Kino begleiten? Ich denke ja, Filme wie die von Pixar sind eigentlich primär für Erwachsene gemacht und dennoch so gestaltet, dass auch Kinder ihren Spaß haben werden. Richtig verstehen wird das Gezeigte aber doch eher ein erwachsener Zuschauer. Der Trailer von Inside Out zeigt jedenfalls eine sehr lustige, aber keinesfalls repräsentative Szene aus dem Film.
Mit Inside Out hat Regisseur Pete Docter (Monster AG, Oben) jedenfalls einen tollen Film abgeliefert, die Sprecher sind auch wie immer super (und werden sicher auch in der deutschen Synchronisation passend besetzt sein) und die Musik von Michael Giacchino ist auch mehr als nur eine kleine Erwähnung wert. Der Kurzfilm Lava, der von einem einsamen Vulkan irgendwo in der Südsee handelt und vor Inside Out gezeigt wird ist auch ganz großes Kino und eine super Einstimmung auf den Hauptfilm. Aber das ist nichts neues oder?
Man könnte also sagen: Die Minions müssen sich warm anziehen. Müssen sie aber nicht, Inside Out kommt leider erst am 1. Oktober 2015 in die deutschen Kinos.
Ich habe den Film bei der Pressevorführung im englischen Original und in 3D geschaut. Wie bei den meisten Animationsfilmen ist das 3D hier auch in der Tat eine Bereicherung, auch wenn ich persönlich eher 3D-Gegner bin und 3D nach wie vor für eine der dümmsten Erfindungen der Kino-Neuzeit halte.
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