Mein Leben als Dosenöffner von Mario Ludwig
Aus dem Alltag eines Katzenbesitzers
Wahrscheinlich ist es gar nicht so unangenehm aufgefallen, wie ich es empfunden habe. Aber in der Tat habe ich in diesem Jahr kaum etwas zu unserem Kulturblog beigetragen. Gründe dafür gibt es einige. Einer heißt Luz (aka Bärchen). Meine samtpfötige Mitbewohnerin war im Frühjahr bei mir eingezogen und hat seitdem hier das Sagen. Als unerfahrene Dosenöffnerin musste ich mich da erst mal ganz schön umschauen und bin auch jetzt noch dankbar für passende Fachliteratur. Zuletzt konzentrierte sich mein Studium auf Mein Leben als Dosenöffner von Mario Ludwig. Und schon kommt der Fischpott ins Spiel: Glossig-wissenschaftliches Werk über Katzen und ein Pott voller seltsamer Fische? Passt perfekt!
Sex and the City mit Katzen
Mein Leben als Dosenöffner basiert auf einer Kolumne, die der Biologe Mario Ludwig für die Zeitschrift Ein Herz für Tiere geschrieben hatte. Im gewissen Sinne lässt das den Vergleich zu Sex and the City zu. Immerhin hatte auch Carrie Bradshaw mit ihrer Kolumne so viel Erfolg, dass daraus ein Buch wurde. Hier enden aber auch schon die Ähnlichkeiten. Die kastrierten Hauptfiguren der Katzenglosse haben keinen Sex mehr, und der Buchtitel ist vergleichsweise unaufregend. Um nicht zu sagen: fast ein bisschen langweilig. Mario Ludwig hat zudem weit mehr veröffentlicht. Mehr als die Serienfigur und sicher auch mehr, als seine Katzen an Erzählstoff jemals hergeben können.
Insgesamt 36 Kurzkapitel plus eine Art Vorwort umfasst dieses Werk der Katzenliteratur. Einige entstammen der Kolumne, andere gesellen sich neu hinzu. Wissenschaftliche Erkenntnisse runden das Angebot ab. Im Zentrum stehen aber seine beiden Protagonisten. Da ist das schlaue, ewig schlecht gelaunte Pünktchen, eine reichlich übergewichtige Katzendame im reiferen Alter. Zu ihr gesellt sich Spikey, der George Clooney unter den Katern, der allein intellektuell nicht mit seinem Vorbild mithalten kann und deshalb auch den Beinamen Unterhosenmodel trägt. Nur in den Nebenrollen tauchen der Autor und seine Frau auf. Wobei beide nicht allzu gut wegkommen. Aber das entspricht ja auch ihrer Bedeutung als sogenannte Dosenöffner.
Katzen würden wohl doch keine Mäuse kaufen
Laut Statista (und auch laut Mario Ludwig) leben rund 13 Millionen Katzen in Deutschland. Damit sind sie die beliebtesten Haustiere hierzulande. Ungefähr acht Millionen Menschen bieten Katzen ein Zuhause, ein Drittel von ihnen dient gleich mehr als nur einer Samtpfote. So verwundert es nicht, dass ich nun, da ich dieser glücklichen Gemeinschaft angehöre, ständig auf andere Katzenhalter treffe. Ich hatte schon Kunden, die mit mir am Ende eines Termines Fotos ausgetauscht haben. Oder traf im Drogeriemarkt auf Mitarbeiterinnen, die mit mir die Frage diskutierten, ob es tatsächlich Süppchen für Katzen geben muss. Würden die nicht eigentlich nur Mäuse kaufen?
Nein, würden sie nicht. Eine von vielen Fragen, die Mario Ludwig in seinem Buch klärt. So toll schmecken Mäuse offenbar gar nicht. Der Vorteil an Mäusen ist nur, dass sie durch ihr hektisches Fluchtverhalten den Jagdinstinkt anregen. Sofern einer da ist. Für geborene Jäger liegt darin der Spaß. Das Futter hingegen kann dann gerne hochkalorische Astronautenkost sein, auch bekannt als Trockenfutter, in Geschmacksrichtungen wie Hühnchen, Pute, Thunfisch oder Rind. Mäuse dürfen zudem gar nicht zu Katzenfutter verarbeitet werden. Und selbst wenn: Es würde sich nicht lohnen. Ist ja nicht viel dran an so einer Maus.
Für andere wie meine Luz hingegen ist das Betteln ihr Jagen. Ob nun stumm vor der Küchentür wartend oder mich empört und lautstark vom Küchentisch aus zurechtweisend, Luz hat so ihre Strategien. Und die sind weit weniger anstrengend für sie als die Jagd. Zielführend ist es allemal. Das Bärchen hat mich schon gut erzogen.
Vom Pieseln und Kacken
Nicht alle Kapitel haben meine Lachmuskeln gleichermaßen strapaziert, amüsant sind sie aber allemal. Amüsant und damit ein Fest für alle Katzenbesitzer, die sich mit sehr vergleichbaren Geschichten und Problemen herumschlagen. Ich meine, wer hat noch nicht von sogenannten Protestpinklern gehört? Laut Mario Ludwig weiß das Pünktchen jedenfalls ihren Urin sehr zielgerichtet einzusetzen.
Begonnen hatte alles mit der neuen Frau des zuvor alleinstehenden Nachbarn, bei dem Pünktchen immer ihr zweites Frühstück eingenommen hatte. Dann erschien plötzlich diese ungeliebte Andere. Das konnte die betagte Katzendame natürlich nicht akzeptieren. Weshalb sie eines Tages (und dies mit großer Geste) in die Handtasche ebendieser Frau pieselte und feststellte, dass man damit angemessene Aufmerksamkeit erhält. Fortan war keine Handtasche mehr vor dem Pünktchen sicher.
Spikey hingegen liebt das Kacken vor Publikum. Sehr zum Ärger der benachbarten Gartenbesitzer. Denn natürlich scharrt und kackt es sich im weichen Blumenbeet des Nachbarn weit angenehmer als im häuslichen Katzenklo. Zudem muss man als Kater ja auch das Revier sichern. Eine ordentliche Portion mit der passenden Duftnote informiert die Kollegen in der Nachbarschaft, wer hier das Sagen hat. Die verärgerten Gartenbesitzer jedenfalls mal nicht. Denn solange eine Katze kein Kinderspielzeug verunreinigt, müssen Nachbarn mit mehr oder weniger verscharrtem Katzenkot leben. Dies zumindest erläutert der Ehemann einer Rechtsanwältin in seinem Buch.
Auch Luz und ich könnten so einiges zu diesem Themenkomplex beitragen. Gefühlt wird mein Leben als Dosenöffner hauptsächlich durch den werten Stuhlgang meiner Kampfschmuserin bestimmt. Um nicht völlig den Überblick zu verlieren, führe ich mittlerweile für sie sogar einen Kacke-Kalender. Mit so wunderbaren Einträgen wie »vormittags, 2 Zigarren und viele kleine Eier« und der Markierung, dass dies unter zusätzlicher Gabe von Kürbispüree geschehen ist. Oder unser hingebungsvolles Training im Synchronpinkeln. Perfektion lässt sich in dieser anspruchsvollen Disziplin natürlich nur erreichen, wenn das Katzenklo wie bei uns direkt neben der Menschentoilette steht.
Oh Gott, es ist Pünktchen!
Mein Leben als Dosenöffner liefert so einige Momente, in denen ich während des Lesens laut lachen musste. Auch wenn mir das Lachen manchmal ganz schnell im Halse steckenblieb. So zum Beispiel bei der schlimmen Thematik Tierarztbesuch. Während Spikey offenbar die Aufmerksamkeit der Arzthelferinnen genießt und sich in der Praxis schon alle auf den Charmeur freuen, heißt es bei seiner Mitbewohnerin nur: »Oh Gott, es ist Pünktchen!« Ich nehme an, dergleichen würde man auch in der Tierklinik ausrufen, in der Luz zuletzt als Patientin war, sollten wir dort noch einmal erscheinen. Einen passenden Eintrag in ihrer Akte gibt es auf jeden Fall.
Eine Erfahrung, die mein Leben als Dosenöffner einer reinen Wohnungskatze nicht hergibt, ist die der allzu großzügigen Geschenke. Mehr oder weniger tote Mäuse oder Vögel in der Küche oder auf dem Kopfkissen musste ich noch nicht entsorgen. Entsprechend musste ich mir auch noch nie die quälende Frage nach Sterbehilfe für diese armen Geschöpfe stellen. Durch die Ludwigsche Nachbarschaft allerdings dürfte regelmäßig auch ein mäusisches »Oh Gott, es ist Pünktchen!« gehallt sein, solange das Pünktchen noch als Jägerin unterwegs war. Streift hingegen Spikey durch sein Revier, kichern die Mäuse wahrscheinlich nur. Geschenke für seine Dosis beschafft er nämlich nicht selbst. »Don Corleone« Spikey lässt beschaffen.
Kein Kind kann meine Katzen ersetzen!
Eine wirklich schöne Antwort auf die immer beliebte Anspielung, die Samtpfoten seien doch nur Kinderersatz, bietet Mario Ludwig gleich zu Beginn. »Kein Kind kann meine Katzen ersetzen« hat das Potential zu einem geflügelten Wort. Doch so sehr mir dieses Statement gefällt (und so wenig ich die stereotype Anspielung auf den Kinderersatz leiden kann), eine elternartige Rolle nimmt man dann ja doch irgendwie ein.
Luz ist nicht mein Kind. Luz ist nicht eingezogen, um eine wie auch immer geartete Lücke zu schließen. Umgekehrt hat mir die Frage, ob ich dem Bärchen ein Zuhause bieten mag, schlaflose Nächte bereitet. Immerhin reden wir hier von einem Geschöpf, das vollends von mir abhängig ist. Und dem ich es gestatte, ein Gutteil meines Lebens zu bestimmen. Binnen weniger Wochen ist dann eine Bindung entstanden, die eine ungeahnte Fürsorglichkeit in mir geweckt hat. Wenn das eine/r mamaartig nennen will – so what!
Ohnehin kommt es sowieso nur darauf an, was meine Katze von mir denkt. Stimmt doch, Herrin, oder? – Miau.
Mein Leben als Dosenöffner von Mario Ludwig ist 2018 im wbgTHEISS Verlag erschienen.