Cosmic Encounter (2014)
Space-Nostalgie mit 5 mal 5 Planeten
Wenn ich an meine Kindheit denke, gibt es eine Erinnerungslücke im kognitiven Feld zwischen „Mutter“ und „Cosmic Encounter“: Ich erinnere mich nur an einen großen Wutanfall meinerseits, an meinen erbosten Biss in die Handkarten (diese sind bis heute markiert) und daran, dass Cosmic Encounter seitdem nicht mehr im Familienkreis gespielt wurde. Im Nachhinein sehe ich auch das Konfliktpotential dieses Spiels, bei dem alien 1 fremde Planeten erobert und sich alle gegenseitig in die Parade fahren. Dabei hatte ich zwar Spaß, aber alle anderen möglicherweise nicht immer.
Die Neuauflage von Cosmic Encounter hatte schon in der englischen Version meine Neugier erregt. Denn im Gegensatz zu meiner Familie ist mein Freundeskreis seit den frühen Neunzigern geradezu versessen auf Cosmic Encounter. Meine alte Hexagames-Variante ist nur leider schon ziemlich abgenutzt, die abgespeckte Avalon Hill-Variante von 2000 war dagegen eher langweilig. Die neueste Auflage von Fantasy Flight Games war bis vor kurzem nur auf englisch erhältlich. Auch das ist leider keine zufriedenstellende Option, wenn nicht alle Mitspielenden sicher in der Sprache sind. Die Veröffentlichung der deutschen Ausgabe zur SPIEL 2014 hat mich also ehrlich gefreut und prompt habe ich den Heidelberger Spieleverlag um ein Testexemplar angehauen.
Worum geht’s hier eigentlich?
Das Spielsystem von Cosmic Encounter ist einfach: Alien 2 startet mit 5 Heimatplaneten, darauf jeweils 5 Raumschiffe. Zu Beginn jeder Runde zieht der Startspieler eine Karte, um zu sehen, welchen Mitspieler er angreift. Beide können Verbündete einladen, alle Verbündeten stellen bis zu 4 Raumschiffe auf die Seite ihrer Partei. Verteidigerin und Angreiferin legen verdeckte Karten vor sich hin. Dann drehen beide ihre Karten um, addieren die Zahlenwerte ihrer Karten zu der Anzahl ihrer Raumschiffe und „Bäm!“ – entweder haben die Angreifenden eine neue Kolonie oder die verteidigende Partei war erfolgreich. Das geht so weiter, bis ein Alien 5 fremde Kolonien erobert und das Spiel gewonnen hat.
Ganz so einfach ist es natürlich nicht, denn es gibt auch Karten mit Sonderfähigkeiten oder solche, die eine Verhandlung der Konfliktparteien ermöglichen. Der eigentliche Clou aber sind die Alienrassen: Jede bricht nämlich eine der etablierten Regeln. Die Hexer zwingen ihre Gegner zum offenen Ausspielen der Karten. Die Diebe sammeln abgelegte Karten. Die Gespiegelten drehen die Zahlenwerte um. Die Makros haben riesige Raumschiffe mit vierfachem Wert. Die Zombies sind unsterblich. Und so weiter. Insgesamt gibt es 50 Alienidentitätskarten mit den seltsamsten Fähigkeiten. Zu Spielbeginn zieht alien zwei Karten und sucht sich davon eine aus. Dadurch wird jedes Spiel komplett anders.
Der Test
So entwickelte sich dann auch das redaktionelle Testspiel. Zu dritt haben unser häufiger Gastautor Ulf, André und ich drei Runden in der schnellen Variante (4 statt 5 Planeten, Raumschiffe und Kolonien) gespielt. Zuerst war ich etwas skeptisch, weil es zu dritt immer nur einen potentiellen Verbündeten für Angreifer oder Verteidiger gibt. Das hat sich aber als absolut problemlos herausgestellt. Insgesamt war unser Spiel manchmal verblüffend, selten verwirrend und insgesamt ein Riesenspaß. Ausgewogen war es auch, trotz des Triplets Anfänger-Kenner-Experte hat jeder von uns einmal gewonnen. Recht schnell wurde klar, dass die Fähigkeiten der Aliens immer noch nicht ausbalanciert sind. Aber da selbst die beste Taktik bei schlechten Karten (oder guten Karten der Mitspieler) versagt, ist das auch relativ egal. Ein paar Regeln haben wir erst beim zweiten Spielen richtig erkannt, aber das war kein Beinbruch. Die Zusatzregel „Technologiekarten“ haben wir in der dritten Runde ausprobiert, sie scheint aber im Grunde nicht spielentscheidend zu sein.
Besonders gelungen ist die Ausstattung. Die Illustrationen der Aliens sind wunderbar originell, das Konzept der frei auf dem Spieltisch verteilten Planeten überzeugt auch auf kleineren Spieltischen und die Spielsteine in Form von Mini-UFOs sind der Spacehammer. Die übersetzten Texte auf den Karten wirken oft etwas sperrig, da es aber wichtig ist, wann und unter welchen Bedingungen sie gespielt werden dürfen, sind präzise Formulierungen hier wichtiger als schöne Texte. Das aus dem „Schwarzen Loch“ früherer Übersetzungen der „Warp“ wurde ist, naja, schon in Ordnung.
Irgendwas ist ja immer
Die einzigen Kritikpunkte sind rein persönlicher Natur. Ich vermisse die Pilzwesen, die fremde Schiffe infizieren konnte. Und die Erdlinge missfallen mir. Ein Kosmos voller fremdartiger Lebensformen ohne Menschen hatte einen gewissen Abstand von der Welt und wirkte fantastischer. Durch schnöde Menschen wird dieses Besondere in meinen Augen in den Warp gekickt. Dass unser Planet natürlich durch einen blonden weißen Mann repräsentiert wird, ach, das geht auch irgendwie anders. Ein bisschen schade ist die Limitierung auf 5 Spielende. Das wird sich sicherlich in künftigen Erweiterungen ändern, aber mit 20 Pöppeln und 5 Pappscheiben kann alien sich da auch schon behelfen. Vielleicht einfach aus einer äteren Edition nehmen oder selber basteln.
Fazit
Heutzutage würde kein Mensch ein Spiel wie Cosmic Encounter erfinden. Es ist unvorhersehbar, kann frustrieren und wird manchmal unübersichtlich. Trotzdem bietet es ein großes Spaßpotential, nicht nur für Opfer von Space-Nostalgie. Wer gerne Momente miterlebt, in denen sich ein Mitspieler schon auf dem Thron des Universums wähnt, nur um dann von einem Kosmischen Zap getroffen zu werden oder alles verloren hat, um dann dank Möbiusschleife wie ein Phönix aus der Asche aufzuerstehen, ist bei Cosmic Encounter richtig. Für auf Harmonie ausgelegte familiäre Spielabende ist es eher ungeeignet. Aber das ist Mensch ärgere Dich nicht eigentlich auch.
Zum Vergleich: Cosmic Encounter in den Versionen von Hexagames (1991), Avalon Hill (2000), Heidelberger Spieleverlag (2014)
Links
Englischsprachige Version von 2008 bei BoardGameGeek
Englischsprachige Version von 1977 bei BoardGameGeek
Aktuelle Version bei BGG