Kraftklub – Keine Nacht für Niemand (2017)
Keine Nacht für Niemand ist nicht nur Kraftklubs schlechtester Albumtitel bisher, sondern auch deren schlechtestes Album. 12 Songs, von denen kaum einer glänzen kann, keine weiteren B-Seiten; das ist einfach ein bisschen wenig. Und doch sieht man das den sympathischen Karl-Marx-Städtern irgendwie gerne nach.

Am 16. März 2017 konnten die Facebook-Follower von Kraftklub einer allzu protzigen Inszenierung beiwohnen: Über neun Stunden sahen Sie in einem Livestream, wie Arbeiter ein überdimensioniertes „K“ – Markenzeichen der Band, die sich eben nicht Kraftclub, sondern Kraftklub nennt – aufbauten, nur damit man es dann innerhalb von drei Minuten wieder abbrennen sieht: Nämlich zur Vorstellung ihres neuen Songs „Dein Lied“. Die damit verbundene Ansage: Wir sind wieder da. Niemand (außer Die Ärzte) hätte sich getraut, mit solch einem Krawall aus der Pause heimzukehren.
„Dein Lied“ wiederum war keine schlecht gewählte erste Singleauskopplung; musikalisch anders als alles, was Kraftklub bis dahin gemacht haben – ruhige Streicher, langsamer Gesang im Refrain, wenig Livetauglichkeit – garniert mit einer textlichen Provokation („Du verdammte Hure, …“), über die man natürlich sprechen würde. Auch wenn Sänger Felix nach wie vor behauptet, er habe damit nicht gerechnet und dabei noch altklug in jedem Radiointerview den Unterschied von Autor und lyrischem Ich erklären darf.
Was man zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: Allzu viel Gutes würde dem nicht folgen. Zwischen dem Comeback im März und der Veröffentlichung des neuen Albums „Keine Nacht für Niemand“ am 2. Juni wurden noch recht eng getaktet die weiteren Singles „Fenster“ und „Sklave“ veröffentlicht. Letzteres eine unterhaltsame Depeche-Mode-Nummer mit expliziter Ärzte-Hommage („Ich sage ja, ich meine nein / Lass mich Dein Sklave sein“) und ersteres ein klares politisches Anti-AfD-Statement, welches musikalisch allerdings nicht so recht zu überzeugen weiß. Wobei: Den letzten Refrain singt kein geringerer als Farin Urlaub, was durchaus als Ritterschlag verstanden werden darf, denn der große Blonde mit dem breiten Grinsen leiht seine Stimme nun wirklich nicht jedem.
Es ist natürlich cool und auch richtig, dass Kraftklub aus dieser „Politik is für’n Arsch“-Nummer rausgewachsen sind.1 Sie sind sogar von einer reinen Partyband (erstes Album „Mit K“) ziemlich schnell zu einem gewissenhaften Sprachrohr der jungen Linken geworden, und das, ohne dabei peinlich zu werden. Sie haben nach den Ausschreitungen in Chemnitz letzten Sommer spontan ein Antinazi-Festival auf die Bühne gestellt und sind dabei nicht nur selbst aufgetreten, sondern haben auch noch unter anderem Marteria, die Hosen und Feine Sahne Fischfilet mobilisiert. Keine Frage: Die Jungs sind engagiert und bereichern die deutsche Hip-Hop/Punk-Szene ungemein.
Für eine Band jedoch, die sich in der Promophase des Albums als der Inbegriff der Provokation vermarktete und sich von „Menschen Leben Tanzen Welt“ absetzen wollte,2 ist es dann doch etwas dünn, „Du verdammte Hure“ zu schreien und rechten Verschwörungstheoretikern zu empfehlen, aus dem Fenster zu springen: Ja, „Dein Lied“ wurde nicht im Radio gespielt. Ja, die Selbstmordempfehlung für Nazis geht vielleicht etwas weit. So richtig gestört haben diese beiden Songs vermutlich aber auch keinen. Zumal die „Lügenpresse“, „Chemtrails“ und Gutmenschentum in weiten Teilen der Gesellschaft keine umstrittenen Themen sind. Im Vergleich zum bisher besten Kraftklub-Lied „Schüsse in die Luft“ vom zweiten Album In Schwarz fällt „Fenster“ dann doch deutlich ab. Und auch der Rest des Albums kommt eher brav daher:
„Die Band mit dem K“ ist ein verlängertes Intro mit einigen Eigenreferenzen. Ein solider Auftakt mit mancher Selbstüberhöhung – so wie auch die Onkelz jedes ihrer Alben beginnen. „Leben ruinieren“ lässt dann schon erahnen, dass das Album nicht gerade zu einem Festival an tauglichen Livesongs verkommt, wenngleich „Chemie Chemie Ya“ und „An Dich“ etwas mehr auf die zwölf gehen und vor allem letzterer Song sich gegen Ende deutlich steigert und bis zum Ende der stärkste Track des ganzen Albums bleibt. Es folgt eine längere Durststrecke, denn „Fan“ ist zwar textlich ganz interessant, aber zu ruhig, „Hausverbot“ ist belanglos und sicher das schlechteste Lied, das Kraftklub bisher rausgebracht haben, und „Dein Lied“ und „Sklave“ kannte man ja vorher schon. Die letzten drei Lieder sind hörbar und stimmen gegen Ende ein Loblied auf das Feiern, das Erleben, den Genuss an. Wider die Lohnarbeit! …aus dem Munde von Rockmusikern aber vielleicht auch nicht unbedingt die überzeugendste Botschaft. Und wie gesagt, mehr gab’s dann auch nicht. Keine B-Seiten, keine Hidden-Tracks, keine Deluxeversion. Man ist von den Ärzten und ihrem gigantischen Output früherer Jahre ja vielleicht etwas verwöhnt, aber „nur“ 12 Lieder von einer ambitionierten jungen Band in drei Jahren? Das grenzt ja schon an Rammstein.
Nach diesem ganzen Rumgemecker muss man dann auch wieder sagen: Keine Nacht für Niemand ist ein gewagter Schritt. Weg von der „wir sind die Jungs aus’m Osten“-Authentizität, weg vom Besser-Schneller-Lauter, das nur für die Bühne produziert wird. Das Album ist abwechslungsreich, zum Teil recht tanzbar und verspielt. Es erinnert mich ein bisschen an die Runter mit den Spendierhosen, Unsichtbarer! von Die Ärzte: Da haben die damals ein rundherum verrücktes, grandioses Album produziert, ein Text witziger als der andere, und ich war damals völlig enttäuscht. Warum? Weil’s anders war als die 13, das Studioalbum zuvor, welches ebenfalls grandios, aber einfach ein sehr gradliniges Rockalbum war. Vielleicht sehe ich das dritte Kraftklubalbum in ein paar Jahren noch ganz anders.
Aber vielleicht zählen die Jungs von Kraftklub das Songschreiben und die Arbeit im Studio auch einfach nicht zu ihren liebsten Tätigkeiten. Was auch halb so schlimm wäre, denn sie sind ja eine grandiose Liveband: Sie spielen lange (zwei Stunden Minimum, bei bisher drei Alben), lassen sich immer was einfallen (Lieder-Glücksrad, Crowdsurfing) und Frontmann-Flummi Felix hat ohnehin nach zwei Minuten jede Menge für sich gewonnen. Zudem organisieren sie noch ihr eigenes Festival3 und – last, but not least – zwei von ihnen haben ihre eigene Radiosendung, die schon seit einigen Jahren jeden letzten Sonntag im Monat u.a. auf MDR Sputnik, EinsLive, Radio Fritz und als Podcast zu hören ist.4 Zwei Stunden lang kommen Felix Brummer und Steffen Israel von Hölzken auf Stöcksken, stellen brandneue Lieblingssongs vor, aber diskutieren auch in erstaunlicher Tiefe gesellschaftliche Ereignisse. Hörenswert!
1https://www.laut.de/Kraftklub
2Jan Böhmermann entwarf „Menschen Leben Tanzen Welt“ als Zusammenfassung nichtssagender deutscher Popsongs, u.a. von Max Giesinger. Dazu veröffentlichte er eine eigene Parodie auf dieses Genre: https://www.youtube.com/watch?v=h8MVXC_hqNY
3https://www.kosmonaut-festival.de/
4https://www.sputnik.de/podcasts/sputnik-radio-mit-k/radio-mit-k–100.html