Jack Reacher – der Film
Mit Tom Cruise zum Serienhit?
Als vor ungefähr zwei Jahren die Bombe platze, ging ein kollektiver Aufschrei durch die weltweite Fangemeinde: »Tom Cruise als Jack Reacher? Das kann doch nur ein Scherz sein!« War es aber nicht. Vater der Erfolgsfigur Lee Child stand von Anfang an hinter der Besetzung. Geben wir dem Scientologen Nummer 1 also eine Chance und schauen uns das Ganze an, sagte sich Reacher Creature und Fischpott-Autorin Britta.
One Shot – Sniper
Es gibt vier Gründe, zum Militär zu gehen. Einer davon ist die Legitimation zu töten. James Barr (Joseph Sikora) hatte fünf Jahre lang dafür als Scharfschütze trainiert, zweitausend Schüsse pro Woche. Nicht einer davon galt einem Feind. Desert Storm fand ohne ihn statt. Also exekutierte er nach dem Krieg vier US-Soldaten. Einfach so. Weil er es konnte. Für Jack Reacher, seinerzeit noch Militärpolizist, war dies einer seiner härtesten Fälle. Als er ihn gelöst hatte, blieb ihm der Erfolg verwehrt. Politische Entscheidung. Die Opfer waren selbst Kriegsverbrecher, das durfte nicht publik werden. Vierzehn Jahre später erfährt der Ex-MP aus den Nachrichten, dass James Barr wieder getötet haben soll. Diesmal sind es Zivilisten, sechs Schüsse mit fünf Toten. Sofort macht sich Reacher auf den Weg, ein altes Versprechen einzulösen. Als er eintrifft, findet er eine lückenlose Beweiskette und James Barr im Koma vor. Für das Koma sind Gefängnisinsassen verantwortlich, für die Beweiskette ein Mann namens »Der Zec« (russisch für Gulaghäftling, Werner Herzog) mit seinen Erfüllungsgehilfen. Der Film macht daraus kein Geheimnis. Wo das Buch lange an der Theorie festhält, James Barr sei auch hier der Attentäter, spielt der Film von Anfang an mit offenen Karten.
Dichte Dramaturgie
Dramaturgische Verdichtung kann eine feine Sache sein. Drehbuchautor und Regisseur Christopher McQuarrie (»Die üblichen Verdächtigen«) hat hier einen sehr guten Job gemacht. Aus den Schwächen des Buches entwickelt er die Stärken des Films. Wozu sich lange mit der Frage aufhalten, warum der vor vierzehn Jahren so umsichtige James Barr nun eine solche Beweiskette hinterlässt? Warum nicht gleich nach den Opfern fragen und zügig feststellen, dass das Attentat nur einer der fünf Personen galt, der Rest nur der Verschleierung? Immerhin muss Christopher McQuarrie seine Hauptfigur respektabel einführen. Auch das löst er noch dichter als die Vorlage: Gerade noch unterhalten sich Staatsanwalt Rodin und Chefermittler Emerson über ihn. »Get Jack Reacher« war die einzige Äußerung von James Barr, bevor er krankenhausreif geprügelt wurde. Leichter gesagt als getan, stellen die Bürokraten fest. Wer keine feste Adresse hat und keiner Arbeit nachgeht, sich sein Geld per Postanweisung zuschicken lässt und noch nicht mal einen Führerschein besitzt, ist schwer zu kontaktieren. Doch dann geht die Bürotür auf und der Unauffindbare steht plötzlich vor ihnen. Einzig die Tochter des Staatsanwaltes und Rechtsvertreterin des vermeintlichen Attentäters Helen Rodin kann Reacher davon abhalten, direkt in den nächsten Bus zu steigen. James Barr liegt bereits überführt und halbtot im Krankenhaus, was soll er dann noch hier?
Fehlende Frauenpower
Dramaturgische Verdichtung hat aber auch ihren Preis. Hier fallen ihr drei Frauenrollen zum Opfer. Die beiden verbliebenen – neben Helen Rodin (Rosamund Pike) ist dies noch Autoteile-Verkäuferin und Möchtegern-Kriminelle Sandy (Alexia Fast) – liefern einen sehr guten Job ab. Zwischen Helen und Reacher funkt es gewaltig, und Sandy ist so naiv, wie ein Teenager nur sein kann. Sie können aber nicht kompensieren, was Barrs Schwester Rosemary, Journalistin Ann Yanni und selbst die Nebenfigur Brigadier General Eileen Hutton der Story geben. Letztere bietet Reacher zwar nur eine nette Nacht mit der Option, am Morgen danach vor ihr wegen des höheren Rangs salutieren zu dürfen (ein Zitat aus »Eine Frage der Ehre«, unter anderem mit Tom Cruise). Rosemary Barr und Ann Yanni aber stellen für Reacher-Stories sehr typische Frauenfiguren dar. Reacher-Frauen sind, selbst wenn sie seiner Hilfe bedürfen, immer stark: Sie wissen, was sie wollen, kämpfen für ihre Ziele mit ihren Mitteln und wachsen im Zusammenspiel mit Reacher über sich hinaus. So bilden sie im Buch mit der Hauptfigur im großen Showdown ein Team. Durch den muss sich Tom Cruise nun alleine kämpfen, einzig Ex-Marine Cash (Robert Duvall) steht ihm mehr oder weniger hilfreich zur Seite.
Kleiner Mann ganz groß?
Statt für Frauen Power hat sich Christopher McQuarrie für mehr Reacher Power entschieden. Wenngleich der Film in Sachen Gewaltdarstellung moderat bleibt und eher von gelungenen Dialogszenen zwischen Reacher und Helen Rodin lebt, gönnt der Regisseur seinem Hauptdarsteller mehr Prügelszenen als nötig. Dies mag zum einen dem vermuteten Zeitgeist entsprechen, hat meines Erachtens aber hauptsächlich mit der Profilierung von Tom Cruise zu tun. Wo die fiktive Figur ob seiner hünenhaften Ausmaße (125 kg bei einer Größe von 1.96 m und einem Brustumfang von 127 cm) einfach nur auftauchen muss, um sich Respekt zu verschaffen, wirkt der kleingewachsene Tom Cruise wenig beeindruckend. Da hilft es auch nicht, dass sich er sich alle Mühe gibt, möglichst breitbeinig durch den Film zu stiefeln und coole Sprüche von sich zu geben. Ergo muss er zur Schau stellen, was er kann. Das macht er durchaus gut und effizient. Im Vergleich zur Vorlage aber wirkt es durchschnittlich. Der Reacher, den Fans kennen, bewegt sich bei Schlägereien viel weniger als seine Gegner und obsiegt im allgemeinen wegen seiner Kraft sowie seiner Kenntnisse in Sachen Anatomie und Kinetik. Und weil er der Regel folgt, immer als erster zuzuschlagen. Umgekehrtes gilt für die analytischen Fähigkeiten der Figur. Tom Cruise beweist immer wieder, welch überragende Auffassungsgabe er hat. Die Seriennummer des einmal gesehenen Gewehrs? Für den Zahlenfreak kein Problem. Die Erkenntnis, welches der fünf Opfer das eigentliche Ziel war, zaubert er aber förmlich aus dem Hut. Das wirkt selbst für Reacher-Verhältnisse aufgesetzt. Der ist zwar extrem clever, muss sich Erkenntnisse aber meist hart erarbeiten. Tom Cruise scheinen sie zuzufallen.
Als Durchschnittlicher ist er gut
Jack Reacher hat seine eigene Facebook-Seite. Auf facebook.com/JackReacherOfficial/ unterhalten sich Fans aus aller Welt nun seit dem Filmstart über die Besetzung und sind uneins. Daran wird sich wahrscheinlich auch in den folgenden Wochen kaum etwas ändern. Wer die Romane nicht kennt, dem kann das egal sein. Bleibt die Frage, ob man den Film dann überhaupt sehen muss. Zu unentschlossen wirkt er, gibt als Actionfilm zu wenig her und erscheint als reine Crime Story für viele wahrscheinlich zu schonungslos. Selbst ausgemachte Tom Cruise Fans, die die Vorlage nicht kennen, müssen sich wundern, warum er hier eine Rolle gewählt hat, in der er seine Qualitäten als drahtiger und schneller Akrobat gar nicht ausspielen kann. Stattdessen versucht er etwas zu sein, dass er niemals sein kann. Letztlich gilt so für den Film als auch für Tom Cruise genau dasselbe wie für die Figur James Barr. Reacher sagt über ihn, dass er nicht der Schlechteste war, aber auch nicht der Beste. Als Durchschnittlicher war er gut. Ob das für eine Kinofilmserie reicht, werden die Einspielergebnisse der nächsten Wochen zeigen. Im Zweifel hilft vielleicht eine Neubesetzung.