Sex, Gewalt und Schmetterlinge
Der Horrortrip des Erwachsenwerdens
Inio Asano: Das Feld des Regenbogens (Manga, Tokyopop)
Noch vor einigen Jahren hat man sich als ‚Fan‘ brav beinahe jede Manga-Neuerscheinung zugelegt, egal wie hässlich, dümmlich und hanebüchen. Doch mittlerweile, so scheint es, wurde man als japanophiler Freund popkultureller Medien und Genres unlängst vom Manga-Tsunami, den emsige deutsche Verlage über uns gebracht haben, überschwemmt, weggespült und jeglicher Orientierung beraubt. Dabei sind sich die einzelnen Tröpfchen der Welle – um in der platten Metapher zu bleiben – häufig so sehr zum Verwechseln ähnlich wie sich Tröpfchen nur zum Verwechseln ähnlich sein können. Nichtsdestotrotz findet sich aber dann und wann eben doch – und Obacht, jetzt kommt die Pointe – eine Perle inmitten des generischen Stroms blendender Wassertropfen.
Das Feld des Regenbogens von Inio Asano sticht hierbei als besonders perlenhaft hervor.
Entsprechend der inhaltlich auf ein erwachsenes Publikum zielenden Thematik schreit die in schwarz gehaltene, geschmackvoll-nüchterne Aufmachung mit pinker Schrift und kleiner schwarzweißer Illustration fast schon wieder aufdringlich nach ‚Pop mit Anspruch‘ (die Hipstermischung). Prätentiös oder nicht: zugegebenermaßen konnte der schicke Band auch mich durch seine Optik (und Haptik) anlocken – ausnahmsweise noch einmal direkt vor Ort, in einem Comicladen, in Echtzeit, Real-Life und so weiter, ganz ohne Vorrecherche, bloß durch Stöbern.
Doch auch über den schönen Schein hinaus erweist sich Das Feld des Regenbogens als guter Fang für Manga-Lesende, jenseits der 25 Jahre, die Pokémon immer wieder gerne mal fangen, aber nicht auch noch darüber lesen wollen und denen Harem- und Loser-Comedies zu nah an die eigene Studenten-Realität gewachsen sind. Aber nicht nur Manga-Freunde, die ein wenig Anspruch dann und wann ganz erfrischend finden, auch japano-indifferente Comicenthusiasten und Verfechter des Begriffs ‚Graphic Novel‘ sollte Nijigahara Holograph – so der Originaltitel – einen Blick wert sein. Und schließlich qualifiziert sich das Werk sowohl inhaltlich als durch die bestechende Kürze von knapp 290 Seiten, veröffentlicht in einem einzelnen, handlichen Softcoverband, als waschechte Graphic Novel.
A propos Inhalt: Worum geht’s?
Es geht, wie so gerne bei Inio Asano, um den mitunter zermürbenden Prozess des Erwachsenwerdens, um Kindheit, Schule und natürlich die so häufig verborgene Mystik im Alltag. Die ersten Seiten wirken wie lose verknüpfte Gedanken: Zwei schreiende Babys, ein dunkler Gang, ein nicht identifizierbares totes Tier, dessen Kopf abgetrennt wurde, ein Junge, circa zehn Jahre alt, zeichnerisch eingefroren im Fall vom Schuldach. Und immer wieder Schmetterlinge. Kein Dialog, keine erkennbaren Zusammenhänge, nur der Schmetterling lässt eine Sequenz erkennen: nach und nach zerfällt er in seine Bestandteile.
Nun aber aufgepasst, wer Solanin gelesen hat wird überrascht sein: der ursympthische Stil von Asano, die eindringliche und realistische Charakterisierung, taugt auch für Horror und da kann man Das Feld des Regenbogens getrost einordnen. Hierbei zählt das Werk, dass ohne Monster und untote Schulmädchen mit langen schwarzen Haaren im Gesicht auskommt, eher zu der ‚psychologischen‘ Abteilung des Genres. Auf dem Regenbogenfeld und in der beschaulichen Kleinstadt drumherum ist nichts wie es scheint – so auch nicht die übernatürlichen Vorkommnisse. Passieren diese wirklich oder wird uns die verzerrte Sichtweise einer der verschrobenen (bis wahnsinnigen) Figuren präsentiert? Wechselnde Erzählerstimmen geben Aufschluss über die aktuelle Perspektive und durchziehen die wunderschönen, detaillierten Bilder mit düsterer Poesie, die über bloße Teenage Angst und jugendliche Selbstfindungsmelancholie hinausgeht.
„Neulich hatte ich mich verletzt und musste im Krankenhaus liegen. Gott war so traurig über mein Pech, dass er mir ein Geschenk gab. Diese kleine Blechdose hier. In der Dose … soll ein Zauber stecken, der mir einen einzigen Wunsch erfüllt. Egal, welchen. […] Heute könnte ich sogar … die Welt untergehen lassen.“
Dass die düstere Weltsicht nicht bloßes Gejammer ist, ist offensichtlich, denn es geschehen Morde. Die hier gewälzten Probleme entpuppen sich als ernsthafte Persönlichkeitsstörungen, die, wie die Schmetterlinge, in explosionsartiger Manier in dem kleinen verträumten Provinznestchen ans Tageslicht treten. Das Feld des Regenbogens ist kein konventioneller Horror, weder östlich noch westlich, erschreckt nicht mit Gore, Gewalt und Gespenstern sondern durch die unangenehm subtile Offenlegung menschlicher Abgründe und verborgener Traumata. Ein Fest an skurrilen Verhaltensweisen – und immer wieder schwenkt ‚die Kamera‘ zu einem unbeschriebenen, unbemerkten und unkommentierten Aspekt, der alles noch viel unangenehmer macht.
Zeichnerisch ist der Manga in einem sehr klaren und detailreichen, semi-realistischen Stil gehalten, medienspezifische Möglichkeiten finden gekonnt Einsatz. Gesagtes und Gezeigtes stimmen nicht immer überein, Hintergründe werden in Licht oder Schatten getaucht, Bilder werden fragmentiert, scheinbar Belangloses kommentarlos betont, Gesichtsausdrücke verdeckt. Es ist den Lesenden überlassen, aus den vielen Teilen ein Ganzes zu formen, Charakterprofile immer wieder zu ergänzen und Handlungsstränge zusammenzusetzen. Die voller kleiner Andeutungen steckende Erzählung macht die Lektüre enorm spannend und weiß immer wieder zu überraschen: Das hat er jetzt nicht wirklich getan? Das ist jetzt nicht wirklich passiert? Man ertappt sich immer wieder dabei, ein paar Seiten zurückzublättern, in überflogenen Panels nach Anhaltspunkten zu suchen, die einem vielleicht durch die Lappen gegangen sind.
Die facettenreiche Geschichte erzeugt sowohl Spannung als auch ein subtil unwohles Gefühl durch die fast nüchterne Darstellung der bizarren Charakterzüge ihrer Figuren. Es wird größtenteils auf David-Lynch-artige Absurditäten und Surrealismus verzichtet, jedoch bleibt beides nicht völlig aus. Die unterschiedlichen Darstellungsmittel – seien es surreale Momente, Erzählerstimmen, verschiedene Montagetechniken etc. – greifen flüssig ineinander und schaffen ein amorphes, aber in sich konsistentes Gebilde aus den Geschichten der einzelnen Figuren, ihrer Vergangenheit und Zukunft und der Umgebung, in der sie lebten und leben. Der vertrackten Story kann man gut folgen, den Faden verliert man trotz einer Vielzahl teils verknüpfter Erzählstränge und -zeiten erstaunlicherweise nicht. Doch egal, ob man am Ende erfolgreich den Überblick behalten konnte oder nicht, die Vielschichtigkeit der Handlung lädt zum Nochmallesen ein.
Die Akteure
Größtenteils sind es die nihilistischen (Selbst-)Reflexionen des am häufigsten in die Erzählerrolle schlüpfenden Suzuki, die den Lesenden offengelegt werden. Doch auch andere Figuren lassen uns dann und wann an ihren kontroversen Gedanken teilhaben. Genauso wenig wie einen dominanten Erzählstrang kann man einen im Mittelpunkt stehenden Protagonisten ausmachen. Ist es der sozial inkompetente, misanthropische Suzuki, die unglücklich verliebte Arakawa oder der brutale Komatsuzuki? Oder doch die komatöse Arie, die als Kind ihren Klassenkameraden mit dem prophezeiten Weltuntergang Angst gemacht hat?
Ach so, stimmt – Stichwort ‚Kind‘: Größtenteils dokumentiert Das Feld des Regenbogens die dunklen Gedanken und ‚versteckten Leichen‘ von Grundschülern. Doch seien wir mal ehrlich – sei es Friedhof der Kuscheltiere, Das Omen, Shining oder diverse japanische Horrorfilme à la The Grudge: Wir wissen nur allzu gut, dass Kinder gruselig sind! Und Asano schafft es, den Horror, den Kinder bereits ohne Satanismus, bösen Zauber, alte Indianer oder graublauen Wasserleichen-Teint verbreiten können, eindrucksvoll zu vermitteln. Letztlich wird uns aber, so könnte man ein bisschen kühn behaupten, wieder einmal bloß vor Augen geführt, welche psychischen Leiden Mobbing im Kindesalter mit sich bringen kann und was aus Opfern als auch Tätern wird. Naja, wissen wir ja eh: Verrückte, Massenmörder, Kettensägenschwinger und Sexualstraftäter (sowie selbstbetitelte ‚Sexbomben‘, die in amerikanischen Talkshows ihren alten Peinigern mal so richtig zeigen, was aus ihnen mit ein bisschen Gummi und ein paar Abnähern Tolles geworden ist. Nein, mal im Ernst: Mobbing ist was Furchtbares und Kinder sind grausam).
Doch nicht nur die Kinder, sondern auch ihre gerade frisch ausgewachsenen Versionen porträtiert Asano. So werden über die Schwelle des Erwachsenwerdens hinaus individuelle Entwicklungsgänge (die meisten ziemlich verkorkst) über eine elf Jahre umfassende Zeitspanne verfolgt und normal scheinende Alltagsmasken gelupft. Düstere Seiten menschlicher Natur werden kontrastiert mit – und komplementiert durch – eine Spiritualisierung der kleinstädtischen Landschaft. Das Regenbogenfeld wird zur Verbindungsstelle zwischen Welt und Himmel, Gott und den Menschen. Ein Ort an dem die Sonne untergeht, an dem der Weltuntergang eingeläutet werden kann, angekündigt von Heerscharen leuchtender Schmetterlinge. (Kohlweißlinge, vermutlich).
Preis und Leistung resümiert
Man kann also festhalten: Es geht ganz Asano-like ums Erwachsenwerden und um alles, was dazu gehört: Mord, Totschlag, Gewalt, Sex, Amnesie und Wahnvorstellungen, den Weltuntergang und eine Schmetterlingsexplosion. Klingt, als wolle da wer gezielt die Aufmerksamkeit auf sich ziehen? Tatsächlich geht es aber wirklich um all das und das Aufmerksamkeitsheischen weicht einer doch recht leise daherkommenden Inszenierung in gemächlichem Tempo.
Schade, dass das größere Format (ca. 14 x 21 cm) und das anspruchtransportierende Design wiedermal für einen Preisaufschlag zu reichen scheinen. Mit 14 Euro ist Das Feld des Regenbogens kein sonderlich günstiger Manga und lädt dadurch nicht direkt zum spontanen Zugreifen ein (in Japan ist man mit weniger als der Hälfte des Preises dabei). Das ist insbesondere deshalb schade, weil es Inio Asano schwer haben wird, mit nüchternem Design und hohem Preis, eine große Leserschaft anzusprechen. Immerhin ist Das Feld des Regenbogens mit einem Band abgeschlossen und bringt fast 300 Seiten mit sich. Auch wenn 14 Euro ein stolzer Preis für einen Manga ist (insbesondere wenn man es noch ‚von früher‘ gewohnt ist, einen Fünfer pro Band ohne Farbseiten hinzulegen) bekommt man in diesem Fall viel Inhalt und gute Qualität.
Die fesselnde, mitunter verstörende Geschichte, die zum Mitdenken einlädt kann jedem Anspruch suchenden Mangaleser, dem Jiro Taniguchi manchmal zu französisch daherkommt, empfohlen werden. Auch so mancher Connaisseur avantgardistischer Graphic Novels, der möglicherweise sogar Vorurteile gegenüber Pokémon und Manga-Emo-Boys hat (hey, ihr wisst schon, dass Japaner und Japanerinnen an sich, ganz natürlich und ohne szeneorientiertes Zutun, emo-schwarze Haare haben?), kann fast gefahrlos einen Blick in die japanische Massenware riskieren. Für allzu instabile Nervengerüste wiederum, gilt diese Empfehlung nur eingeschränkt. Das Feld des Regenbogens weiß zu schockieren, verzichtet nicht auf drastische Gewaltdarstellung und hinterlässt ein mulmiges Gefühl. Gut, dass in letzter Konsequenz jedoch die Wohligkeit überwiegt, etwas sehr Gelungenes gelesen zu haben.
Disclaimer: Fischpott hat ein Rezensionsexemplar von der Tokyopop GmbH erhalten.
Kommentare
Sex, Gewalt und Schmetterlinge — Keine Kommentare
HTML tags allowed in your comment: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>