„Das Weib ist ein mit weißem Marmor belegtes Brötchen.“
zum 101. Geburtstag von Meret Oppenheim
Kritik zum filmischen Portrait von Daniela Schmidt-Langels
1983 – Die 70jährige Künstlerin in ihrem Atelier: zu große Männerklamotten, schnörkellose Bewegungen bei der Arbeit, wie ein Bauer auf dem Feld. Die graue kurzstoppelige Frisur, fast ein Spiegelbild ihrer berühmten, mit Fell bezogenen Tasse. Scheinbar uneitel, nichts ist hier dem Zufall überlassen. Ihr Auftreten steht in völligem Kontrast zum damaligen Frauenbild, auch konträr zu den Phantasien, die man von der erotischen Muse der großen Surrealisten wie Hans Arp, Max Ernst und Alberto Giacometti hat. In gewöhnungsbedürftigem Schwiizerdütsch spricht die Künstlerin über das Kunstmachen, weniger über die Kunst selbst. Das scheint ihre Arbeit auszumachen. Die Festlegung auf einen Stil oder das Schwimmen mit der Welle bedeutete für sie Stillstand und meistens Anlass zur Flucht.
Ein Gastbeitrag von Christiane Strauss.
Stationen ihres Lebens
Die Regisseurin präsentiert in ihrer filmischen Biographie eine beeindruckende Sammlung an erlesenen Zeitdokumenten, die sie gekonnt und sensibel aneinanderreiht.
- Paris: Kokett und verwegen, „das Meretlein“ 1 im Dialog mit Man Ray in einem kurzen Filmausschnitt aus „Poison“. Als schöne Nackte an der Druckerpresse löst sie 1934 einen Skandal aus.
- beschwichtigende Zeilen eines C.G. Jung an Oppenheims Vater, als Antwort auf dessen Sorge über die Andersartigkeit seiner Tochter:
„ … ich glaube nicht, dass der Fall allzu schlimm liegt (…) das künstlerische Temperament einerseits und die jugendliche Desorientiertheit eines Zeitalters, dass die Vernünftigkeit des 19. Jahrhunderts wettmachen muss, sind wohl genügende Erklärung für die Unkonventionalität des Standpunktes. Ich habe auch den Eindruck, dass der Kampf mit den Realitäten bei der natürlichen Intelligenz Ihrer Tochter in wenigen Jahren einen Ernst hervorbringen wird, welcher auf eine genügende Anpassung an die Mächte der Wirklichkeit hoffen lässt.“ - schon im Jahr seiner Entstehung wird Frühstück im Pelz 1936 vom Museum of Modern Art angekauft und macht die damals 23jährige zur Ikone des Surrealismus.
- Kindheit und Jugend der Künstlerin. Eine runde Collage aus alten Fotos und Dreharbeiten im badischen Heimatort Steinen – die Oppenheimsche Villa an der Eisenbahnstraße, die Alte Schule und das Gartenhaus der Familie in Hägelberg.
- Anekdoten und Bilder aus den Pariser Cafés der 30er Jahre – durchgeknallte Surrealisten, die uns heute etwas harmlos vorkommen.
- Filmdokumente der Berner Kunstszene – Daniel Spoerri, die Bürgis, Lilly Keller
- Das Tessiner Haus der Familie, welches Meret wieder zu Glanz erweckt. Räume, die aus der Vergangenheit in der Gegenwart erwachen. Dokumentarisches mit Gegenwärtigem zu einem dichten Gewebe gesponnen.
Die facettenreiche Präsentation bettet die wichtigsten künstlerischen Arbeiten Oppenheims in den historischen Zusammenhang. Frau Schmidt-Langels versteht ihr Handwerk. Vorgelesenes aus Träumen und Gedichten hinterlegt sie geschickt mit Bildern:
Nationalsozialistische Truppen marschieren im Takt eines Oppenheimschen Gedichts – die jüdische Familie flieht 1932 in die Schweiz. Ein ausgestorbener Schlachtraum lässt Platz für die eigenen Bilder zum Traum des „Menschenschlachthauses“. Highlights sind die abgefilmten Briefe mit wunderbaren Illustrationen, welche die Nichte Lisa Wenger in jahrelanger Arbeit zusammengetragen hat.
Dazu Statements der Kuratorinnen und Herausgeberinnen, der Freunde und Verwandten. Man spricht in vertrautem Ton über Meret, als hätte man sie gestern noch bei Kaffee und Kuchen gesehen. Sie wissen, wie sie war, kennen ihre Gedanken und Beweggründe. Eine eingeschworene Clique, die einen klaren Konsens erreicht hat. Männer kommen hier kaum zu Wort.
Leider vertrocknet die deutliche Erotik in Oppenheims Werk zwischen den Erzählungen und der weiblichen Bewunderung des Idols. Depression scheint hier salonfähiger zu sein. Die Fährte wird nicht aufgenommen. Keine ihrer homoerotischen Beziehungen wird auch nur am Rande erwähnt. Anstatt dessen liegt das Gewicht auf ihrer fast aufopfernden Beziehung zu dem Musiker Wolfgang Laroche, der sich nach langjähriger Depression das Leben nimmt.
„Ein seltsamer Schlaftablettenfilm. Schade.“ kommentiert Pony 2 die Erstausstrahlung des Künstlerinnen-Portraits anlässlich ihres hundertsten Geburtstages auf arte. Dies bleibt auch die einzige Reaktion in der mittlerweile geschlossenen Kommentarfunktion.
Für mich nachvollziehbar, wenn man sich durch die tropfende Begleitmusik, die gewohnheitsmäßig Traum und Depression suggeriert, vom Inhalt ablenken lässt. Herbstlich karg zieht sich eine depressive Stimmung durch den gesamten Film, die nur zum Schluss etwas feierlicher daher kommt. Ein paar Sonnenstrahlen mehr wären schön gewesen.
Die 55minütige Doku der Autorin und Regisseurin Daniela Schmidt-Langels bedient wahrscheinlich nicht unbedingt den Geschmack der gemeinen Fischpott-Leserschaft, aber guckt euch das mal an. Wer daran interessiert ist, mehr über die Surrealistin und ihre Zeit zu erfahren, bekommt mit geschickt zusammengebauten Zeitdokumenten einen guten Abriss der Epoche von den Wurzeln des Surrealismus bin hin zur Nachmoderne. Heute gesehen wirken die Werke der Oppenheim wenig revolutionär, ihre Wirkung auf die erstarrten 50er war damals enorm.
Eckig, trotzig, manchmal streng und nicht unbedingt sympathisch kommt die Künstlerin daher. Auch ich kann mich der Bewunderung für Frau Oppenheim nicht entziehen.
So 70jährig möchte ich auch mal sein.
Disclaimer: Fischpott hat ein Rezensionsexemplar der DVD Meret Oppenheim – Eine Surrealistin auf eigenen Wegen von der absolut Medien GmbH erhalten.
- Zitat von Max Ernst „wer überzieht die Suppenlöffel mit kostbarem Pelzwerk? Das Meretlein. Wer ist uns über den Kopf gewachsen? Das Meretlein.“ anlässlich für die Einladungskarte zu Oppenheims erster Einzelausstellung 1936 in Basel. ↩
- Link zu arte (via Wayback Machine) ↩
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