Oh nee, Boomer!
Er nennt das Ding beim Namen: „Sie sind scheiße.“ Damit meint der Autor jene Leute fortgeschrittenen Alters, „die sich wie Arschlöcher verhalten und zugleich echte Arschlöcher sind“. Und die beneidet er wegen ihres Lebens im Einklang mit sich selbst. Was ihm nicht gegeben ist. So beginnt sehr früh im Buch Oh nee, Boomer! ein Hohelied des Selbstmitleids: Ich, Uli Hannemann, kann eigentlich gar nichts dazu, dass ich von den Jüngeren ins Fach mit der Wegwerfware sortiert wurde.
Wer es nicht weiß: Den Boomer gibt es noch gar nicht sehr lange, zumindest nicht unter diesem Namen. Er hat Schuld auf sich geladen, indem er pauschal und abfällig über die Jugend urteilte und den Widerwillen zum Hals raushängen ließ. Wer seid ihr schon, was wisst ihr denn, habt ihr überhaupt gedient? Die Packung dafür gab es spätestens 2019, als zunehmend auffiel, dass es die Generation Baby Boom war, die ständig was zu maulen hatte. Das führte zum Meme „OK Boomer“, gedacht mit dem Zusatz „wir haben es gehört, jetzt halt die Fresse und lass uns mal ran“.
Am Beginn einer Strecke von 60 kurzen Kapiteln lässt Hannemann biestig wissen, was er von denen hält, die ihn nach Adam Riese überleben werden. Und das ist ja schon mal eine Scheißvision. Ausgerechnet ihnen das Feld überlassen? Sie werden entscheiden, was aus seinem Fußballverein wird und ob die Innenstadt verödet. Sogar das Schicksal seiner Kakteensammlung und der deutschen Sprache liegt in ihrer Hand.
Aus tumbem Groll heraus drischt Hannemann eingangs auf die selbst gezeugte Brut ein. Doch dem plausiblen Präludium folgen Episoden mit kuriosen Verläufen, bei denen man gänzlich den Faden eines Zusammenhangs verliert. Einem alternden Mann widerfahren Dinge, die ins Absurde abgleiten, was aber oft nur aus der besonderen Boomer-Sicht auf die Dinge resultiert? Und dann endlich klingelt es: Hannemann, der taz-Kolumnist, muss seine Elba-Ordner gesichtet und alles rausgeangelt haben, was bisher nicht öffentlich zur Sprache kam. Flugs das Etikett „Boomer“ drauf, weil es im Jahr 2019 gerade Konjunktur hatte, und zack – die Sache schien zwischen zwei Buchdeckel zu passen. Nur dass der Leser zwei Ehrenrunden braucht, bis er sich einen Reim darauf machen kann.
Ja, man fühlt sich ein wenig verscheißert. Wie schön wären ein paar Texte über nächtlichen Harndrang, überbordende Bierwumpen, Rohrkrepierer beim Schäferstündchen und Wasser in den Beinen gewesen! Eben das ganze Arsenal der Peinlichkeiten, die erklären, woher der Groll des Boomers auf saftstrotzende Gangsta rührt. Doch wer sucht, der findet: Es gibt sogar diese satanischen Verse, jeweils zu orten über die Headline „Der Mann in der Andropause“. Damit ist der letzte Fisch zur Entschlüsselung des Buchinhalts gegessen, denn, ganz richtig, das männliche Gegenstück zur Menopause beherrscht Hannemanns taz-Kolumnen.
Fassen wir zusammen: Wir haben mit „Andropause“ aufgewärmte Zeitungsartikel, mit „Boomer“ ein griffiges Label für den unschuldslammigen Kotzbrocken und dazu als Rest vom Schützenfest eine Sammlung unveröffentlichter Schweißperlen aus dem Nachlass eines Untoten. Oh nee! Ein bisschen anstrengend ist das, wenn man von vorn nach hinten liest und per Checkliste prüft, ob es überhaupt noch um Generationenkonflikt und männliche Menstruationsbeschwerden geht. Lässt man sich aber treiben und liest einfach so, was zwischen die Kiemen passt, dann ist das Büchlein vergnüglich, zumal Hannemann erzählen kann. Ne, sorry, das sollte jetzt kein Reim werden, ein Gedicht schon gar nicht. Darum zum Abschluss noch mal das Kapitel mit dem Urologen und dem Finger im Aaaaaa …
Fischpott-Disclaimer: Wir haben ein Ansichtsexemplar des Buches vom Verlag erhalten.
Uli Hannemann: „Oh nee, Boomer!“. Berlin (Satyr Verlag) 2020, 192 Seiten, 14 €