Gefangen im Deja Vu
The Prisoner returns: Nummer 6 neu aufgelegt
Am 13. Januar bringt ZDFneo die Neuauflage der britischen Kult-Serie „The Prisoner“. Deren Themen sind heute so aktuell wie vor 40 Jahren, aber trifft das auch für das Remake zu?
Eingesperrt, gedemütigt und der dringende Wunsch nach Flucht: Stoff für verschiedenste TV-Formate. Das ist mal trashig wie „Hinter Gittern – Der Frauenknast“, mal unterhaltsam wie „Prison Break“, mal entsetzlich wie „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus“ oder ziemlich brillant wie „Lost“. Letztere Serie verdankt, wie J.J. Abrams freimütig gesteht, einen erheblichen Teil der britischen TV-Serie „The Prisoner“ von 1967. Abgesehen von der Tatsache, dass beide Serien von einem mysteriösen Ort und dem Wunsch zu Entkommen erzählen, wuchert in beiden die Erzählung in erster Linie um Leerstellen, Löcher und McGuffins. „The Prisoner“ bietet keine durchdachte und vielschichtige Meta-Narration, viel mehr ist jede Folge für sich ein kleiner Essay über Freiheit und Sicherheit, Autonomie und Opportunismus, Individuum und Gesellschaft. Die Prämisse bleibt einfach und wird jedes mal in einem, mit drei Minuten geradezu ausufernd langen Vorspann gezeigt:
Ein Unbekannter quittiert seinen Dienst bei einer staatlichen Behörde, wird daraufhin entführt und in ein idyllisches, überaus wohnliches Dorf gebracht, in dem es ihm an nichts fehlt – aus dem es aber auch kein Entkommen gibt. Wer der Mann ist, der von nun an nur noch Nummer 6 genannt wird, warum er kündigte und auf welcher Seite des kalten Krieges er stand, erfährt man nie. Ebenso bleibt offen, wer ihn entführte, was genau man von ihm erwartet („Informationen!“ – aber welche?) oder wo das Dorf liegt. Konstant sind die sture Weigerung des Gefangenen Nummer 6 zur Kooperation, sein Wille zur Freiheit und sein andauernder Kampf mit dem Dorfvorsteher Nummer 2 – ein Amt, das stets neu besetzt wird. Selbst die Auflösung der omnipräsenten Frage, „Wer ist Nummer 1?“, lässt den Zuschauer am Ende der letzten Folge ratlos zurück.
Nummer 6: Mutter der Mystery-Serien
„The Prisoner“, oder auf deutsch „Nummer 6“, war in der BRD leider nie besonders erfolgreich. Nach mehrfachen halbherzigen Anläufen als Lückenfüller im Programm diverser Sender wurden alle 17 Folgen erstmals 2010 vollständig von Arte ausgestrahlt und von Koch Media als DVD-Box veröffentlicht. Anders verhält es sich in Großbritannien und den USA, wo die Serie seit über 40 Jahren treue Anhänger hat. Angesichts des anhaltenden Erfolgs diverser Mystery-Serien, insbesondere „Lost“, und der verzweifelten Inflation von Remakes, Reboots, Relaunchs, Sequels und Prequels ist es nicht weiter verwunderlich, dass 2009 endlich auch „The Prisoner“ eine Neuauflage als Miniserie des US-Senders AMC erfuhr. Ebenso wenig überraschend erscheinen die wütenden Aufschreie enttäuschter Fans im Internet, welche die Serie bereits im Vorfeld verdammten. Am folgenden Freitag bringt ZDFneo nun das Remake erstmals im Free-TV, trotz negativer Reaktionen, verhaltener Kritiken und mäßiger Einschaltquoten im US-Fernsehen.
Dabei ist die 6-teilige Miniserie nicht unbedingt schlecht. Tatsächlich schafft sie es, den Plot geschickt für das frühe 21. Jahrhundert zu aktualisieren. Nummer 6 ist hier nicht mehr der zwischen überlegener Coolness und animalischer Impulsivität schwankende Agent à la James Bond, sondern wirkt viel mehr wie ein getriebener, verzweifelter Jason Bourne; seine Kündigung ist kein maskuliner Wutausbruch, sondern ein schweigend an die Wand des Establishments geschmiertes Graffiti. Überraschend gut besetzt ist die Rolle mit einem Meister der leidenden Mimik: James Caviezel, der in Kevin Reynolds‘ „Monte Cristo“ und Mel Gibsons „Die Passion Christi“ bereits zwei der berühmtesten Entfesselungskünstler der Literaturgeschichte darstellen durfte. Wehmütig stimmt lediglich die, zugegebenermaßen geringe Identifizierung als „Michael“ und die Andeutung einer Gehirnwäsche. Letztere rationalisiert nicht nur die mangelnde Information, die dem Zuschauer geboten wird, sondern reduziert erneut Identität und Individualität auf das Gedächtnis als Archiv persönlicher Daten.Was für eine paradiesische Freiheitsberaubung
Am interessantesten ist jedoch, im Original wie im Remake, „das Dorf“, welches „The Prisoner“ von ähnlichen Geschichten unterscheidet. Dieses Gefängnis ist nicht etwa ein kalter, unfreundlicher Ort, der das Leben der Gefangenen zur reinen Qual macht. Im Gegenteil: in dem sauberen, wunderschönen Dorf mangelt es an nichts, für die Bewohner wird bestens gesorgt und auf jeden individuellen Wunsch eingegangen – Drehort der Originalserie ist nicht von ungefähr ein neugebautes Ferienressort. Einzig die Überwachungszentrale, die jeden der nummerierten Bewohner genau im Auge behält, trübt die Idylle; eine verstörende Mischung aus Huxleys „Brave New World“ und Orwells Überwachungsstaat. Sich wie Nummer 6 für die individuelle Freiheit und gegen Kooperation zu entscheiden heißt hier, einem denkbar angenehmen Leben zu entsagen.
Die Unterschiede zwischen dem Original-Dorf und Remake sagen dabei viel über unsere Gegenwart und die Veränderungen der letzten 40 Jahre aus. Das Dorf von 1967 präsentiert sich auf der Höhe der Zeit. Ein verspielter Neubau, die Bewohner – allesamt ehemalige Geheimnisträger in den besten Jahren – sind nach der damals aktuellen Freizeitmode der swinging sixties uniformiert. Das Setting erinnert im Ganzen an eine Pop-Art-Installation oder einen der späteren Filme der Beatles, die mit „All You Need is Love“ im Finale den Soundtrack zu einer der verstörenderen Schießereien der TV-Geschichte lieferten.
Gefangen im Stil der 50er
Das Dorf von 2009 funktioniert grundlegend anders. Die Taxis und das ansässige Diner versprühen den Charme der 50er, die Straßenzüge zitieren das heile Selbstbild der USA vor der Bürgerrechtsbewegung und Vietnam. Selbst die Wohnung des Protagonisten, eins-zu-eins im Dorf rekonstruiert, könnte eine Kulisse der Serie „Mad Men“ (ebenfalls von AMC) sein. Die Elektro-Beats des lokalen Clubs, neuere Technik und beliebig gemischte Moden der letzten 60 Jahre zeigen eine Utopie, die sich nicht mehr wie 40 Jahre zuvor an dem Neuen, an der Zukunft orientiert, sondern im Alten, im arbiträr gemischten „Retro“ erfüllt – ironisch in einer Serie, die nur eins von unzähligen Remakes der letzten Jahre ist. Die Welt 2009 ist nicht mehr zwischen zwei Systemen gespalten, die beide der euro-amerikanischen Geschichte entsprungen sind und deren Agenten ein kultureller Konsens eint. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass arabische Revolutionäre, chinesische Dissidenten oder zentralafrikanische Warlords Annehmlichkeiten dieses Dorfes sediert würden. Das Ideal einer durch die Aufklärung der westlichen Welt vereinten Gesellschaft, welches des Dorf repräsentiert, ist der Traum einer verlorenen Vergangenheit.
Das Ende des Kalten Krieges manifestiert sich auch in der Konzentration auf die beiden Protagonisten. 1967 war Nummer 2 nur ein Amt, das von insgesamt 16 Schauspielern verkörpert wurde, und so immer daran erinnerte, dass der Antagonist nicht die Person, sondern die Institution, das System, war – don’t hate the player, hate the game. Jenseits der Systemfragen, im Zeitalter der vermeintlichen Postideologie, wird 2009 wieder auf den Menschen, den persönlichen Konflikt als Spannungselement gesetzt. Das ist zwar hochgradig konventionell, hier aber auch ziemlich unterhaltsam. Das liegt nicht zuletzt an der hochkarätigen Besetzung. Neben James Caviezel brilliert als Gegenspieler Nummer 2 niemand geringeres als Ian McKellen, den wir einfaches Volk jenseits der englischen Bühnen insbesondere als Gandalf im „Herr der Ringe“ und Magneto in den ersten drei Filmen der „X-Men“-Reihe kennen. Heimlicher Star ist jedoch damals wie heute Rover/ das Biest, ein wabernder weißer Wasserball, der ohne erkennbare Steuerung und auf scheinbar magische Weise die Einwohner des Dorfes mit animalischen Geräuschen an der Flucht hindert. Allein die Übernahme dieses bizarren Objekts verdient, dass man auch dem Remake eine Chance gibt. Und dem Original sowieso…LB
„The Prisoner“ (2009)
ZDFneo
Freitag 13.01., 23.20 Uhr
Trailer bei YouTube
„Nummer 6“ Box
7 DVDs
Koch Media GmbH (2010)
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