Terry Pratchett’s SNUFF – Moralisch auf dünnem Eis, aber Witzig.
Wer mehr als drei der immerhin inzwischen rund 40 Bücher von Terry Pratchett gelesen hat, kennt das was er tut, sehr genau.
Pratchett schreibt Realsatire, indem er die Welt wie sie ist nimmt, sie um Trolle, Zwerge, Zauberer und Hexen erweitert und auf den Rücken einer interstellaren Schildkröte verfrachtet. Heraus kommt die Scheibenwelt. Dabei hat er sich in fast jedem seiner Bücher einem Phänomen unserer Welt gewidmet, sei es die freie Presse, Fußball, die Post und immer wieder, wie zuletzt in „das Mitternachtskleid“, die Macht von Geschichten, die zu Teilen der Lebenswirklichkeit der Menschen werden und ihr Handeln bis ins abstruse hinein beeinflussen. Das tut er seit 1983 in zunehmender Brillanz, deshalb tut es einem in der Seele weh, nun als elender Kritikerbüttel sein neuestes Werk als vorhergehenden Werken nicht würdig befinden zu müssen.
In „Snuff“ geht es auch um Geschichten, um Vorurteile, Den Ethos, in legalen Grauzonen das richtige zu tun, darum, was es heißt, den eigenen Schweinehund zu besiegen, was es heißt, ein richtiger, echter, so richtig richtiger Bulle zu sein und was man alles machen kann, wenn man keiner ist. Das allein war wohl aber der schweren Kost nicht genug. Dieses mal ist das Motiv der Geschichte unerwartet ernst: Ein Volk, das seit jeher mehr oder weniger geächtet am Rande der Gesellschaft lebt, wird geknechtet, mittels ÖPNV ins Nirgendwo verschleppt und zur Zwangsarbeit gezwungen.
Gut, dass Sir Samuel Mumm zur Stelle ist. Und sein Freund Zufall, der bis jetzt noch allen ratlosen Ermittlern weitergeholfe hat.
Aber irgendwas läuft hier schief mit Fortuna. Der Zufall löst hier nicht im letzten Moment, kurz bevor alles schiefgeht, die Situation auf, sondern rettet den Tag, bevor es brenzlig wird. Und wo Mumm der Zufall nicht weiterhilft, hat er irgendwen in seinem Schweizer-Armee-Ensemble von Sidekicks, der ihm weiterhelfen kann. Zum Beispiel den Kleinen Irren Arthur, der sich mal eben zum Nachbarkontinent Teleportiert und die Sklaven von ihrem Joch befreit und dann Lagebericht erteilt. Und wenn die Personen, die die fragliche Fähigkeit sonst einsetzen, nicht da sind, entwickelt Mumm Superkräfte. Immerhin ist er ja von der Rufenden Dunkelheit besessen, er braucht keinen Vampir und keinen Werfolf mehr in seiner Truppe, um im Dunkeln sehen zu können. Und weil die Rufende Dunkelheit als ausgewachsene Entität viel cooler ist, als ein gammliger Untoter, gibt sie ihm auch noch Tips, was im Dunkeln los war, als Keine Zeugen anwesend waren. Überhaupt scheinen wir es hier mit einem neuen, verbesserten Mumm zu tun zu haben. Superkräfte haben wir abgehakt. Und was ist mit den Schwächen? Immerhin ist er trockener Alkoholiker und geht in Bars ein und aus: Negativ. Sein innerer Kampf, nicht seinen finsteren Wünschen nachzugeben, sich mal so richtig zu besaufen und den Bösewicht sofort zu lynchen, statt ihn dem Gesetz zuzuführen? Wird am Rande mal erwähnt. Und dieser Punkt bricht dieses mal Pratchett den erhobenen Zeigefinger. Mumm, der beschrieben wird als jemand, der „in einer Welt voller Kurven geradeaus marschiert“, der sich immer und konsequent so treu an das Gesetz hält, dass er einmal sogar den Patrizier inhaftiert und eine Revolution anzettelt, überlässt hier die illegale Drecksarbeit, sogar Meuchelmord, seinem Butler. Mal ehrlich. Zu einen großen Teil leben doch die Mumm-Romane davon, dass er mit allen Mitteln des Rechts für die kleinen Leute eintritt. Und an dieser Stelle versagt er leider.
Auch die Integration der geächteten Rasse der Goblins erfolgt erstaunlich einfach: Sie brillieren auf dem Gebiet der Kunst, wie Orpheus bringt ihre Musik Steine zum Weinen und wer kann leute verachten, deren Namen so poetisch „Tears of the Mushroom“ lautet? Auch hier hat Pratchett es sich wieder enorm einfach gemacht und bedient Klischees, die er sonst so geschickt auf die Schippe nimmt. Das ist allerdings kein Grund zum Verzweifeln, wie Pratchetts Kollege Walter Moers weiß:
„Mein Bäcker backt leckere Hefeteilchen. Meistens sind sie köstlich, aber manchmal nimmt er zu viel Mehl oder Zucker […] . Ich denke mir, dass er einen schlechten Tag hatte, vielleicht sind seine Kinder krank, oder er war übermüdet vom vielen Teilchenbacken. Ich erinnere mich an all die leckeren Teilchen, mit denen er mich schon erfreut hat […] und gehe am nächsten tag Wieder zu seiner Bäckerei, um ihm eine neue Chance zu geben.“
Nichtsdestoweniger sprüht das Buch wieder vor Witz und grandiosen Charaktern. Und nachdem an dieser Stelle die Moral so sehr demontiert wurde, soll zum Humor nur gesagt werden, dass er „I shall wear Midnight“ übertrifft. Und wenn die Story schon nicht an den Durchschnitt heranreicht, so darf der Leser sich geehrt fühlen, dass Sir Terry ihn an seinem Witz teilhaben lässt. Und weil Witze stinken, wenn man sie so richtig durchdiskutiert, kommt hier die Empfehlung:
Lies das Buch. Trotzdem.
MB
Terry Prtachetts „Snuff“ ist noch gar nicht auf deutsch erschienen, die gebundene UK-Ausgabe kostet 14,95 Euro
Sir Terry hat auch ne Website!
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